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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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spiele gefolgt. Diese schmähliche Desertion wirft ein Licht
auf die hiesigen Zustände, schlimmer, als alle verlorenen
Schlachten.

Wir hatten uns vorzüglich zu Hafiß-Pascha ver-
fügt, weil zu erwarten stand, daß hier Arrieregarden-Ge-
fechte stattfinden würden; wir fanden aber die tiefste Ruhe.
Jbrahim-Pascha ist nach seinem Siege wie angebannt
stehen geblieben. Wenn diplomatische Vermittelung diesen
Zauber üben kann, nachdem das Unglück geschehen, so ist
nur zu bedauern, daß sie nicht eingeschritten, um es ganz
zu vermeiden; in der That glaube ich, hatte man in Eu-
ropa von dem wahren Zustand keine richtige Kenntniß gehabt.
Mehmet-Aly und die Pforte standen wie zwei Ringer,
welche die höchste gleichmäßige Anstrengung aller ihrer Kräfte
in einen Zustand anscheinender Bewegungslosigkeit versetzt,
den man für Ruhe nahm. Zufrieden, hier keinen Kampf
zu sehen, sagte die europäische Diplomatie: "Sehr gut;
nun bleibt aber auch still, und wer von euch sich zuerst
regt, den werden wir als Agresseur bezeichnen." Sieben
Jahre standen die beiden unglücklichen Ringer so, da fühlte
der eine, daß die Kräfte ihm ausgehen; er machte eine
verzweifelte Anstrengung und erlag.

65.
Rückkehr nach Konstantinopel. -- Empfang beim Ve-
sier. -- Audienz beim Sultan Abdul-Medschid.

Der Großherrliche Ferman, welcher Hafiß-Pascha
vom Ober-Befehl entband und ihn vorläufig nach Sivas
beschied, wurde am 28. Juli feierlich verlesen. Mehmet-
Aly-Bey,
der kaiserliche Abgesandte, hatte uns eingela-
den, ihn auf seiner Reise zu Lande nach Konstantinopel zu
begleiten, da er aber noch in Angora und Kutahja ver-
weilen sollte, so zogen wir es vor, mit dem am 3. August

26

ſpiele gefolgt. Dieſe ſchmaͤhliche Deſertion wirft ein Licht
auf die hieſigen Zuſtaͤnde, ſchlimmer, als alle verlorenen
Schlachten.

Wir hatten uns vorzuͤglich zu Hafiß-Paſcha ver-
fuͤgt, weil zu erwarten ſtand, daß hier Arrieregarden-Ge-
fechte ſtattfinden wuͤrden; wir fanden aber die tiefſte Ruhe.
Jbrahim-Paſcha iſt nach ſeinem Siege wie angebannt
ſtehen geblieben. Wenn diplomatiſche Vermittelung dieſen
Zauber uͤben kann, nachdem das Ungluͤck geſchehen, ſo iſt
nur zu bedauern, daß ſie nicht eingeſchritten, um es ganz
zu vermeiden; in der That glaube ich, hatte man in Eu-
ropa von dem wahren Zuſtand keine richtige Kenntniß gehabt.
Mehmet-Aly und die Pforte ſtanden wie zwei Ringer,
welche die hoͤchſte gleichmaͤßige Anſtrengung aller ihrer Kraͤfte
in einen Zuſtand anſcheinender Bewegungsloſigkeit verſetzt,
den man fuͤr Ruhe nahm. Zufrieden, hier keinen Kampf
zu ſehen, ſagte die europaͤiſche Diplomatie: „Sehr gut;
nun bleibt aber auch ſtill, und wer von euch ſich zuerſt
regt, den werden wir als Agreſſeur bezeichnen.“ Sieben
Jahre ſtanden die beiden ungluͤcklichen Ringer ſo, da fuͤhlte
der eine, daß die Kraͤfte ihm ausgehen; er machte eine
verzweifelte Anſtrengung und erlag.

65.
Ruͤckkehr nach Konſtantinopel. — Empfang beim Ve-
ſier. — Audienz beim Sultan Abdul-Medſchid.

Der Großherrliche Ferman, welcher Hafiß-Paſcha
vom Ober-Befehl entband und ihn vorlaͤufig nach Sivas
beſchied, wurde am 28. Juli feierlich verleſen. Mehmet-
Aly-Bey,
der kaiſerliche Abgeſandte, hatte uns eingela-
den, ihn auf ſeiner Reiſe zu Lande nach Konſtantinopel zu
begleiten, da er aber noch in Angora und Kutahja ver-
weilen ſollte, ſo zogen wir es vor, mit dem am 3. Auguſt

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[401/0411] ſpiele gefolgt. Dieſe ſchmaͤhliche Deſertion wirft ein Licht auf die hieſigen Zuſtaͤnde, ſchlimmer, als alle verlorenen Schlachten. Wir hatten uns vorzuͤglich zu Hafiß-Paſcha ver- fuͤgt, weil zu erwarten ſtand, daß hier Arrieregarden-Ge- fechte ſtattfinden wuͤrden; wir fanden aber die tiefſte Ruhe. Jbrahim-Paſcha iſt nach ſeinem Siege wie angebannt ſtehen geblieben. Wenn diplomatiſche Vermittelung dieſen Zauber uͤben kann, nachdem das Ungluͤck geſchehen, ſo iſt nur zu bedauern, daß ſie nicht eingeſchritten, um es ganz zu vermeiden; in der That glaube ich, hatte man in Eu- ropa von dem wahren Zuſtand keine richtige Kenntniß gehabt. Mehmet-Aly und die Pforte ſtanden wie zwei Ringer, welche die hoͤchſte gleichmaͤßige Anſtrengung aller ihrer Kraͤfte in einen Zuſtand anſcheinender Bewegungsloſigkeit verſetzt, den man fuͤr Ruhe nahm. Zufrieden, hier keinen Kampf zu ſehen, ſagte die europaͤiſche Diplomatie: „Sehr gut; nun bleibt aber auch ſtill, und wer von euch ſich zuerſt regt, den werden wir als Agreſſeur bezeichnen.“ Sieben Jahre ſtanden die beiden ungluͤcklichen Ringer ſo, da fuͤhlte der eine, daß die Kraͤfte ihm ausgehen; er machte eine verzweifelte Anſtrengung und erlag. 65. Ruͤckkehr nach Konſtantinopel. — Empfang beim Ve- ſier. — Audienz beim Sultan Abdul-Medſchid. Konſtantinopel, den 10. Auguſt 1839. Der Großherrliche Ferman, welcher Hafiß-Paſcha vom Ober-Befehl entband und ihn vorlaͤufig nach Sivas beſchied, wurde am 28. Juli feierlich verleſen. Mehmet- Aly-Bey, der kaiſerliche Abgeſandte, hatte uns eingela- den, ihn auf ſeiner Reiſe zu Lande nach Konſtantinopel zu begleiten, da er aber noch in Angora und Kutahja ver- weilen ſollte, ſo zogen wir es vor, mit dem am 3. Auguſt 26

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/411>, abgerufen am 24.11.2024.