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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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dahin aber nur Frieden athmen und gar keine Rede vom
baldigen Aufbruch eures Corps ist, setzt mich in Erstau-
nen. Was für offizielle Friedensnoten Dir auch aus Kon-
stantinopel zugehen, glaube mir, daß der Krieg unvermeid-
lich und fest beschlossen ist.

Jch habe Dir mit dem letzten Courier über Konstan-
tinopel ausführlich unsern Marsch hierher, die halsgefähr-
liche Concentrirung und unsere sehr gute jetzige Aufstellung
gemeldet. Die Artillerie ist (nach fünf, fast sechs Wochen)
noch nicht ganz angekommen; es sind etwa 80 Geschütze hier,
40 unterwegs, wovon zwanzig aber wahrscheinlich heut auf
dem Murad hier eintreffen; das erste Regiment hat vierzig
Pferde todt, und die übrigen so zugerichtet, daß man die
frühere Pracht nicht wieder erkennt. L. ist darüber sehr
betrübt, es giebt endlose Reparaturen. -- Unsere Cavalle-
rie ist vollzählig, und wir haben jetzt 8 Regimenter hier,
zu denen noch 1500 Pferde aus Musch stoßen; von Jnfan-
terie stehen 53 Bataillone im Lager. Jch brauche Dir nicht
zu sagen, daß wir wieder sehr viel Menschen, namentlich
durch Desertion, verloren; ich schätze die wirkliche Stärke
auf 25- bis 28,000 Mann Jnfanterie mit 5000 Pferden
und 100 Geschützen. Wenn wir 30,000 Mann in's Ge-
fecht bringen, will ich zufrieden sein, das ist aber auch
höchst wahrscheinlich mehr, als Alles, was Jbrahim an
regulairen Truppen gegen uns verwenden kann, da er doch
den Kuleck-Boghas nicht wird entblößen dürfen, ohne daß
Hadschi-Aly nachfährt.

Wir erwarten eine verhältnißmäßig sehr große Zahl
Jrregulairer; ich nenne zuerst die Annesi-Araber, welche im
östlichen Syrien und Mesopotamien umherstreifen und Jbra-
him
sehr lästig sein würden, dann die Baschi-bosuks aus
Diarbekir, Mardin, Palu etc., unsere alten Verbündeten vor
Sayd-Bey-Kalessi, Vederhan-Bey mit seinen Kurden und
Consorten. Was das Alles für Kosten macht, kannst Du
Dir denken; 100,000 Kilo Weizen werden angekauft, die
Unregelmäßigen erhalten den Tain oder Ration, und sind

dahin aber nur Frieden athmen und gar keine Rede vom
baldigen Aufbruch eures Corps iſt, ſetzt mich in Erſtau-
nen. Was fuͤr offizielle Friedensnoten Dir auch aus Kon-
ſtantinopel zugehen, glaube mir, daß der Krieg unvermeid-
lich und feſt beſchloſſen iſt.

Jch habe Dir mit dem letzten Courier uͤber Konſtan-
tinopel ausfuͤhrlich unſern Marſch hierher, die halsgefaͤhr-
liche Concentrirung und unſere ſehr gute jetzige Aufſtellung
gemeldet. Die Artillerie iſt (nach fuͤnf, faſt ſechs Wochen)
noch nicht ganz angekommen; es ſind etwa 80 Geſchuͤtze hier,
40 unterwegs, wovon zwanzig aber wahrſcheinlich heut auf
dem Murad hier eintreffen; das erſte Regiment hat vierzig
Pferde todt, und die uͤbrigen ſo zugerichtet, daß man die
fruͤhere Pracht nicht wieder erkennt. L. iſt daruͤber ſehr
betruͤbt, es giebt endloſe Reparaturen. — Unſere Cavalle-
rie iſt vollzaͤhlig, und wir haben jetzt 8 Regimenter hier,
zu denen noch 1500 Pferde aus Muſch ſtoßen; von Jnfan-
terie ſtehen 53 Bataillone im Lager. Jch brauche Dir nicht
zu ſagen, daß wir wieder ſehr viel Menſchen, namentlich
durch Deſertion, verloren; ich ſchaͤtze die wirkliche Staͤrke
auf 25- bis 28,000 Mann Jnfanterie mit 5000 Pferden
und 100 Geſchuͤtzen. Wenn wir 30,000 Mann in's Ge-
fecht bringen, will ich zufrieden ſein, das iſt aber auch
hoͤchſt wahrſcheinlich mehr, als Alles, was Jbrahim an
regulairen Truppen gegen uns verwenden kann, da er doch
den Kuleck-Boghas nicht wird entbloͤßen duͤrfen, ohne daß
Hadſchi-Aly nachfaͤhrt.

Wir erwarten eine verhaͤltnißmaͤßig ſehr große Zahl
Jrregulairer; ich nenne zuerſt die Anneſi-Araber, welche im
oͤſtlichen Syrien und Meſopotamien umherſtreifen und Jbra-
him
ſehr laͤſtig ſein wuͤrden, dann die Baſchi-boſuks aus
Diarbekir, Mardin, Palu ꝛc., unſere alten Verbuͤndeten vor
Sayd-Bey-Kaleſſi, Vederhan-Bey mit ſeinen Kurden und
Conſorten. Was das Alles fuͤr Koſten macht, kannſt Du
Dir denken; 100,000 Kilo Weizen werden angekauft, die
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[374/0384] dahin aber nur Frieden athmen und gar keine Rede vom baldigen Aufbruch eures Corps iſt, ſetzt mich in Erſtau- nen. Was fuͤr offizielle Friedensnoten Dir auch aus Kon- ſtantinopel zugehen, glaube mir, daß der Krieg unvermeid- lich und feſt beſchloſſen iſt. Jch habe Dir mit dem letzten Courier uͤber Konſtan- tinopel ausfuͤhrlich unſern Marſch hierher, die halsgefaͤhr- liche Concentrirung und unſere ſehr gute jetzige Aufſtellung gemeldet. Die Artillerie iſt (nach fuͤnf, faſt ſechs Wochen) noch nicht ganz angekommen; es ſind etwa 80 Geſchuͤtze hier, 40 unterwegs, wovon zwanzig aber wahrſcheinlich heut auf dem Murad hier eintreffen; das erſte Regiment hat vierzig Pferde todt, und die uͤbrigen ſo zugerichtet, daß man die fruͤhere Pracht nicht wieder erkennt. L. iſt daruͤber ſehr betruͤbt, es giebt endloſe Reparaturen. — Unſere Cavalle- rie iſt vollzaͤhlig, und wir haben jetzt 8 Regimenter hier, zu denen noch 1500 Pferde aus Muſch ſtoßen; von Jnfan- terie ſtehen 53 Bataillone im Lager. Jch brauche Dir nicht zu ſagen, daß wir wieder ſehr viel Menſchen, namentlich durch Deſertion, verloren; ich ſchaͤtze die wirkliche Staͤrke auf 25- bis 28,000 Mann Jnfanterie mit 5000 Pferden und 100 Geſchuͤtzen. Wenn wir 30,000 Mann in's Ge- fecht bringen, will ich zufrieden ſein, das iſt aber auch hoͤchſt wahrſcheinlich mehr, als Alles, was Jbrahim an regulairen Truppen gegen uns verwenden kann, da er doch den Kuleck-Boghas nicht wird entbloͤßen duͤrfen, ohne daß Hadſchi-Aly nachfaͤhrt. Wir erwarten eine verhaͤltnißmaͤßig ſehr große Zahl Jrregulairer; ich nenne zuerſt die Anneſi-Araber, welche im oͤſtlichen Syrien und Meſopotamien umherſtreifen und Jbra- him ſehr laͤſtig ſein wuͤrden, dann die Baſchi-boſuks aus Diarbekir, Mardin, Palu ꝛc., unſere alten Verbuͤndeten vor Sayd-Bey-Kaleſſi, Vederhan-Bey mit ſeinen Kurden und Conſorten. Was das Alles fuͤr Koſten macht, kannſt Du Dir denken; 100,000 Kilo Weizen werden angekauft, die Unregelmaͤßigen erhalten den Tain oder Ration, und ſind

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/384>, abgerufen am 25.06.2024.