gangen und ich den Weg kannte, ritten wir gemach weiter und erreichten mit aufgehender Sonne unangefochten Jar- pys. Der Transport hingegen war angegriffen worden und hatte einige Leute verloren. Jn Jarpys erfuhren wir zu unserer Freude, daß das Corps Jsset-Pascha's hin- ter Albistan lagerte; wir ritten noch am nämlichen Tage mit unsern müden Pferden weiter, und hatten die Freude, meinen Cameraden, den Hauptmann V., dort zu treffen, der uns mit der freundlichsten Herzlichkeit empfing, und uns armen Erschöpften und Flüchtlingen nach langer Zeit einmal wieder eine gute Aufnahme bereitete. Wir fielen sogleich über seine Eßwaaren, seine Kleider und Wäsche her, machten vier Theile, und nahmen jeder einen, so daß er nicht weniger geplündert war, als wir selbst. Wir folg- ten nun dem Corps zwei Märsche bis Derindeh, von wo wir mit V. zusammen in zwei Tagemärschen durch den Agtsche-Dagh zu Hafiß-Pascha gelangten.
Hafiß-Pascha empfing uns so wohlwollend und gut, wie man es in seiner Lage nur erwarten konnte. Ein tür- kischer commandirender General, welcher geschlagen ist, weiß nicht allzu gewiß, ob er einen Kopf auf den Schultern hat, oder nicht. Alles Commando hört dann auf, daher ist von einer Verfolgung des Siegs in diesen Ländern noch ein unendlich größeres Resultat zu erwarten, als überhaupt schon sonst. Die Correspondenz mit Konstantinopel mittelst Tataren erfordert mindestens sechzehn Tage, und daher weiß Hafiß-Pascha heute noch nicht, ob er Seraskier des Orients, oder ein verurtheilter Verbannter ist. Diese Entscheidung wird täglich erwartet.
Seitdem man aber in Konstantinopel über den Fall berathen, haben andere wichtige Ereignisse stattgefunden. Gleich bei unserer Ankunft hier erfuhren wir, daß das Corps Osman-Pascha's von Kaisarieh, 3000 Mann stark, bei Göryn seine Gewehre weggeworfen und ausein- ander gelaufen sei; acht Tage später war das Corps Jsset- Pascha's, 12,000 Mann, bei Derindeh demselben Bei-
gangen und ich den Weg kannte, ritten wir gemach weiter und erreichten mit aufgehender Sonne unangefochten Jar- pys. Der Transport hingegen war angegriffen worden und hatte einige Leute verloren. Jn Jarpys erfuhren wir zu unſerer Freude, daß das Corps Jſſet-Paſcha's hin- ter Albiſtan lagerte; wir ritten noch am naͤmlichen Tage mit unſern muͤden Pferden weiter, und hatten die Freude, meinen Cameraden, den Hauptmann V., dort zu treffen, der uns mit der freundlichſten Herzlichkeit empfing, und uns armen Erſchoͤpften und Fluͤchtlingen nach langer Zeit einmal wieder eine gute Aufnahme bereitete. Wir fielen ſogleich uͤber ſeine Eßwaaren, ſeine Kleider und Waͤſche her, machten vier Theile, und nahmen jeder einen, ſo daß er nicht weniger gepluͤndert war, als wir ſelbſt. Wir folg- ten nun dem Corps zwei Maͤrſche bis Derindeh, von wo wir mit V. zuſammen in zwei Tagemaͤrſchen durch den Agtſche-Dagh zu Hafiß-Paſcha gelangten.
Hafiß-Paſcha empfing uns ſo wohlwollend und gut, wie man es in ſeiner Lage nur erwarten konnte. Ein tuͤr- kiſcher commandirender General, welcher geſchlagen iſt, weiß nicht allzu gewiß, ob er einen Kopf auf den Schultern hat, oder nicht. Alles Commando hoͤrt dann auf, daher iſt von einer Verfolgung des Siegs in dieſen Laͤndern noch ein unendlich groͤßeres Reſultat zu erwarten, als uͤberhaupt ſchon ſonſt. Die Correſpondenz mit Konſtantinopel mittelſt Tataren erfordert mindeſtens ſechzehn Tage, und daher weiß Hafiß-Paſcha heute noch nicht, ob er Seraskier des Orients, oder ein verurtheilter Verbannter iſt. Dieſe Entſcheidung wird taͤglich erwartet.
Seitdem man aber in Konſtantinopel uͤber den Fall berathen, haben andere wichtige Ereigniſſe ſtattgefunden. Gleich bei unſerer Ankunft hier erfuhren wir, daß das Corps Osman-Paſcha's von Kaiſarieh, 3000 Mann ſtark, bei Goͤryn ſeine Gewehre weggeworfen und ausein- ander gelaufen ſei; acht Tage ſpaͤter war das Corps Jſſet- Paſcha's, 12,000 Mann, bei Derindeh demſelben Bei-
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gangen und ich den Weg kannte, ritten wir gemach weiter
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und hatte einige Leute verloren. Jn Jarpys erfuhren wir
zu unſerer Freude, daß das Corps Jſſet-Paſcha's hin-
ter Albiſtan lagerte; wir ritten noch am naͤmlichen Tage
mit unſern muͤden Pferden weiter, und hatten die Freude,
meinen Cameraden, den Hauptmann V., dort zu treffen,
der uns mit der freundlichſten Herzlichkeit empfing, und
uns armen Erſchoͤpften und Fluͤchtlingen nach langer Zeit
einmal wieder eine gute Aufnahme bereitete. Wir fielen
ſogleich uͤber ſeine Eßwaaren, ſeine Kleider und Waͤſche
her, machten vier Theile, und nahmen jeder einen, ſo daß
er nicht weniger gepluͤndert war, als wir ſelbſt. Wir folg-
ten nun dem Corps zwei Maͤrſche bis Derindeh, von wo
wir mit V. zuſammen in zwei Tagemaͤrſchen durch den
Agtſche-Dagh zu Hafiß-Paſcha gelangten.
Hafiß-Paſcha empfing uns ſo wohlwollend und gut,
wie man es in ſeiner Lage nur erwarten konnte. Ein tuͤr-
kiſcher commandirender General, welcher geſchlagen iſt, weiß
nicht allzu gewiß, ob er einen Kopf auf den Schultern hat,
oder nicht. Alles Commando hoͤrt dann auf, daher iſt von
einer Verfolgung des Siegs in dieſen Laͤndern noch ein
unendlich groͤßeres Reſultat zu erwarten, als uͤberhaupt
ſchon ſonſt. Die Correſpondenz mit Konſtantinopel mittelſt
Tataren erfordert mindeſtens ſechzehn Tage, und daher
weiß Hafiß-Paſcha heute noch nicht, ob er Seraskier
des Orients, oder ein verurtheilter Verbannter iſt. Dieſe
Entſcheidung wird taͤglich erwartet.
Seitdem man aber in Konſtantinopel uͤber den Fall
berathen, haben andere wichtige Ereigniſſe ſtattgefunden.
Gleich bei unſerer Ankunft hier erfuhren wir, daß das
Corps Osman-Paſcha's von Kaiſarieh, 3000 Mann
ſtark, bei Goͤryn ſeine Gewehre weggeworfen und ausein-
ander gelaufen ſei; acht Tage ſpaͤter war das Corps Jſſet-
Paſcha's, 12,000 Mann, bei Derindeh demſelben Bei-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/410>, abgerufen am 23.11.2024.
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