welches natürlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte, und wunderte sich sehr, daß ich es nicht annahm.
Malatia, den 16. Februar 1839.
Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich nach sechsstündigem Ritt mitten in den Winter versetzt; Schnee bedeckte die Berge und ein schneidender Nordwind machte die Kälte höchst empfindlich. Auf einem schmalen Fußsteig über nackten Fels und zwischen Steinblöcken und Geröll zogen wir mühsam und langsam durch einen Pista- zienwald nach Behesne. Jch möchte diese Gegend ein fla- ches Gebirge nennen; die Erhebungen sind unbedeutend, aber der Boden fast ganz von Erde entblößt und mit Ge- röll und Trümmer so überschüttet, daß der ganze Landstrich von Diarbekir westlich bis Marasch von der höchsten Un- gangbarkeit ist. Bei hellem Sonnenschein, aber der streng- sten Winterkälte, nahm ich dann den Rückweg über den Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand. Jch hatte bei meiner Abreise angeordnet, daß die Füllen aus dem Stalle, wo sie standen, fortgenommen werden sollten, weil er sehr baufällig, und hier alle Frühjahre beim Regen Häuser einstürzen; dies war geschehen, und noch am selbigen Tage die Decke eingebrochen.
57. Der Status quo.
Malatia, den 20. Februar 1839.
Je weniger die Möglichkeit eines Krieges in Abrede gestellt werden kann, um so eher dürfte es Zeit sein, einen Gegenstand zur Sprache zu bringen, der mir von großer Wichtigkeit scheint. Man hat bei Eröffnung der beiden
welches natuͤrlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte, und wunderte ſich ſehr, daß ich es nicht annahm.
Malatia, den 16. Februar 1839.
Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich nach ſechsſtuͤndigem Ritt mitten in den Winter verſetzt; Schnee bedeckte die Berge und ein ſchneidender Nordwind machte die Kaͤlte hoͤchſt empfindlich. Auf einem ſchmalen Fußſteig uͤber nackten Fels und zwiſchen Steinbloͤcken und Geroͤll zogen wir muͤhſam und langſam durch einen Piſta- zienwald nach Behesne. Jch moͤchte dieſe Gegend ein fla- ches Gebirge nennen; die Erhebungen ſind unbedeutend, aber der Boden faſt ganz von Erde entbloͤßt und mit Ge- roͤll und Truͤmmer ſo uͤberſchuͤttet, daß der ganze Landſtrich von Diarbekir weſtlich bis Maraſch von der hoͤchſten Un- gangbarkeit iſt. Bei hellem Sonnenſchein, aber der ſtreng- ſten Winterkaͤlte, nahm ich dann den Ruͤckweg uͤber den Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand. Jch hatte bei meiner Abreiſe angeordnet, daß die Fuͤllen aus dem Stalle, wo ſie ſtanden, fortgenommen werden ſollten, weil er ſehr baufaͤllig, und hier alle Fruͤhjahre beim Regen Haͤuſer einſtuͤrzen; dies war geſchehen, und noch am ſelbigen Tage die Decke eingebrochen.
57. Der Status quo.
Malatia, den 20. Februar 1839.
Je weniger die Moͤglichkeit eines Krieges in Abrede geſtellt werden kann, um ſo eher duͤrfte es Zeit ſein, einen Gegenſtand zur Sprache zu bringen, der mir von großer Wichtigkeit ſcheint. Man hat bei Eroͤffnung der beiden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0356"n="346"/>
welches natuͤrlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte,<lb/>
und wunderte ſich ſehr, daß ich es nicht annahm.</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#et">Malatia, den 16. Februar 1839.</hi></dateline><lb/><p>Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am<lb/>
rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich<lb/>
nach ſechsſtuͤndigem Ritt mitten in den Winter verſetzt;<lb/>
Schnee bedeckte die Berge und ein ſchneidender Nordwind<lb/>
machte die Kaͤlte hoͤchſt empfindlich. Auf einem ſchmalen<lb/>
Fußſteig uͤber nackten Fels und zwiſchen Steinbloͤcken und<lb/>
Geroͤll zogen wir muͤhſam und langſam durch einen Piſta-<lb/>
zienwald nach Behesne. Jch moͤchte dieſe Gegend ein fla-<lb/>
ches Gebirge nennen; die Erhebungen ſind unbedeutend,<lb/>
aber der Boden faſt ganz von Erde entbloͤßt und mit Ge-<lb/>
roͤll und Truͤmmer ſo uͤberſchuͤttet, daß der ganze Landſtrich<lb/>
von Diarbekir weſtlich bis Maraſch von der hoͤchſten Un-<lb/>
gangbarkeit iſt. Bei hellem Sonnenſchein, aber der ſtreng-<lb/>ſten Winterkaͤlte, nahm ich dann den Ruͤckweg uͤber den<lb/>
Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich<lb/>
meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand.<lb/>
Jch hatte bei meiner Abreiſe angeordnet, daß die Fuͤllen<lb/>
aus dem Stalle, wo ſie ſtanden, fortgenommen werden<lb/>ſollten, weil er ſehr baufaͤllig, und hier alle Fruͤhjahre beim<lb/>
Regen Haͤuſer einſtuͤrzen; dies war geſchehen, und noch<lb/>
am ſelbigen Tage die Decke eingebrochen.</p></div></div><lb/><divn="1"><head>57.<lb/><hirendition="#b">Der <hirendition="#aq">Status quo</hi></hi>.</head><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#et">Malatia, den 20. Februar 1839.</hi></dateline><lb/><p>Je weniger die Moͤglichkeit eines Krieges in Abrede<lb/>
geſtellt werden kann, um ſo eher duͤrfte es Zeit ſein, einen<lb/>
Gegenſtand zur Sprache zu bringen, der mir von großer<lb/>
Wichtigkeit ſcheint. Man hat bei Eroͤffnung der beiden<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[346/0356]
welches natuͤrlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte,
und wunderte ſich ſehr, daß ich es nicht annahm.
Malatia, den 16. Februar 1839.
Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am
rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh, und befand mich
nach ſechsſtuͤndigem Ritt mitten in den Winter verſetzt;
Schnee bedeckte die Berge und ein ſchneidender Nordwind
machte die Kaͤlte hoͤchſt empfindlich. Auf einem ſchmalen
Fußſteig uͤber nackten Fels und zwiſchen Steinbloͤcken und
Geroͤll zogen wir muͤhſam und langſam durch einen Piſta-
zienwald nach Behesne. Jch moͤchte dieſe Gegend ein fla-
ches Gebirge nennen; die Erhebungen ſind unbedeutend,
aber der Boden faſt ganz von Erde entbloͤßt und mit Ge-
roͤll und Truͤmmer ſo uͤberſchuͤttet, daß der ganze Landſtrich
von Diarbekir weſtlich bis Maraſch von der hoͤchſten Un-
gangbarkeit iſt. Bei hellem Sonnenſchein, aber der ſtreng-
ſten Winterkaͤlte, nahm ich dann den Ruͤckweg uͤber den
Taurus, und traf am 15. wieder in Malatia ein, wo ich
meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand.
Jch hatte bei meiner Abreiſe angeordnet, daß die Fuͤllen
aus dem Stalle, wo ſie ſtanden, fortgenommen werden
ſollten, weil er ſehr baufaͤllig, und hier alle Fruͤhjahre beim
Regen Haͤuſer einſtuͤrzen; dies war geſchehen, und noch
am ſelbigen Tage die Decke eingebrochen.
57.
Der Status quo.
Malatia, den 20. Februar 1839.
Je weniger die Moͤglichkeit eines Krieges in Abrede
geſtellt werden kann, um ſo eher duͤrfte es Zeit ſein, einen
Gegenſtand zur Sprache zu bringen, der mir von großer
Wichtigkeit ſcheint. Man hat bei Eroͤffnung der beiden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/356>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.