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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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erhebt, bildet im Winter die einzige gangbare Straße von
dem armenischen Hochlande nach Kurdistan, recht ein Weg,
wie ihn die Maulesel lieben, um am äußersten Rande des
Abgrundes hinzutraben. Den steilen Windungen folgend,
trugen uns unsere Thiere in einigen Minuten unter die
Schnee-Region hinab, und bald befanden wir uns in einer
behaglich warmen Temperatur.

Da uns die Nacht überraschte, so mußten wir wieder
eine bedeutende Höhe erklimmen, um das nahe gelegene
schöne Dorf Habunos zu erreichen; es war heller Voll-
mondschein, der Frat glänzte tief unter uns und die Schnee-
gipfel schlossen uns bald ganz nahe wieder ein. Am fol-
genden Morgen hatte ich daher das Vergnügen, auf einem
Fußweg längs der Thalwand hinzureiten, welcher sich fast
senkrecht 1500 bis 2000 Fuß über den Fluß erhob, zu dem
wir uns allmählig wieder hinabsenkten. Die Felsen treten
nun immer näher zusammen, und nöthigen die Straße, an
einer scharfen Wendung des Stroms den Thalweg zu ver-
lassen und in endlosen Zickzacks eine sehr bedeutende Höhe
zu ersteigen; sobald man den schroffen Kamm erreicht, er-
blickt man vor sich wieder das Thal des Frat und tief
unten die Stadt Egin; diese Stadt und Amasia sind das
Schönste, was ich in Asien gesehen. Amasia ist seltsa-
mer und merkwürdiger, Egin aber großartiger und schö-
ner, die Berge sind hier gewaltiger, der Strom bedeuten-
der. Egin besteht eigentlich aus einer Gruppe aneinan-
der stoßender Dörfer; da alle Häuser mitten in Gärten
liegen, die von Nuß- und Maulbeerbäumen, Pappeln und
Platanen überschattet sind, so bedeckt die Stadt einen sehr
großen Flächenraum. Von oben gesehen, scheint sie ganz
im Thale zu liegen, aber wenn man unten am Fuß ange-
kommen ist, so erblickt man einen Theil derselben hoch über
den Köpfen auf allerlei seltsamen Klippen und Felskuppen,
und die steilen Wände des Thals bis zu einer Höhe von
1000 Fuß mit Obstgärten und Weinbergen bekleidet; zahl-
reiche kleine Gebirgswasser rauschen herab, und an einem

erhebt, bildet im Winter die einzige gangbare Straße von
dem armeniſchen Hochlande nach Kurdiſtan, recht ein Weg,
wie ihn die Mauleſel lieben, um am aͤußerſten Rande des
Abgrundes hinzutraben. Den ſteilen Windungen folgend,
trugen uns unſere Thiere in einigen Minuten unter die
Schnee-Region hinab, und bald befanden wir uns in einer
behaglich warmen Temperatur.

Da uns die Nacht uͤberraſchte, ſo mußten wir wieder
eine bedeutende Hoͤhe erklimmen, um das nahe gelegene
ſchoͤne Dorf Habunos zu erreichen; es war heller Voll-
mondſchein, der Frat glaͤnzte tief unter uns und die Schnee-
gipfel ſchloſſen uns bald ganz nahe wieder ein. Am fol-
genden Morgen hatte ich daher das Vergnuͤgen, auf einem
Fußweg laͤngs der Thalwand hinzureiten, welcher ſich faſt
ſenkrecht 1500 bis 2000 Fuß uͤber den Fluß erhob, zu dem
wir uns allmaͤhlig wieder hinabſenkten. Die Felſen treten
nun immer naͤher zuſammen, und noͤthigen die Straße, an
einer ſcharfen Wendung des Stroms den Thalweg zu ver-
laſſen und in endloſen Zickzacks eine ſehr bedeutende Hoͤhe
zu erſteigen; ſobald man den ſchroffen Kamm erreicht, er-
blickt man vor ſich wieder das Thal des Frat und tief
unten die Stadt Egin; dieſe Stadt und Amaſia ſind das
Schoͤnſte, was ich in Aſien geſehen. Amaſia iſt ſeltſa-
mer und merkwuͤrdiger, Egin aber großartiger und ſchoͤ-
ner, die Berge ſind hier gewaltiger, der Strom bedeuten-
der. Egin beſteht eigentlich aus einer Gruppe aneinan-
der ſtoßender Doͤrfer; da alle Haͤuſer mitten in Gaͤrten
liegen, die von Nuß- und Maulbeerbaͤumen, Pappeln und
Platanen uͤberſchattet ſind, ſo bedeckt die Stadt einen ſehr
großen Flaͤchenraum. Von oben geſehen, ſcheint ſie ganz
im Thale zu liegen, aber wenn man unten am Fuß ange-
kommen iſt, ſo erblickt man einen Theil derſelben hoch uͤber
den Koͤpfen auf allerlei ſeltſamen Klippen und Felskuppen,
und die ſteilen Waͤnde des Thals bis zu einer Hoͤhe von
1000 Fuß mit Obſtgaͤrten und Weinbergen bekleidet; zahl-
reiche kleine Gebirgswaſſer rauſchen herab, und an einem

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[359/0369] erhebt, bildet im Winter die einzige gangbare Straße von dem armeniſchen Hochlande nach Kurdiſtan, recht ein Weg, wie ihn die Mauleſel lieben, um am aͤußerſten Rande des Abgrundes hinzutraben. Den ſteilen Windungen folgend, trugen uns unſere Thiere in einigen Minuten unter die Schnee-Region hinab, und bald befanden wir uns in einer behaglich warmen Temperatur. Da uns die Nacht uͤberraſchte, ſo mußten wir wieder eine bedeutende Hoͤhe erklimmen, um das nahe gelegene ſchoͤne Dorf Habunos zu erreichen; es war heller Voll- mondſchein, der Frat glaͤnzte tief unter uns und die Schnee- gipfel ſchloſſen uns bald ganz nahe wieder ein. Am fol- genden Morgen hatte ich daher das Vergnuͤgen, auf einem Fußweg laͤngs der Thalwand hinzureiten, welcher ſich faſt ſenkrecht 1500 bis 2000 Fuß uͤber den Fluß erhob, zu dem wir uns allmaͤhlig wieder hinabſenkten. Die Felſen treten nun immer naͤher zuſammen, und noͤthigen die Straße, an einer ſcharfen Wendung des Stroms den Thalweg zu ver- laſſen und in endloſen Zickzacks eine ſehr bedeutende Hoͤhe zu erſteigen; ſobald man den ſchroffen Kamm erreicht, er- blickt man vor ſich wieder das Thal des Frat und tief unten die Stadt Egin; dieſe Stadt und Amaſia ſind das Schoͤnſte, was ich in Aſien geſehen. Amaſia iſt ſeltſa- mer und merkwuͤrdiger, Egin aber großartiger und ſchoͤ- ner, die Berge ſind hier gewaltiger, der Strom bedeuten- der. Egin beſteht eigentlich aus einer Gruppe aneinan- der ſtoßender Doͤrfer; da alle Haͤuſer mitten in Gaͤrten liegen, die von Nuß- und Maulbeerbaͤumen, Pappeln und Platanen uͤberſchattet ſind, ſo bedeckt die Stadt einen ſehr großen Flaͤchenraum. Von oben geſehen, ſcheint ſie ganz im Thale zu liegen, aber wenn man unten am Fuß ange- kommen iſt, ſo erblickt man einen Theil derſelben hoch uͤber den Koͤpfen auf allerlei ſeltſamen Klippen und Felskuppen, und die ſteilen Waͤnde des Thals bis zu einer Hoͤhe von 1000 Fuß mit Obſtgaͤrten und Weinbergen bekleidet; zahl- reiche kleine Gebirgswaſſer rauſchen herab, und an einem

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/369>, abgerufen am 17.05.2024.