Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Nachrichten über den friedlichen Stand der Dinge
würden mich noch mehr erfreuen, wenn die Verwickelungen
hier nicht bereits bis zu einer Höhe gediehen wären, wo
eine gütliche Lösung kaum mehr zu hoffen steht. Die Vor-
posten unsers Corps sind auf bestimmten Befehl des Com-
mandirenden bis an die Grenze selbst vorgeschoben; in kur-
zer Zeit wird sich eine bedeutende Menge unregelmäßiger
Truppen hier einstellen, deren Ernährung auf die Dauer
unmöglich ist. Es bleibt dann nur übrig, entweder die mit
so großen Kosten und Opfern zu Stande gebrachte Verei-
nigung wieder aufzulösen, oder vorzugehen.

Andererseits kann man Jbrahim-Pascha jetzt kaum
noch zumuthen, seine Truppen nach Damaskus zurückzu-
ziehen; diese Maaßregel käme einer förmlichen Aufgebuug
des nördlichen Syriens gleich. Aleppo würde sofort die
Waffen ergreifen, und das Corps in Adana völlig isolirt
sein. Ob Jbrahim aber in seiner jetzigen (unstreitig sehr
bedenklichen) Lage nicht wirklich zu einer völligen Gebiets-
abtretung sehr geneigt sein dürfte, stelle ich anheim, glaube
aber, daß ohne eine solche die Pforte kaum ihre Heere zu-
rückziehen wird.

Die wahrscheinlich schon erfolgte Rückreise des Haupt-
manns F. ist sehr zu bedauern; nachdem die Pforte ihre
drei asiatischen Corps nicht unter einen und denselben Ober-
befehl hat stellen wollen, ist ein einigermaßen übereinstim-
mendes Handeln vielleicht nur allein durch Einwirkung der
preußischen Offiziere zu erreichen.


Der gestern aus Angora eingetroffene Jnfanterie-Kai-
makan hat uns leider keine Nachricht von Dir mitgebracht,
indeß gehen Deine Briefe bis zum 22. April; daß sie bis


Die Nachrichten uͤber den friedlichen Stand der Dinge
wuͤrden mich noch mehr erfreuen, wenn die Verwickelungen
hier nicht bereits bis zu einer Hoͤhe gediehen waͤren, wo
eine guͤtliche Loͤſung kaum mehr zu hoffen ſteht. Die Vor-
poſten unſers Corps ſind auf beſtimmten Befehl des Com-
mandirenden bis an die Grenze ſelbſt vorgeſchoben; in kur-
zer Zeit wird ſich eine bedeutende Menge unregelmaͤßiger
Truppen hier einſtellen, deren Ernaͤhrung auf die Dauer
unmoͤglich iſt. Es bleibt dann nur uͤbrig, entweder die mit
ſo großen Koſten und Opfern zu Stande gebrachte Verei-
nigung wieder aufzuloͤſen, oder vorzugehen.

Andererſeits kann man Jbrahim-Paſcha jetzt kaum
noch zumuthen, ſeine Truppen nach Damaskus zuruͤckzu-
ziehen; dieſe Maaßregel kaͤme einer foͤrmlichen Aufgebuug
des noͤrdlichen Syriens gleich. Aleppo wuͤrde ſofort die
Waffen ergreifen, und das Corps in Adana voͤllig iſolirt
ſein. Ob Jbrahim aber in ſeiner jetzigen (unſtreitig ſehr
bedenklichen) Lage nicht wirklich zu einer voͤlligen Gebiets-
abtretung ſehr geneigt ſein duͤrfte, ſtelle ich anheim, glaube
aber, daß ohne eine ſolche die Pforte kaum ihre Heere zu-
ruͤckziehen wird.

Die wahrſcheinlich ſchon erfolgte Ruͤckreiſe des Haupt-
manns F. iſt ſehr zu bedauern; nachdem die Pforte ihre
drei aſiatiſchen Corps nicht unter einen und denſelben Ober-
befehl hat ſtellen wollen, iſt ein einigermaßen uͤbereinſtim-
mendes Handeln vielleicht nur allein durch Einwirkung der
preußiſchen Offiziere zu erreichen.


Der geſtern aus Angora eingetroffene Jnfanterie-Kai-
makan hat uns leider keine Nachricht von Dir mitgebracht,
indeß gehen Deine Briefe bis zum 22. April; daß ſie bis

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0383" n="373"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Birad&#x017F;chik, den 13. Mai 1839.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Die Nachrichten u&#x0364;ber den friedlichen Stand der Dinge<lb/>
wu&#x0364;rden mich noch mehr erfreuen, wenn die Verwickelungen<lb/>
hier nicht bereits bis zu einer Ho&#x0364;he gediehen wa&#x0364;ren, wo<lb/>
eine gu&#x0364;tliche Lo&#x0364;&#x017F;ung kaum mehr zu hoffen &#x017F;teht. Die Vor-<lb/>
po&#x017F;ten un&#x017F;ers Corps &#x017F;ind auf be&#x017F;timmten Befehl des Com-<lb/>
mandirenden bis an die Grenze &#x017F;elb&#x017F;t vorge&#x017F;choben; in kur-<lb/>
zer Zeit wird &#x017F;ich eine bedeutende Menge unregelma&#x0364;ßiger<lb/>
Truppen hier ein&#x017F;tellen, deren Erna&#x0364;hrung auf die Dauer<lb/>
unmo&#x0364;glich i&#x017F;t. Es bleibt dann nur u&#x0364;brig, entweder die mit<lb/>
&#x017F;o großen Ko&#x017F;ten und Opfern zu Stande gebrachte Verei-<lb/>
nigung wieder aufzulo&#x0364;&#x017F;en, oder vorzugehen.</p><lb/>
          <p>Anderer&#x017F;eits kann man <hi rendition="#g">Jbrahim-Pa&#x017F;cha</hi> jetzt kaum<lb/>
noch zumuthen, &#x017F;eine Truppen nach Damaskus zuru&#x0364;ckzu-<lb/>
ziehen; die&#x017F;e Maaßregel ka&#x0364;me einer fo&#x0364;rmlichen Aufgebuug<lb/>
des no&#x0364;rdlichen Syriens gleich. Aleppo wu&#x0364;rde &#x017F;ofort die<lb/>
Waffen ergreifen, und das Corps in Adana vo&#x0364;llig i&#x017F;olirt<lb/>
&#x017F;ein. Ob <hi rendition="#g">Jbrahim</hi> aber in &#x017F;einer jetzigen (un&#x017F;treitig &#x017F;ehr<lb/>
bedenklichen) Lage nicht wirklich zu einer vo&#x0364;lligen Gebiets-<lb/>
abtretung &#x017F;ehr geneigt &#x017F;ein du&#x0364;rfte, &#x017F;telle ich anheim, glaube<lb/>
aber, daß ohne eine &#x017F;olche die Pforte kaum ihre Heere zu-<lb/>
ru&#x0364;ckziehen wird.</p><lb/>
          <p>Die wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;chon erfolgte Ru&#x0364;ckrei&#x017F;e des Haupt-<lb/>
manns F. i&#x017F;t &#x017F;ehr zu bedauern; nachdem die Pforte ihre<lb/>
drei a&#x017F;iati&#x017F;chen Corps nicht unter einen und den&#x017F;elben Ober-<lb/>
befehl hat &#x017F;tellen wollen, i&#x017F;t ein einigermaßen u&#x0364;berein&#x017F;tim-<lb/>
mendes Handeln vielleicht nur allein durch Einwirkung der<lb/>
preußi&#x017F;chen Offiziere zu erreichen.</p>
        </div><lb/>
        <div>
          <dateline> <hi rendition="#et">Lager von Birad&#x017F;chik (rechtes Ufer), den 20. Mai 1839.<lb/>
Pfing&#x017F;ttag.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Der ge&#x017F;tern aus Angora eingetroffene Jnfanterie-Kai-<lb/>
makan hat uns leider keine Nachricht von Dir mitgebracht,<lb/>
indeß gehen Deine Briefe bis zum 22. April; daß &#x017F;ie bis<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0383] Biradſchik, den 13. Mai 1839. Die Nachrichten uͤber den friedlichen Stand der Dinge wuͤrden mich noch mehr erfreuen, wenn die Verwickelungen hier nicht bereits bis zu einer Hoͤhe gediehen waͤren, wo eine guͤtliche Loͤſung kaum mehr zu hoffen ſteht. Die Vor- poſten unſers Corps ſind auf beſtimmten Befehl des Com- mandirenden bis an die Grenze ſelbſt vorgeſchoben; in kur- zer Zeit wird ſich eine bedeutende Menge unregelmaͤßiger Truppen hier einſtellen, deren Ernaͤhrung auf die Dauer unmoͤglich iſt. Es bleibt dann nur uͤbrig, entweder die mit ſo großen Koſten und Opfern zu Stande gebrachte Verei- nigung wieder aufzuloͤſen, oder vorzugehen. Andererſeits kann man Jbrahim-Paſcha jetzt kaum noch zumuthen, ſeine Truppen nach Damaskus zuruͤckzu- ziehen; dieſe Maaßregel kaͤme einer foͤrmlichen Aufgebuug des noͤrdlichen Syriens gleich. Aleppo wuͤrde ſofort die Waffen ergreifen, und das Corps in Adana voͤllig iſolirt ſein. Ob Jbrahim aber in ſeiner jetzigen (unſtreitig ſehr bedenklichen) Lage nicht wirklich zu einer voͤlligen Gebiets- abtretung ſehr geneigt ſein duͤrfte, ſtelle ich anheim, glaube aber, daß ohne eine ſolche die Pforte kaum ihre Heere zu- ruͤckziehen wird. Die wahrſcheinlich ſchon erfolgte Ruͤckreiſe des Haupt- manns F. iſt ſehr zu bedauern; nachdem die Pforte ihre drei aſiatiſchen Corps nicht unter einen und denſelben Ober- befehl hat ſtellen wollen, iſt ein einigermaßen uͤbereinſtim- mendes Handeln vielleicht nur allein durch Einwirkung der preußiſchen Offiziere zu erreichen. Lager von Biradſchik (rechtes Ufer), den 20. Mai 1839. Pfingſttag. Der geſtern aus Angora eingetroffene Jnfanterie-Kai- makan hat uns leider keine Nachricht von Dir mitgebracht, indeß gehen Deine Briefe bis zum 22. April; daß ſie bis

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/383
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/383>, abgerufen am 17.05.2024.