Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

welches natürlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte,
und wunderte sich sehr, daß ich es nicht annahm.


Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am
rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich
nach sechsstündigem Ritt mitten in den Winter versetzt;
Schnee bedeckte die Berge und ein schneidender Nordwind
machte die Kälte höchst empfindlich. Auf einem schmalen
Fußsteig über nackten Fels und zwischen Steinblöcken und
Geröll zogen wir mühsam und langsam durch einen Pista-
zienwald nach Behesne. Jch möchte diese Gegend ein fla-
ches Gebirge nennen; die Erhebungen sind unbedeutend,
aber der Boden fast ganz von Erde entblößt und mit Ge-
röll und Trümmer so überschüttet, daß der ganze Landstrich
von Diarbekir westlich bis Marasch von der höchsten Un-
gangbarkeit ist. Bei hellem Sonnenschein, aber der streng-
sten Winterkälte, nahm ich dann den Rückweg über den
Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich
meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand.
Jch hatte bei meiner Abreise angeordnet, daß die Füllen
aus dem Stalle, wo sie standen, fortgenommen werden
sollten, weil er sehr baufällig, und hier alle Frühjahre beim
Regen Häuser einstürzen; dies war geschehen, und noch
am selbigen Tage die Decke eingebrochen.

57.
Der Status quo.

Je weniger die Möglichkeit eines Krieges in Abrede
gestellt werden kann, um so eher dürfte es Zeit sein, einen
Gegenstand zur Sprache zu bringen, der mir von großer
Wichtigkeit scheint. Man hat bei Eröffnung der beiden

welches natuͤrlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte,
und wunderte ſich ſehr, daß ich es nicht annahm.


Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am
rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich
nach ſechsſtuͤndigem Ritt mitten in den Winter verſetzt;
Schnee bedeckte die Berge und ein ſchneidender Nordwind
machte die Kaͤlte hoͤchſt empfindlich. Auf einem ſchmalen
Fußſteig uͤber nackten Fels und zwiſchen Steinbloͤcken und
Geroͤll zogen wir muͤhſam und langſam durch einen Piſta-
zienwald nach Behesne. Jch moͤchte dieſe Gegend ein fla-
ches Gebirge nennen; die Erhebungen ſind unbedeutend,
aber der Boden faſt ganz von Erde entbloͤßt und mit Ge-
roͤll und Truͤmmer ſo uͤberſchuͤttet, daß der ganze Landſtrich
von Diarbekir weſtlich bis Maraſch von der hoͤchſten Un-
gangbarkeit iſt. Bei hellem Sonnenſchein, aber der ſtreng-
ſten Winterkaͤlte, nahm ich dann den Ruͤckweg uͤber den
Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich
meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand.
Jch hatte bei meiner Abreiſe angeordnet, daß die Fuͤllen
aus dem Stalle, wo ſie ſtanden, fortgenommen werden
ſollten, weil er ſehr baufaͤllig, und hier alle Fruͤhjahre beim
Regen Haͤuſer einſtuͤrzen; dies war geſchehen, und noch
am ſelbigen Tage die Decke eingebrochen.

57.
Der Status quo.

Je weniger die Moͤglichkeit eines Krieges in Abrede
geſtellt werden kann, um ſo eher duͤrfte es Zeit ſein, einen
Gegenſtand zur Sprache zu bringen, der mir von großer
Wichtigkeit ſcheint. Man hat bei Eroͤffnung der beiden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0356" n="346"/>
welches natu&#x0364;rlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte,<lb/>
und wunderte &#x017F;ich &#x017F;ehr, daß ich es nicht annahm.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Malatia, den 16. Februar 1839.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am<lb/>
rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich<lb/>
nach &#x017F;echs&#x017F;tu&#x0364;ndigem Ritt mitten in den Winter ver&#x017F;etzt;<lb/>
Schnee bedeckte die Berge und ein &#x017F;chneidender Nordwind<lb/>
machte die Ka&#x0364;lte ho&#x0364;ch&#x017F;t empfindlich. Auf einem &#x017F;chmalen<lb/>
Fuß&#x017F;teig u&#x0364;ber nackten Fels und zwi&#x017F;chen Steinblo&#x0364;cken und<lb/>
Gero&#x0364;ll zogen wir mu&#x0364;h&#x017F;am und lang&#x017F;am durch einen Pi&#x017F;ta-<lb/>
zienwald nach Behesne. Jch mo&#x0364;chte die&#x017F;e Gegend ein fla-<lb/>
ches Gebirge nennen; die Erhebungen &#x017F;ind unbedeutend,<lb/>
aber der Boden fa&#x017F;t ganz von Erde entblo&#x0364;ßt und mit Ge-<lb/>
ro&#x0364;ll und Tru&#x0364;mmer &#x017F;o u&#x0364;ber&#x017F;chu&#x0364;ttet, daß der ganze Land&#x017F;trich<lb/>
von Diarbekir we&#x017F;tlich bis Mara&#x017F;ch von der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Un-<lb/>
gangbarkeit i&#x017F;t. Bei hellem Sonnen&#x017F;chein, aber der &#x017F;treng-<lb/>
&#x017F;ten Winterka&#x0364;lte, nahm ich dann den Ru&#x0364;ckweg u&#x0364;ber den<lb/>
Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich<lb/>
meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand.<lb/>
Jch hatte bei meiner Abrei&#x017F;e angeordnet, daß die Fu&#x0364;llen<lb/>
aus dem Stalle, wo &#x017F;ie &#x017F;tanden, fortgenommen werden<lb/>
&#x017F;ollten, weil er &#x017F;ehr baufa&#x0364;llig, und hier alle Fru&#x0364;hjahre beim<lb/>
Regen Ha&#x0364;u&#x017F;er ein&#x017F;tu&#x0364;rzen; dies war ge&#x017F;chehen, und noch<lb/>
am &#x017F;elbigen Tage die Decke eingebrochen.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>57.<lb/><hi rendition="#b">Der <hi rendition="#aq">Status quo</hi></hi>.</head><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Malatia, den 20. Februar 1839.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Je weniger die Mo&#x0364;glichkeit eines Krieges in Abrede<lb/>
ge&#x017F;tellt werden kann, um &#x017F;o eher du&#x0364;rfte es Zeit &#x017F;ein, einen<lb/>
Gegen&#x017F;tand zur Sprache zu bringen, der mir von großer<lb/>
Wichtigkeit &#x017F;cheint. Man hat bei Ero&#x0364;ffnung der beiden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0356] welches natuͤrlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte, und wunderte ſich ſehr, daß ich es nicht annahm. Malatia, den 16. Februar 1839. Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich nach ſechsſtuͤndigem Ritt mitten in den Winter verſetzt; Schnee bedeckte die Berge und ein ſchneidender Nordwind machte die Kaͤlte hoͤchſt empfindlich. Auf einem ſchmalen Fußſteig uͤber nackten Fels und zwiſchen Steinbloͤcken und Geroͤll zogen wir muͤhſam und langſam durch einen Piſta- zienwald nach Behesne. Jch moͤchte dieſe Gegend ein fla- ches Gebirge nennen; die Erhebungen ſind unbedeutend, aber der Boden faſt ganz von Erde entbloͤßt und mit Ge- roͤll und Truͤmmer ſo uͤberſchuͤttet, daß der ganze Landſtrich von Diarbekir weſtlich bis Maraſch von der hoͤchſten Un- gangbarkeit iſt. Bei hellem Sonnenſchein, aber der ſtreng- ſten Winterkaͤlte, nahm ich dann den Ruͤckweg uͤber den Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand. Jch hatte bei meiner Abreiſe angeordnet, daß die Fuͤllen aus dem Stalle, wo ſie ſtanden, fortgenommen werden ſollten, weil er ſehr baufaͤllig, und hier alle Fruͤhjahre beim Regen Haͤuſer einſtuͤrzen; dies war geſchehen, und noch am ſelbigen Tage die Decke eingebrochen. 57. Der Status quo. Malatia, den 20. Februar 1839. Je weniger die Moͤglichkeit eines Krieges in Abrede geſtellt werden kann, um ſo eher duͤrfte es Zeit ſein, einen Gegenſtand zur Sprache zu bringen, der mir von großer Wichtigkeit ſcheint. Man hat bei Eroͤffnung der beiden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/356
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/356>, abgerufen am 08.07.2024.