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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Wir befinden uns jetzt im Ramasan-scherif, d. h. in
der edlen Fastenzeit; so lange die Sonne am Himmel ist,
dürfen wir weder essen noch trinken, der Geruch einer Blu-
me, eine Prise Tabak, ein Trunk Wasser und was schlim-
mer als Alles, der Tschibuk sind verboten. Abends um
5 Uhr gehe ich in der Regel zum Commandirenden, wo
die Pascha's versammelt sind, jeder mit der Uhr in der
Hand; die große Messingscheibe ist schon mit Früchten, ein-
gemachten Oliven, an der Sonne getrocknetem Rindfleische,
Käse, Scherbet etc. besetzt. Jetzt fehlt nur noch eine Mi-
nute an 12 (der türkischen Uhr), der Deckel wird von der
Suppe aufgehoben und der verführerische Dampf steigert
die Ungeduld aufs Höchste; endlich nach einer Minute, die
gewiß 160 Secunden hat, ruft der Jman sein Lah-illah
il Allah! und mit einem Bismilla und el ham d'illah!
fährt Jeder über das, was ihm zunächst steht, her, und
rächt sich an Hammelfleisch und Pillaw für die lange Ent-
behrung.

Da es unsern Freunden und Genossen, den Türken,
unmöglich ist, zu arbeiten ohne zu rauchen, so geschehen
jetzt alle Geschäfte des Nachts; die Kanzlei ist versammelt,
Briefe werden gelesen und spedirt, Meldungen angenommen,
Geschäfte besprochen. Du kannst Dir eine Vorstellung von
der Wirthschaft machen, wenn ich Dir sage, daß zwei Stun-
den nach Mitternacht dem Soldaten das zweite Essen ver-
abreicht wird; gegen Morgen geht Jedermann zu Bette,
und hat den folgenden Tag einen verdorbenen Magen und
üble Laune.

Wiewohl in der Regel während des Ramasans gar
nicht exerziert wird, so sind wir in diesem Monate thätiger
gewesen, als in irgend einem andern; jeden Tag (selbst
Freitags), sobald die Ramasan-Sonne dämmert, d. h. un-
gefähr um Mittag, wirbeln die Trommeln, und aus allen
Thoren ziehen die Truppen in langen Zügen hervor. Mir
macht es immer einen eigenen Eindruck, wenn die Berge
in Kurdistan von Robert le Diable und der Stummen von

Wir befinden uns jetzt im Ramaſan-ſcherif, d. h. in
der edlen Faſtenzeit; ſo lange die Sonne am Himmel iſt,
duͤrfen wir weder eſſen noch trinken, der Geruch einer Blu-
me, eine Priſe Tabak, ein Trunk Waſſer und was ſchlim-
mer als Alles, der Tſchibuk ſind verboten. Abends um
5 Uhr gehe ich in der Regel zum Commandirenden, wo
die Paſcha's verſammelt ſind, jeder mit der Uhr in der
Hand; die große Meſſingſcheibe iſt ſchon mit Fruͤchten, ein-
gemachten Oliven, an der Sonne getrocknetem Rindfleiſche,
Kaͤſe, Scherbet ꝛc. beſetzt. Jetzt fehlt nur noch eine Mi-
nute an 12 (der tuͤrkiſchen Uhr), der Deckel wird von der
Suppe aufgehoben und der verfuͤhreriſche Dampf ſteigert
die Ungeduld aufs Hoͤchſte; endlich nach einer Minute, die
gewiß 160 Secunden hat, ruft der Jman ſein Lah-illah
il Allah! und mit einem Bismilla und el ham d'illah!
faͤhrt Jeder uͤber das, was ihm zunaͤchſt ſteht, her, und
raͤcht ſich an Hammelfleiſch und Pillaw fuͤr die lange Ent-
behrung.

Da es unſern Freunden und Genoſſen, den Tuͤrken,
unmoͤglich iſt, zu arbeiten ohne zu rauchen, ſo geſchehen
jetzt alle Geſchaͤfte des Nachts; die Kanzlei iſt verſammelt,
Briefe werden geleſen und ſpedirt, Meldungen angenommen,
Geſchaͤfte beſprochen. Du kannſt Dir eine Vorſtellung von
der Wirthſchaft machen, wenn ich Dir ſage, daß zwei Stun-
den nach Mitternacht dem Soldaten das zweite Eſſen ver-
abreicht wird; gegen Morgen geht Jedermann zu Bette,
und hat den folgenden Tag einen verdorbenen Magen und
uͤble Laune.

Wiewohl in der Regel waͤhrend des Ramaſans gar
nicht exerziert wird, ſo ſind wir in dieſem Monate thaͤtiger
geweſen, als in irgend einem andern; jeden Tag (ſelbſt
Freitags), ſobald die Ramaſan-Sonne daͤmmert, d. h. un-
gefaͤhr um Mittag, wirbeln die Trommeln, und aus allen
Thoren ziehen die Truppen in langen Zuͤgen hervor. Mir
macht es immer einen eigenen Eindruck, wenn die Berge
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[333/0343] Wir befinden uns jetzt im Ramaſan-ſcherif, d. h. in der edlen Faſtenzeit; ſo lange die Sonne am Himmel iſt, duͤrfen wir weder eſſen noch trinken, der Geruch einer Blu- me, eine Priſe Tabak, ein Trunk Waſſer und was ſchlim- mer als Alles, der Tſchibuk ſind verboten. Abends um 5 Uhr gehe ich in der Regel zum Commandirenden, wo die Paſcha's verſammelt ſind, jeder mit der Uhr in der Hand; die große Meſſingſcheibe iſt ſchon mit Fruͤchten, ein- gemachten Oliven, an der Sonne getrocknetem Rindfleiſche, Kaͤſe, Scherbet ꝛc. beſetzt. Jetzt fehlt nur noch eine Mi- nute an 12 (der tuͤrkiſchen Uhr), der Deckel wird von der Suppe aufgehoben und der verfuͤhreriſche Dampf ſteigert die Ungeduld aufs Hoͤchſte; endlich nach einer Minute, die gewiß 160 Secunden hat, ruft der Jman ſein Lah-illah il Allah! und mit einem Bismilla und el ham d'illah! faͤhrt Jeder uͤber das, was ihm zunaͤchſt ſteht, her, und raͤcht ſich an Hammelfleiſch und Pillaw fuͤr die lange Ent- behrung. Da es unſern Freunden und Genoſſen, den Tuͤrken, unmoͤglich iſt, zu arbeiten ohne zu rauchen, ſo geſchehen jetzt alle Geſchaͤfte des Nachts; die Kanzlei iſt verſammelt, Briefe werden geleſen und ſpedirt, Meldungen angenommen, Geſchaͤfte beſprochen. Du kannſt Dir eine Vorſtellung von der Wirthſchaft machen, wenn ich Dir ſage, daß zwei Stun- den nach Mitternacht dem Soldaten das zweite Eſſen ver- abreicht wird; gegen Morgen geht Jedermann zu Bette, und hat den folgenden Tag einen verdorbenen Magen und uͤble Laune. Wiewohl in der Regel waͤhrend des Ramaſans gar nicht exerziert wird, ſo ſind wir in dieſem Monate thaͤtiger geweſen, als in irgend einem andern; jeden Tag (ſelbſt Freitags), ſobald die Ramaſan-Sonne daͤmmert, d. h. un- gefaͤhr um Mittag, wirbeln die Trommeln, und aus allen Thoren ziehen die Truppen in langen Zuͤgen hervor. Mir macht es immer einen eigenen Eindruck, wenn die Berge in Kurdiſtan von Robert le Diable und der Stummen von

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/343>, abgerufen am 22.11.2024.