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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Jbrahim steht bei Han-Tuman hinter Aleppo mit
8 Regimentern, und trotz aller Rede, daß er sich auf Akre
zurückziehen wird, glaube ich, es wird vor Aleppo zur Schlacht
kommen; er kann unmöglich Nord-Syrien und Adana ganz
ohne Schwertschlag aufgeben, dadurch öffnet er den 18,000
Mann Hadschi-Aly's die Thür. Was werdet Jhr nun
thun? Die Einheit des Commando's haben wir nicht er-
langen können.

N. S. Wir zahlen jetzt für unsere Deserteurs tau-
send Piaster; ich glaube, daß Jbrahim selbst sie uns um
diesen Preis ausliefern wird, denn das Geld ist knapp drüben.

Die Stimmung unter den Truppen ist gut; sie glau-
ben 80,000 Mann stark zu sein, und begreifen nicht, warum
wir hier so lange stehen bleiben. Wir lassen ihnen gern
diese Meinung.


Jch unterlasse nicht, darauf aufmerksam zu machen,
daß bei der großen Nähe beider Corps jetzt ein bloßer Zu-
fall den Ausbruch der Feindseligkeiten herbeiführen kann;
schon haben die irregulairen Truppen ein Dorf auf diessei-
tigem Gebiete geplündert, und obwohl Hafiß-Pascha die-
ser Unregelmäßigkeit keine Folge gegeben, so sind derglei-
chen Excesse, so wie partielle Aufstände in dem nördlichen
Syrien nur zu wahrscheinlich. Jch habe nie den Krieg,
sondern die friedliche Vermittelung durch gemeinsames Ein-
schreiten der europäischen Mächte für die wünschenswertheste
Auskunft gehalten; noch jetzt hege ich dieselbe Ueberzeugung,
nur freilich müßte, was geschehen soll, ohne allen Verzug
in Ausführung gebracht werden. Wie friedlich auch die
Nachrichten aus Konstantinopel lauten, so kann ich von
meinem Standpunkte aus den Krieg nur als höchst wahr-
scheinlich ansehen, und glaube meine Pflicht zu erfüllen, in-
dem ich diese Ueberzeugung nochmals zur Kenntniß bringe.

Jbrahim ſteht bei Han-Tuman hinter Aleppo mit
8 Regimentern, und trotz aller Rede, daß er ſich auf Akre
zuruͤckziehen wird, glaube ich, es wird vor Aleppo zur Schlacht
kommen; er kann unmoͤglich Nord-Syrien und Adana ganz
ohne Schwertſchlag aufgeben, dadurch oͤffnet er den 18,000
Mann Hadſchi-Aly's die Thuͤr. Was werdet Jhr nun
thun? Die Einheit des Commando's haben wir nicht er-
langen koͤnnen.

N. S. Wir zahlen jetzt fuͤr unſere Deſerteurs tau-
ſend Piaſter; ich glaube, daß Jbrahim ſelbſt ſie uns um
dieſen Preis ausliefern wird, denn das Geld iſt knapp druͤben.

Die Stimmung unter den Truppen iſt gut; ſie glau-
ben 80,000 Mann ſtark zu ſein, und begreifen nicht, warum
wir hier ſo lange ſtehen bleiben. Wir laſſen ihnen gern
dieſe Meinung.


Jch unterlaſſe nicht, darauf aufmerkſam zu machen,
daß bei der großen Naͤhe beider Corps jetzt ein bloßer Zu-
fall den Ausbruch der Feindſeligkeiten herbeifuͤhren kann;
ſchon haben die irregulairen Truppen ein Dorf auf dieſſei-
tigem Gebiete gepluͤndert, und obwohl Hafiß-Paſcha die-
ſer Unregelmaͤßigkeit keine Folge gegeben, ſo ſind derglei-
chen Exceſſe, ſo wie partielle Aufſtaͤnde in dem noͤrdlichen
Syrien nur zu wahrſcheinlich. Jch habe nie den Krieg,
ſondern die friedliche Vermittelung durch gemeinſames Ein-
ſchreiten der europaͤiſchen Maͤchte fuͤr die wuͤnſchenswertheſte
Auskunft gehalten; noch jetzt hege ich dieſelbe Ueberzeugung,
nur freilich muͤßte, was geſchehen ſoll, ohne allen Verzug
in Ausfuͤhrung gebracht werden. Wie friedlich auch die
Nachrichten aus Konſtantinopel lauten, ſo kann ich von
meinem Standpunkte aus den Krieg nur als hoͤchſt wahr-
ſcheinlich anſehen, und glaube meine Pflicht zu erfuͤllen, in-
dem ich dieſe Ueberzeugung nochmals zur Kenntniß bringe.

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[372/0382] Jbrahim ſteht bei Han-Tuman hinter Aleppo mit 8 Regimentern, und trotz aller Rede, daß er ſich auf Akre zuruͤckziehen wird, glaube ich, es wird vor Aleppo zur Schlacht kommen; er kann unmoͤglich Nord-Syrien und Adana ganz ohne Schwertſchlag aufgeben, dadurch oͤffnet er den 18,000 Mann Hadſchi-Aly's die Thuͤr. Was werdet Jhr nun thun? Die Einheit des Commando's haben wir nicht er- langen koͤnnen. N. S. Wir zahlen jetzt fuͤr unſere Deſerteurs tau- ſend Piaſter; ich glaube, daß Jbrahim ſelbſt ſie uns um dieſen Preis ausliefern wird, denn das Geld iſt knapp druͤben. Die Stimmung unter den Truppen iſt gut; ſie glau- ben 80,000 Mann ſtark zu ſein, und begreifen nicht, warum wir hier ſo lange ſtehen bleiben. Wir laſſen ihnen gern dieſe Meinung. Lager von Biradſchik, den 10. Mai 1839. Jch unterlaſſe nicht, darauf aufmerkſam zu machen, daß bei der großen Naͤhe beider Corps jetzt ein bloßer Zu- fall den Ausbruch der Feindſeligkeiten herbeifuͤhren kann; ſchon haben die irregulairen Truppen ein Dorf auf dieſſei- tigem Gebiete gepluͤndert, und obwohl Hafiß-Paſcha die- ſer Unregelmaͤßigkeit keine Folge gegeben, ſo ſind derglei- chen Exceſſe, ſo wie partielle Aufſtaͤnde in dem noͤrdlichen Syrien nur zu wahrſcheinlich. Jch habe nie den Krieg, ſondern die friedliche Vermittelung durch gemeinſames Ein- ſchreiten der europaͤiſchen Maͤchte fuͤr die wuͤnſchenswertheſte Auskunft gehalten; noch jetzt hege ich dieſelbe Ueberzeugung, nur freilich muͤßte, was geſchehen ſoll, ohne allen Verzug in Ausfuͤhrung gebracht werden. Wie friedlich auch die Nachrichten aus Konſtantinopel lauten, ſo kann ich von meinem Standpunkte aus den Krieg nur als hoͤchſt wahr- ſcheinlich anſehen, und glaube meine Pflicht zu erfuͤllen, in- dem ich dieſe Ueberzeugung nochmals zur Kenntniß bringe.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/382>, abgerufen am 17.05.2024.