Vaters, den rothen Feß mit der Brillant-Agraffe, und den weiten dunkelblauen Mantel; aber er erschien mir schweig- samer und ernster, als Sultan Mahmud. Er hat wohl Ursache ernst zu sein.
66. Sultan Mahmud II.
Konstantinopel, den 1. September 1839.
Heute besuchte ich das Grab des verstorbenen Groß herrn. Auf dem Bergrücken zwischen dem Marmor-Meer und dem Hafen, unfern der Moschee Nuri-Osman, über- schaut man das ganze Panorama von Städten und Mee- ren, Gebirgen, Jnseln, Schlössern und Flotten, welches sich an keinem andern Punkte des Erdballs so reich zusammen- stellt; dort, hatte einst Sultan Mahmud geäußert, wolle er begraben sein, und dahin hatte man seinen Sarg ge- bracht; ein Zelt war über demselben aufgeschlagen, und das Türbeh oder Grabmal wird nun über das Zelt ge- wölbt, denn die Asche des hingeschiedenen Herrschers darf nicht noch einmal gestört werden. Ruhe und Friede sei mit ihr! Sultan Mahmud hat ein tiefes Leid durch's Leben getragen: die Wiedergeburt seines Volks war die große Aufgabe seines Daseins, und das Mißlingen dieses Planes sein Tod.
Das letzte Jahrhundert sah im Osten von Europa einen andern Staat plötzlich aus seiner politischen Nichtigkeit er- wachen, und indem er die Vorzüge abendländischer Bildung sich aneignete, schnell in die Reihe europäischer Großmächte eintreten. Kaum der Barbarei entstiegen, greift er schon mächtig ein in die Verhältnisse der gesitteten Welt; wenn wir nun die Reform von der finnischen Bucht bis zum asow- schen Meere glücklich durchgeführt sehen, welche in den reichgesegneten Ländern vom Taurus bis zum Balkan so gänzlich mißlungen erscheint, so ist es natürlich, nach den
Vaters, den rothen Feß mit der Brillant-Agraffe, und den weiten dunkelblauen Mantel; aber er erſchien mir ſchweig- ſamer und ernſter, als Sultan Mahmud. Er hat wohl Urſache ernſt zu ſein.
66. Sultan Mahmud II.
Konſtantinopel, den 1. September 1839.
Heute beſuchte ich das Grab des verſtorbenen Groß herrn. Auf dem Bergruͤcken zwiſchen dem Marmor-Meer und dem Hafen, unfern der Moſchee Nuri-Osman, uͤber- ſchaut man das ganze Panorama von Staͤdten und Mee- ren, Gebirgen, Jnſeln, Schloͤſſern und Flotten, welches ſich an keinem andern Punkte des Erdballs ſo reich zuſammen- ſtellt; dort, hatte einſt Sultan Mahmud geaͤußert, wolle er begraben ſein, und dahin hatte man ſeinen Sarg ge- bracht; ein Zelt war uͤber demſelben aufgeſchlagen, und das Tuͤrbeh oder Grabmal wird nun uͤber das Zelt ge- woͤlbt, denn die Aſche des hingeſchiedenen Herrſchers darf nicht noch einmal geſtoͤrt werden. Ruhe und Friede ſei mit ihr! Sultan Mahmud hat ein tiefes Leid durch's Leben getragen: die Wiedergeburt ſeines Volks war die große Aufgabe ſeines Daſeins, und das Mißlingen dieſes Planes ſein Tod.
Das letzte Jahrhundert ſah im Oſten von Europa einen andern Staat ploͤtzlich aus ſeiner politiſchen Nichtigkeit er- wachen, und indem er die Vorzuͤge abendlaͤndiſcher Bildung ſich aneignete, ſchnell in die Reihe europaͤiſcher Großmaͤchte eintreten. Kaum der Barbarei entſtiegen, greift er ſchon maͤchtig ein in die Verhaͤltniſſe der geſitteten Welt; wenn wir nun die Reform von der finniſchen Bucht bis zum aſow- ſchen Meere gluͤcklich durchgefuͤhrt ſehen, welche in den reichgeſegneten Laͤndern vom Taurus bis zum Balkan ſo gaͤnzlich mißlungen erſcheint, ſo iſt es natuͤrlich, nach den
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Vaters, den rothen Feß mit der Brillant-Agraffe, und den
weiten dunkelblauen Mantel; aber er erſchien mir ſchweig-
ſamer und ernſter, als Sultan Mahmud. Er hat wohl
Urſache ernſt zu ſein.
66.
Sultan Mahmud II.
Konſtantinopel, den 1. September 1839.
Heute beſuchte ich das Grab des verſtorbenen Groß
herrn. Auf dem Bergruͤcken zwiſchen dem Marmor-Meer
und dem Hafen, unfern der Moſchee Nuri-Osman, uͤber-
ſchaut man das ganze Panorama von Staͤdten und Mee-
ren, Gebirgen, Jnſeln, Schloͤſſern und Flotten, welches ſich
an keinem andern Punkte des Erdballs ſo reich zuſammen-
ſtellt; dort, hatte einſt Sultan Mahmud geaͤußert, wolle
er begraben ſein, und dahin hatte man ſeinen Sarg ge-
bracht; ein Zelt war uͤber demſelben aufgeſchlagen, und
das Tuͤrbeh oder Grabmal wird nun uͤber das Zelt ge-
woͤlbt, denn die Aſche des hingeſchiedenen Herrſchers darf
nicht noch einmal geſtoͤrt werden. Ruhe und Friede ſei
mit ihr! Sultan Mahmud hat ein tiefes Leid durch's
Leben getragen: die Wiedergeburt ſeines Volks war die
große Aufgabe ſeines Daſeins, und das Mißlingen dieſes
Planes ſein Tod.
Das letzte Jahrhundert ſah im Oſten von Europa einen
andern Staat ploͤtzlich aus ſeiner politiſchen Nichtigkeit er-
wachen, und indem er die Vorzuͤge abendlaͤndiſcher Bildung
ſich aneignete, ſchnell in die Reihe europaͤiſcher Großmaͤchte
eintreten. Kaum der Barbarei entſtiegen, greift er ſchon
maͤchtig ein in die Verhaͤltniſſe der geſitteten Welt; wenn wir
nun die Reform von der finniſchen Bucht bis zum aſow-
ſchen Meere gluͤcklich durchgefuͤhrt ſehen, welche in den
reichgeſegneten Laͤndern vom Taurus bis zum Balkan ſo
gaͤnzlich mißlungen erſcheint, ſo iſt es natuͤrlich, nach den
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/417>, abgerufen am 24.11.2024.
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