Gönner Mehmet-Chosref-Pascha aus der Verbannung wieder zur höchsten Macht erhoben. Er empfing mich mit demselben Wohlwollen wie früher, und da ich ihn jetzt ohne Dragoman sprechen konnte, mußte ich ihm in Gegen- wart des Ministers des Jnnern und des Groß-Schatzmei- sters wohl eine Stunde lang erzählen. Man war sehr ge- neigt, alle Schuld auf Hafiß-Pascha zu werfen und den Stab über ihn zu brechen; der Vesier gab mir auf, ihm einen schriftlichen Bericht über alle Vorgänge seit Aufbruch der Armee einzureichen. Ohne im mindesten die Fehler zu bemänteln, welche, wie ich glaube, Hafiß-Pascha began- gen, und worüber ich mich ja auch gegen ihn selbst be- stimmt genug ausgesprochen hatte, war es mir doch sehr angenehm, ihn bei Chosref-Pascha, der etwas auf dies Urtheil gab, gegen die Anschuldigungen rechtfertigen zu kön- nen, welche ihn nicht trafen; nicht seine Schuld war es, daß man statt 80,000 Mann, über die man disponirte, nur 40,000 ins Gefecht gebracht; nicht seine Schuld, daß man nicht alle Corps unter denselben Ober-Befehl gestellt hatte, worauf wir in allen unsern Schreiben an den da- maligen Seraskier so wiederholt gedrungen; eben so wenig konnte man ihm die fehlerhafte Zusammensetzung des Hee- res aus zwei Drittel Kurden zur Last legen, die entschieden gegen ihren Willen dienten, und davon liefen, als die Ent- scheidung kam. Hafiß-Pascha ist ein rechtlicher Mann und unter den osmanischen Generalen immer noch der beste. Er hatte für die Ausbildung seines Corps gethan, was irgend möglich. Der Pascha (und wir mit ihm) glich einem Künstler, dem man aufgiebt, ein Gewölbe zu bauen, und dem man statt harten Steins nur weichen Thon bietet. Wie richtig er auch seine Werkstücke fügt, der Bau muß bei der ersten Erschütterung doch in sich zusammen stürzen; denn der Meister kann den Stoff formen, aber nicht um- wandeln. Das Heer Hafiß-Pascha's war ohne Zwei- fel die am weitesten ausgebildete, am besten disciplinirte, ausexerzierteste, und doch die moralisch schlechteste Armee
Goͤnner Mehmet-Chosref-Paſcha aus der Verbannung wieder zur hoͤchſten Macht erhoben. Er empfing mich mit demſelben Wohlwollen wie fruͤher, und da ich ihn jetzt ohne Dragoman ſprechen konnte, mußte ich ihm in Gegen- wart des Miniſters des Jnnern und des Groß-Schatzmei- ſters wohl eine Stunde lang erzaͤhlen. Man war ſehr ge- neigt, alle Schuld auf Hafiß-Paſcha zu werfen und den Stab uͤber ihn zu brechen; der Veſier gab mir auf, ihm einen ſchriftlichen Bericht uͤber alle Vorgaͤnge ſeit Aufbruch der Armee einzureichen. Ohne im mindeſten die Fehler zu bemaͤnteln, welche, wie ich glaube, Hafiß-Paſcha began- gen, und woruͤber ich mich ja auch gegen ihn ſelbſt be- ſtimmt genug ausgeſprochen hatte, war es mir doch ſehr angenehm, ihn bei Chosref-Paſcha, der etwas auf dies Urtheil gab, gegen die Anſchuldigungen rechtfertigen zu koͤn- nen, welche ihn nicht trafen; nicht ſeine Schuld war es, daß man ſtatt 80,000 Mann, uͤber die man disponirte, nur 40,000 ins Gefecht gebracht; nicht ſeine Schuld, daß man nicht alle Corps unter denſelben Ober-Befehl geſtellt hatte, worauf wir in allen unſern Schreiben an den da- maligen Seraskier ſo wiederholt gedrungen; eben ſo wenig konnte man ihm die fehlerhafte Zuſammenſetzung des Hee- res aus zwei Drittel Kurden zur Laſt legen, die entſchieden gegen ihren Willen dienten, und davon liefen, als die Ent- ſcheidung kam. Hafiß-Paſcha iſt ein rechtlicher Mann und unter den osmaniſchen Generalen immer noch der beſte. Er hatte fuͤr die Ausbildung ſeines Corps gethan, was irgend moͤglich. Der Paſcha (und wir mit ihm) glich einem Kuͤnſtler, dem man aufgiebt, ein Gewoͤlbe zu bauen, und dem man ſtatt harten Steins nur weichen Thon bietet. Wie richtig er auch ſeine Werkſtuͤcke fuͤgt, der Bau muß bei der erſten Erſchuͤtterung doch in ſich zuſammen ſtuͤrzen; denn der Meiſter kann den Stoff formen, aber nicht um- wandeln. Das Heer Hafiß-Paſcha's war ohne Zwei- fel die am weiteſten ausgebildete, am beſten disciplinirte, ausexerzierteſte, und doch die moraliſch ſchlechteſte Armee
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Goͤnner Mehmet-Chosref-Paſcha aus der Verbannung
wieder zur hoͤchſten Macht erhoben. Er empfing mich mit
demſelben Wohlwollen wie fruͤher, und da ich ihn jetzt
ohne Dragoman ſprechen konnte, mußte ich ihm in Gegen-
wart des Miniſters des Jnnern und des Groß-Schatzmei-
ſters wohl eine Stunde lang erzaͤhlen. Man war ſehr ge-
neigt, alle Schuld auf Hafiß-Paſcha zu werfen und den
Stab uͤber ihn zu brechen; der Veſier gab mir auf, ihm
einen ſchriftlichen Bericht uͤber alle Vorgaͤnge ſeit Aufbruch
der Armee einzureichen. Ohne im mindeſten die Fehler zu
bemaͤnteln, welche, wie ich glaube, Hafiß-Paſcha began-
gen, und woruͤber ich mich ja auch gegen ihn ſelbſt be-
ſtimmt genug ausgeſprochen hatte, war es mir doch ſehr
angenehm, ihn bei Chosref-Paſcha, der etwas auf dies
Urtheil gab, gegen die Anſchuldigungen rechtfertigen zu koͤn-
nen, welche ihn nicht trafen; nicht ſeine Schuld war es,
daß man ſtatt 80,000 Mann, uͤber die man disponirte,
nur 40,000 ins Gefecht gebracht; nicht ſeine Schuld, daß
man nicht alle Corps unter denſelben Ober-Befehl geſtellt
hatte, worauf wir in allen unſern Schreiben an den da-
maligen Seraskier ſo wiederholt gedrungen; eben ſo wenig
konnte man ihm die fehlerhafte Zuſammenſetzung des Hee-
res aus zwei Drittel Kurden zur Laſt legen, die entſchieden
gegen ihren Willen dienten, und davon liefen, als die Ent-
ſcheidung kam. Hafiß-Paſcha iſt ein rechtlicher Mann
und unter den osmaniſchen Generalen immer noch der beſte.
Er hatte fuͤr die Ausbildung ſeines Corps gethan, was
irgend moͤglich. Der Paſcha (und wir mit ihm) glich
einem Kuͤnſtler, dem man aufgiebt, ein Gewoͤlbe zu bauen,
und dem man ſtatt harten Steins nur weichen Thon bietet.
Wie richtig er auch ſeine Werkſtuͤcke fuͤgt, der Bau muß
bei der erſten Erſchuͤtterung doch in ſich zuſammen ſtuͤrzen;
denn der Meiſter kann den Stoff formen, aber nicht um-
wandeln. Das Heer Hafiß-Paſcha's war ohne Zwei-
fel die am weiteſten ausgebildete, am beſten disciplinirte,
ausexerzierteſte, und doch die moraliſch ſchlechteſte Armee
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/415>, abgerufen am 24.11.2024.
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