ternacht erreichten wir Amasia. Obwohl uns die Tempe- ratur nördlich des Taurus um vieles gemildert erschien, so war doch die Nacht drückend heiß; in eine dichte Staub- wolke gehüllt, ging es in der Dunkelheit auf dem holperi- gen steinigen Pfad in vollem Rennen vorwärts; aber auf dem Hof des Müsselims fanden wir das ganze Gefolge Meh- met-Aly-Bey's, und nicht ein Pferd war zu haben. Unser Tatar war selbst sehr ermüdet, und glaubte, daß es wohl nicht solche Eile haben werde: Ne japalym, -- was können wir thun? -- sagte er, zündete seine Pfeife an, und faßte sich in Geduld. Das war nun unsere Ab- sicht nicht, wir forderten durchaus Pferde. Ohnaz! -- es ist unmöglich -- sagte der Türke; olur! -- es wird ge- hen -- wir. Der Mann zuckte die Achseln und blieb bei ne japalym. Jetzt gab ich die Hoffnung auf, aber L. hatte einen trefflichen Gedanken: er eröffnete dem Tataren, daß, nachdem er sein Versprechen nicht erfüllt, er auch nicht weiter mit uns zu gehen brauche, und daß er sich vor Ha- fiß-Pascha in Acht nehmen möge, den wir von seinem Mangel an Eifer benachrichtigen werden. "Dann werdet ihr gar keine Pferde bekommen, auch morgen und über- morgen noch nicht." -- "Nichts ist leichter als das, wir haben dir 500 Piaster versprochen, die wir jetzt sparen; ich werde sogleich 250 davon auf dieser, die übrigen 250 auf der nächsten Station dem Jmrahor bieten, und heut Abend sind wir in Samsun." Wirklich würde der türki- sche Postmeister für ein so bedeutendes Trinkgeld dem Bey selbst ein Pferd gestohlen und uns zugewendet haben, und eine einfache Algebra lehrte unsern Tataren, daß er wohl thun werde, sich selbst mit dem Manne für ein Geringeres zu arrangiren. Die Reise ging nun unaufgehalten weiter, nur daß wir Alle auf's äußerste ermüdet und erschöpft waren; in den letzten 36 Stunden hatten wir 38 Wege- stunden oder Lieues zurück gelegt. Von einem Bergrücken mit prächtigem Laubwald erblickten wir endlich das flim- mernde Meer, und brachen, wie die Xenophontischen Grie-
ternacht erreichten wir Amaſia. Obwohl uns die Tempe- ratur noͤrdlich des Taurus um vieles gemildert erſchien, ſo war doch die Nacht druͤckend heiß; in eine dichte Staub- wolke gehuͤllt, ging es in der Dunkelheit auf dem holperi- gen ſteinigen Pfad in vollem Rennen vorwaͤrts; aber auf dem Hof des Muͤſſelims fanden wir das ganze Gefolge Meh- met-Aly-Bey's, und nicht ein Pferd war zu haben. Unſer Tatar war ſelbſt ſehr ermuͤdet, und glaubte, daß es wohl nicht ſolche Eile haben werde: Ne japalym, — was koͤnnen wir thun? — ſagte er, zuͤndete ſeine Pfeife an, und faßte ſich in Geduld. Das war nun unſere Ab- ſicht nicht, wir forderten durchaus Pferde. Ohnaz! — es iſt unmoͤglich — ſagte der Tuͤrke; olur! — es wird ge- hen — wir. Der Mann zuckte die Achſeln und blieb bei ne japalym. Jetzt gab ich die Hoffnung auf, aber L. hatte einen trefflichen Gedanken: er eroͤffnete dem Tataren, daß, nachdem er ſein Verſprechen nicht erfuͤllt, er auch nicht weiter mit uns zu gehen brauche, und daß er ſich vor Ha- fiß-Paſcha in Acht nehmen moͤge, den wir von ſeinem Mangel an Eifer benachrichtigen werden. „Dann werdet ihr gar keine Pferde bekommen, auch morgen und uͤber- morgen noch nicht.“ — „Nichts iſt leichter als das, wir haben dir 500 Piaſter verſprochen, die wir jetzt ſparen; ich werde ſogleich 250 davon auf dieſer, die uͤbrigen 250 auf der naͤchſten Station dem Jmrahor bieten, und heut Abend ſind wir in Samſun.“ Wirklich wuͤrde der tuͤrki- ſche Poſtmeiſter fuͤr ein ſo bedeutendes Trinkgeld dem Bey ſelbſt ein Pferd geſtohlen und uns zugewendet haben, und eine einfache Algebra lehrte unſern Tataren, daß er wohl thun werde, ſich ſelbſt mit dem Manne fuͤr ein Geringeres zu arrangiren. Die Reiſe ging nun unaufgehalten weiter, nur daß wir Alle auf's aͤußerſte ermuͤdet und erſchoͤpft waren; in den letzten 36 Stunden hatten wir 38 Wege- ſtunden oder Lieues zuruͤck gelegt. Von einem Bergruͤcken mit praͤchtigem Laubwald erblickten wir endlich das flim- mernde Meer, und brachen, wie die Xenophontiſchen Grie-
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ternacht erreichten wir Amaſia. Obwohl uns die Tempe-
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ſo war doch die Nacht druͤckend heiß; in eine dichte Staub-
wolke gehuͤllt, ging es in der Dunkelheit auf dem holperi-
gen ſteinigen Pfad in vollem Rennen vorwaͤrts; aber auf
dem Hof des Muͤſſelims fanden wir das ganze Gefolge Meh-
met-Aly-Bey's, und nicht ein Pferd war zu haben.
Unſer Tatar war ſelbſt ſehr ermuͤdet, und glaubte, daß
es wohl nicht ſolche Eile haben werde: Ne japalym, —
was koͤnnen wir thun? — ſagte er, zuͤndete ſeine Pfeife
an, und faßte ſich in Geduld. Das war nun unſere Ab-
ſicht nicht, wir forderten durchaus Pferde. Ohnaz! —
es iſt unmoͤglich — ſagte der Tuͤrke; olur! — es wird ge-
hen — wir. Der Mann zuckte die Achſeln und blieb bei
ne japalym. Jetzt gab ich die Hoffnung auf, aber L. hatte
einen trefflichen Gedanken: er eroͤffnete dem Tataren, daß,
nachdem er ſein Verſprechen nicht erfuͤllt, er auch nicht
weiter mit uns zu gehen brauche, und daß er ſich vor Ha-
fiß-Paſcha in Acht nehmen moͤge, den wir von ſeinem
Mangel an Eifer benachrichtigen werden. „Dann werdet
ihr gar keine Pferde bekommen, auch morgen und uͤber-
morgen noch nicht.“ — „Nichts iſt leichter als das, wir
haben dir 500 Piaſter verſprochen, die wir jetzt ſparen;
ich werde ſogleich 250 davon auf dieſer, die uͤbrigen 250
auf der naͤchſten Station dem Jmrahor bieten, und heut
Abend ſind wir in Samſun.“ Wirklich wuͤrde der tuͤrki-
ſche Poſtmeiſter fuͤr ein ſo bedeutendes Trinkgeld dem Bey
ſelbſt ein Pferd geſtohlen und uns zugewendet haben, und
eine einfache Algebra lehrte unſern Tataren, daß er wohl
thun werde, ſich ſelbſt mit dem Manne fuͤr ein Geringeres
zu arrangiren. Die Reiſe ging nun unaufgehalten weiter,
nur daß wir Alle auf's aͤußerſte ermuͤdet und erſchoͤpft
waren; in den letzten 36 Stunden hatten wir 38 Wege-
ſtunden oder Lieues zuruͤck gelegt. Von einem Bergruͤcken
mit praͤchtigem Laubwald erblickten wir endlich das flim-
mernde Meer, und brachen, wie die Xenophontiſchen Grie-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/413>, abgerufen am 24.11.2024.
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