chen, in lautes Freudengeschrei aus; in gestrecktem Galop ging es zwei Stunden den steilen Hang hinunter in die Quarantaine von Samsun. Aber eine türkische Quaran- taine dauert nicht länger, als nöthig ist, um ein Empfeh- lungsschreiben des Pascha's zu lesen, oder 50 Piaster auf ein Sophakissen hinzuzählen. Zu unserer großen Freude trafen wir V. noch an, welcher nicht mehr gehofft hatte, daß wir ihn einholen würden, und schifften uns am fol- genden Morgen zusammen ein.
Der eine Schritt von Samsun auf das österreichische Dampfboot führte uns aus der asiatischen Barbarei in die europäische Verfeinerung -- wir forderten zu allererst Kar- toffeln, die wir anderthalb Jahre am schmerzlichsten ent- behrt hatten, und eine Flasche Champagner, um unsers Königs Gesundheit an seinem Geburtstage hier auf den Wellen des schwarzen Meeres zu trinken. Jn unserer zer- lumpten türkischen Kleidung, mager und abgezehrt, mit lan- gen Bärten und türkischem Gefolge, wollte man uns erst gar nicht in die erste Kabine lassen, bis wir den Capitain auf französisch anredeten. Es ist nicht zu beschreiben, wie behaglich uns Alles vorkam; da gab es Stühle, Tische und Spiegel, Bücher, Messer und Gabeln, kurz, lauter Be- quemlichkeiten und Genüsse, deren Gebrauch wir fast ver- lernt hatten. Hier erfuhren wir zuerst den Abfall der Flotte, ein Gerücht, dem wir aber noch keinen Glauben schenken wollten.
Am zweiten Morgen tauchten die weißen Leuchtthürme des Bosphor am Horizont auf; bald entdeckten wir die Brandung an den Kyaneen und die Batterien des Bos- phors, dann schwebten Bujukdere, Therapia, endlich alle die mir so wohl bekannten Dörfer des Bosphor an uns vorüber, bis die Spitze des Serajs vor uns leuchtete und wir die Anker im goldenen Horn auswarfen.
Der ausgezeichnete Empfang, der uns von allen tür- kischen Großwürdenträgern zu Theil ward, machte einen sehr angenehmen Eindruck auf uns; ich fand meinen alten
chen, in lautes Freudengeſchrei aus; in geſtrecktem Galop ging es zwei Stunden den ſteilen Hang hinunter in die Quarantaine von Samſun. Aber eine tuͤrkiſche Quaran- taine dauert nicht laͤnger, als noͤthig iſt, um ein Empfeh- lungsſchreiben des Paſcha's zu leſen, oder 50 Piaſter auf ein Sophakiſſen hinzuzaͤhlen. Zu unſerer großen Freude trafen wir V. noch an, welcher nicht mehr gehofft hatte, daß wir ihn einholen wuͤrden, und ſchifften uns am fol- genden Morgen zuſammen ein.
Der eine Schritt von Samſun auf das oͤſterreichiſche Dampfboot fuͤhrte uns aus der aſiatiſchen Barbarei in die europaͤiſche Verfeinerung — wir forderten zu allererſt Kar- toffeln, die wir anderthalb Jahre am ſchmerzlichſten ent- behrt hatten, und eine Flaſche Champagner, um unſers Koͤnigs Geſundheit an ſeinem Geburtstage hier auf den Wellen des ſchwarzen Meeres zu trinken. Jn unſerer zer- lumpten tuͤrkiſchen Kleidung, mager und abgezehrt, mit lan- gen Baͤrten und tuͤrkiſchem Gefolge, wollte man uns erſt gar nicht in die erſte Kabine laſſen, bis wir den Capitain auf franzoͤſiſch anredeten. Es iſt nicht zu beſchreiben, wie behaglich uns Alles vorkam; da gab es Stuͤhle, Tiſche und Spiegel, Buͤcher, Meſſer und Gabeln, kurz, lauter Be- quemlichkeiten und Genuͤſſe, deren Gebrauch wir faſt ver- lernt hatten. Hier erfuhren wir zuerſt den Abfall der Flotte, ein Geruͤcht, dem wir aber noch keinen Glauben ſchenken wollten.
Am zweiten Morgen tauchten die weißen Leuchtthuͤrme des Bosphor am Horizont auf; bald entdeckten wir die Brandung an den Kyaneen und die Batterien des Bos- phors, dann ſchwebten Bujukdere, Therapia, endlich alle die mir ſo wohl bekannten Doͤrfer des Bosphor an uns voruͤber, bis die Spitze des Serajs vor uns leuchtete und wir die Anker im goldenen Horn auswarfen.
Der ausgezeichnete Empfang, der uns von allen tuͤr- kiſchen Großwuͤrdentraͤgern zu Theil ward, machte einen ſehr angenehmen Eindruck auf uns; ich fand meinen alten
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chen, in lautes Freudengeſchrei aus; in geſtrecktem Galop
ging es zwei Stunden den ſteilen Hang hinunter in die
Quarantaine von Samſun. Aber eine tuͤrkiſche Quaran-
taine dauert nicht laͤnger, als noͤthig iſt, um ein Empfeh-
lungsſchreiben des Paſcha's zu leſen, oder 50 Piaſter auf
ein Sophakiſſen hinzuzaͤhlen. Zu unſerer großen Freude
trafen wir V. noch an, welcher nicht mehr gehofft hatte,
daß wir ihn einholen wuͤrden, und ſchifften uns am fol-
genden Morgen zuſammen ein.
Der eine Schritt von Samſun auf das oͤſterreichiſche
Dampfboot fuͤhrte uns aus der aſiatiſchen Barbarei in die
europaͤiſche Verfeinerung — wir forderten zu allererſt Kar-
toffeln, die wir anderthalb Jahre am ſchmerzlichſten ent-
behrt hatten, und eine Flaſche Champagner, um unſers
Koͤnigs Geſundheit an ſeinem Geburtstage hier auf den
Wellen des ſchwarzen Meeres zu trinken. Jn unſerer zer-
lumpten tuͤrkiſchen Kleidung, mager und abgezehrt, mit lan-
gen Baͤrten und tuͤrkiſchem Gefolge, wollte man uns erſt
gar nicht in die erſte Kabine laſſen, bis wir den Capitain
auf franzoͤſiſch anredeten. Es iſt nicht zu beſchreiben, wie
behaglich uns Alles vorkam; da gab es Stuͤhle, Tiſche
und Spiegel, Buͤcher, Meſſer und Gabeln, kurz, lauter Be-
quemlichkeiten und Genuͤſſe, deren Gebrauch wir faſt ver-
lernt hatten. Hier erfuhren wir zuerſt den Abfall der Flotte,
ein Geruͤcht, dem wir aber noch keinen Glauben ſchenken
wollten.
Am zweiten Morgen tauchten die weißen Leuchtthuͤrme
des Bosphor am Horizont auf; bald entdeckten wir die
Brandung an den Kyaneen und die Batterien des Bos-
phors, dann ſchwebten Bujukdere, Therapia, endlich alle
die mir ſo wohl bekannten Doͤrfer des Bosphor an uns
voruͤber, bis die Spitze des Serajs vor uns leuchtete und
wir die Anker im goldenen Horn auswarfen.
Der ausgezeichnete Empfang, der uns von allen tuͤr-
kiſchen Großwuͤrdentraͤgern zu Theil ward, machte einen
ſehr angenehmen Eindruck auf uns; ich fand meinen alten
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/414>, abgerufen am 24.11.2024.
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