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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ter diesen Umständen war eine türkische Bedeckung für un-
sere Sicherheit unentbehrlich. Jch bedauere hauptsächlich
den Verlust eines Theils meiner Karten, von welchen ich
keine Copien besitze.

Nachdem ich zwei Tage in Marasch der Ruhe genos-
sen, die mir unentbehrlich war, und wir erfahren hatten,
daß Hafiß-Pascha nach Malatia gegangen sei, brachen
wir dahin auf. Alle direkte Communicationen waren jedoch
durch die Kurden und durch die turkmanischen Wander-
stämme unterbrochen; wir schlossen uns demnach 80 Rei-
tern an, die unter Mystik-Bey in Payas einen kleinen Jn-
surgentenkrieg geführt, um auf dem Umwege durchs Ge-
birge zur Armee zurückzukehren suchten. Nach einem sehr
angestrengten Marsche erreichten wir ein befreundetes turk-
manisches Aschiret oder Lager auf einer köstlich grünen Ebene
mitten unter rauhen Felsgebirgen; am folgenden Tage ging
es wegen Ermüdung der Pferde nur bis Gebenn, und den
dritten Tag ritt ich mit Hauptmann L. bis Gögsyn vor-
aus über die schwierigen und verrufenen Engpässe von Ma-
riamtschil-Kalessi. Der Umweg, den wir machen mußten,
war wenigstens für meine Karten ein Gewinn.

Jn Gögsyn fanden wir durch einen glücklichen Zufall
einen Wagenzug von vierzig zweiräderigen, mit Büffeln be-
spannten Karren, welcher dem Corps Jsset-Pascha's
nachfolgte. Es war schon Abend, und wir brachen, ob-
wohl wir den ganzen Tag geritten, sogleich wieder mit auf.
Die Strecke von Gögsyn bis Jarpys (neun Stunden) war
sehr unsicher durch Flüchtlinge und durch die Stämme At-
maly, Dschorid und Tschadarly. Man besorgte, angegriffen
zu werden, da die Eskorte nur schwach war. Dieser Nacht-
marsch ging nun natürlich sehr langsam und war so uner-
träglich, daß L. und ich mit unsern zwei Tschauschen allein
voraus ritten; ermüdet legten wir uns gegen Mitternacht
in einen Busch, um kurze Zeit zu ruhen. Wir wurden ge-
weckt von unsern Leuten, welche Menschen im Gebüsch her-
umschleichen gesehen haben wollten; da der Mond aufge-

ter dieſen Umſtaͤnden war eine tuͤrkiſche Bedeckung fuͤr un-
ſere Sicherheit unentbehrlich. Jch bedauere hauptſaͤchlich
den Verluſt eines Theils meiner Karten, von welchen ich
keine Copien beſitze.

Nachdem ich zwei Tage in Maraſch der Ruhe genoſ-
ſen, die mir unentbehrlich war, und wir erfahren hatten,
daß Hafiß-Paſcha nach Malatia gegangen ſei, brachen
wir dahin auf. Alle direkte Communicationen waren jedoch
durch die Kurden und durch die turkmaniſchen Wander-
ſtaͤmme unterbrochen; wir ſchloſſen uns demnach 80 Rei-
tern an, die unter Myſtik-Bey in Payas einen kleinen Jn-
ſurgentenkrieg gefuͤhrt, um auf dem Umwege durchs Ge-
birge zur Armee zuruͤckzukehren ſuchten. Nach einem ſehr
angeſtrengten Marſche erreichten wir ein befreundetes turk-
maniſches Aſchiret oder Lager auf einer koͤſtlich gruͤnen Ebene
mitten unter rauhen Felsgebirgen; am folgenden Tage ging
es wegen Ermuͤdung der Pferde nur bis Gebenn, und den
dritten Tag ritt ich mit Hauptmann L. bis Goͤgſyn vor-
aus uͤber die ſchwierigen und verrufenen Engpaͤſſe von Ma-
riamtſchil-Kaleſſi. Der Umweg, den wir machen mußten,
war wenigſtens fuͤr meine Karten ein Gewinn.

Jn Goͤgſyn fanden wir durch einen gluͤcklichen Zufall
einen Wagenzug von vierzig zweiraͤderigen, mit Buͤffeln be-
ſpannten Karren, welcher dem Corps Jſſet-Paſcha's
nachfolgte. Es war ſchon Abend, und wir brachen, ob-
wohl wir den ganzen Tag geritten, ſogleich wieder mit auf.
Die Strecke von Goͤgſyn bis Jarpys (neun Stunden) war
ſehr unſicher durch Fluͤchtlinge und durch die Staͤmme At-
maly, Dſchorid und Tſchadarly. Man beſorgte, angegriffen
zu werden, da die Eskorte nur ſchwach war. Dieſer Nacht-
marſch ging nun natuͤrlich ſehr langſam und war ſo uner-
traͤglich, daß L. und ich mit unſern zwei Tſchauſchen allein
voraus ritten; ermuͤdet legten wir uns gegen Mitternacht
in einen Buſch, um kurze Zeit zu ruhen. Wir wurden ge-
weckt von unſern Leuten, welche Menſchen im Gebuͤſch her-
umſchleichen geſehen haben wollten; da der Mond aufge-

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[399/0409] ter dieſen Umſtaͤnden war eine tuͤrkiſche Bedeckung fuͤr un- ſere Sicherheit unentbehrlich. Jch bedauere hauptſaͤchlich den Verluſt eines Theils meiner Karten, von welchen ich keine Copien beſitze. Nachdem ich zwei Tage in Maraſch der Ruhe genoſ- ſen, die mir unentbehrlich war, und wir erfahren hatten, daß Hafiß-Paſcha nach Malatia gegangen ſei, brachen wir dahin auf. Alle direkte Communicationen waren jedoch durch die Kurden und durch die turkmaniſchen Wander- ſtaͤmme unterbrochen; wir ſchloſſen uns demnach 80 Rei- tern an, die unter Myſtik-Bey in Payas einen kleinen Jn- ſurgentenkrieg gefuͤhrt, um auf dem Umwege durchs Ge- birge zur Armee zuruͤckzukehren ſuchten. Nach einem ſehr angeſtrengten Marſche erreichten wir ein befreundetes turk- maniſches Aſchiret oder Lager auf einer koͤſtlich gruͤnen Ebene mitten unter rauhen Felsgebirgen; am folgenden Tage ging es wegen Ermuͤdung der Pferde nur bis Gebenn, und den dritten Tag ritt ich mit Hauptmann L. bis Goͤgſyn vor- aus uͤber die ſchwierigen und verrufenen Engpaͤſſe von Ma- riamtſchil-Kaleſſi. Der Umweg, den wir machen mußten, war wenigſtens fuͤr meine Karten ein Gewinn. Jn Goͤgſyn fanden wir durch einen gluͤcklichen Zufall einen Wagenzug von vierzig zweiraͤderigen, mit Buͤffeln be- ſpannten Karren, welcher dem Corps Jſſet-Paſcha's nachfolgte. Es war ſchon Abend, und wir brachen, ob- wohl wir den ganzen Tag geritten, ſogleich wieder mit auf. Die Strecke von Goͤgſyn bis Jarpys (neun Stunden) war ſehr unſicher durch Fluͤchtlinge und durch die Staͤmme At- maly, Dſchorid und Tſchadarly. Man beſorgte, angegriffen zu werden, da die Eskorte nur ſchwach war. Dieſer Nacht- marſch ging nun natuͤrlich ſehr langſam und war ſo uner- traͤglich, daß L. und ich mit unſern zwei Tſchauſchen allein voraus ritten; ermuͤdet legten wir uns gegen Mitternacht in einen Buſch, um kurze Zeit zu ruhen. Wir wurden ge- weckt von unſern Leuten, welche Menſchen im Gebuͤſch her- umſchleichen geſehen haben wollten; da der Mond aufge-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/409>, abgerufen am 05.05.2024.