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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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derselben zählte ich fünf Mühlen, von denen der Fuß der
einen immer auf dem Dache der andern steht, so daß das
Wasser von Rad zu Rad fiel. Zur Zeit der Blüthe muß
der Anblick von oben unbeschreiblich schön sein.

Egin ist die Hauptstadt der Armenier; in diese Schlucht,
in einen fernen Winkel Asiens, flüchtet der armenische Sa-
raf oder Bankier seine Schätze, wenn der Pascha, sein Prin-
zipal, ihm eine oder zwei Millionen Piaster schuldig geblie-
ben, und er sich dann mit etwa eben so viel aus dem Han-
del zieht, denn er hat seinerseits zwei oder vier Millionen
zu viel angeschrieben; dahin kehrt der Kalfa oder armeni-
sche Baumeister, der Bakal oder Eßwaaren-Händler, der
Hamal oder Lastträger zurück, denn es ist seit langer Zeit
einmal so eingeführt, daß aus Egin alle junge Männer
auf zehn Jahre nach der Hauptstadt ziehen, dort an der
Pest sterben, oder wohlhabend in ihre Felsthäler zurück-
kehren.

Abweichend von der Bauart der asiatischen Städte
sind die Häuser hier statt der flachen Erdterrassen mit Dä-
chern versehen; jedes Haus steht auf einer steinernen Sub-
struction, in welcher Niemand wohnt, auf der sich aber zwei
oder drei Stockwerke erheben, wovon das obere stets die
untern überragt. Oberhalb der großen Fenster befindet sich
eine Reihe kleinerer runder Fenster; -- mit einem Worte,
wenn man nur die Häuser sieht, glaubt man in Konstan-
tinopel zu sein.

Der hohe Schnee und die Kürze meines Urlaubs ver-
hinderten mich, weiter vorzugehen; ich kehrte über Tschi-
mischgesek, eine beträchtliche Stadt, zurück, welche noch
keine Karte angiebt, sie liegt zwischen seltsamen Felszacken
an einem schönen Gebirgsbach. Auf der gegenüber liegen-
den Seite des Stroms befindet sich eine senkrechte Fels-
wand; in diesen weichen Sandstein waren früher eine Menge
Wohnungen eingehöhlt gewesen, die ganze äußere Schicht
scheint aber herabgestürzt zu sein, und man sieht nun den
inneren Aufriß dieser Behausungen hoch oben und ohne Zu-

derſelben zaͤhlte ich fuͤnf Muͤhlen, von denen der Fuß der
einen immer auf dem Dache der andern ſteht, ſo daß das
Waſſer von Rad zu Rad fiel. Zur Zeit der Bluͤthe muß
der Anblick von oben unbeſchreiblich ſchoͤn ſein.

Egin iſt die Hauptſtadt der Armenier; in dieſe Schlucht,
in einen fernen Winkel Aſiens, fluͤchtet der armeniſche Sa-
raf oder Bankier ſeine Schaͤtze, wenn der Paſcha, ſein Prin-
zipal, ihm eine oder zwei Millionen Piaſter ſchuldig geblie-
ben, und er ſich dann mit etwa eben ſo viel aus dem Han-
del zieht, denn er hat ſeinerſeits zwei oder vier Millionen
zu viel angeſchrieben; dahin kehrt der Kalfa oder armeni-
ſche Baumeiſter, der Bakal oder Eßwaaren-Haͤndler, der
Hamal oder Laſttraͤger zuruͤck, denn es iſt ſeit langer Zeit
einmal ſo eingefuͤhrt, daß aus Egin alle junge Maͤnner
auf zehn Jahre nach der Hauptſtadt ziehen, dort an der
Peſt ſterben, oder wohlhabend in ihre Felsthaͤler zuruͤck-
kehren.

Abweichend von der Bauart der aſiatiſchen Staͤdte
ſind die Haͤuſer hier ſtatt der flachen Erdterraſſen mit Daͤ-
chern verſehen; jedes Haus ſteht auf einer ſteinernen Sub-
ſtruction, in welcher Niemand wohnt, auf der ſich aber zwei
oder drei Stockwerke erheben, wovon das obere ſtets die
untern uͤberragt. Oberhalb der großen Fenſter befindet ſich
eine Reihe kleinerer runder Fenſter; — mit einem Worte,
wenn man nur die Haͤuſer ſieht, glaubt man in Konſtan-
tinopel zu ſein.

Der hohe Schnee und die Kuͤrze meines Urlaubs ver-
hinderten mich, weiter vorzugehen; ich kehrte uͤber Tſchi-
miſchgeſek, eine betraͤchtliche Stadt, zuruͤck, welche noch
keine Karte angiebt, ſie liegt zwiſchen ſeltſamen Felszacken
an einem ſchoͤnen Gebirgsbach. Auf der gegenuͤber liegen-
den Seite des Stroms befindet ſich eine ſenkrechte Fels-
wand; in dieſen weichen Sandſtein waren fruͤher eine Menge
Wohnungen eingehoͤhlt geweſen, die ganze aͤußere Schicht
ſcheint aber herabgeſtuͤrzt zu ſein, und man ſieht nun den
inneren Aufriß dieſer Behauſungen hoch oben und ohne Zu-

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[360/0370] derſelben zaͤhlte ich fuͤnf Muͤhlen, von denen der Fuß der einen immer auf dem Dache der andern ſteht, ſo daß das Waſſer von Rad zu Rad fiel. Zur Zeit der Bluͤthe muß der Anblick von oben unbeſchreiblich ſchoͤn ſein. Egin iſt die Hauptſtadt der Armenier; in dieſe Schlucht, in einen fernen Winkel Aſiens, fluͤchtet der armeniſche Sa- raf oder Bankier ſeine Schaͤtze, wenn der Paſcha, ſein Prin- zipal, ihm eine oder zwei Millionen Piaſter ſchuldig geblie- ben, und er ſich dann mit etwa eben ſo viel aus dem Han- del zieht, denn er hat ſeinerſeits zwei oder vier Millionen zu viel angeſchrieben; dahin kehrt der Kalfa oder armeni- ſche Baumeiſter, der Bakal oder Eßwaaren-Haͤndler, der Hamal oder Laſttraͤger zuruͤck, denn es iſt ſeit langer Zeit einmal ſo eingefuͤhrt, daß aus Egin alle junge Maͤnner auf zehn Jahre nach der Hauptſtadt ziehen, dort an der Peſt ſterben, oder wohlhabend in ihre Felsthaͤler zuruͤck- kehren. Abweichend von der Bauart der aſiatiſchen Staͤdte ſind die Haͤuſer hier ſtatt der flachen Erdterraſſen mit Daͤ- chern verſehen; jedes Haus ſteht auf einer ſteinernen Sub- ſtruction, in welcher Niemand wohnt, auf der ſich aber zwei oder drei Stockwerke erheben, wovon das obere ſtets die untern uͤberragt. Oberhalb der großen Fenſter befindet ſich eine Reihe kleinerer runder Fenſter; — mit einem Worte, wenn man nur die Haͤuſer ſieht, glaubt man in Konſtan- tinopel zu ſein. Der hohe Schnee und die Kuͤrze meines Urlaubs ver- hinderten mich, weiter vorzugehen; ich kehrte uͤber Tſchi- miſchgeſek, eine betraͤchtliche Stadt, zuruͤck, welche noch keine Karte angiebt, ſie liegt zwiſchen ſeltſamen Felszacken an einem ſchoͤnen Gebirgsbach. Auf der gegenuͤber liegen- den Seite des Stroms befindet ſich eine ſenkrechte Fels- wand; in dieſen weichen Sandſtein waren fruͤher eine Menge Wohnungen eingehoͤhlt geweſen, die ganze aͤußere Schicht ſcheint aber herabgeſtuͤrzt zu ſein, und man ſieht nun den inneren Aufriß dieſer Behauſungen hoch oben und ohne Zu-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/370>, abgerufen am 22.11.2024.