Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

schen Behörden zu entgehen; damals schlug der Bischof sich
ins Mittel, vermochte die Leute zu bleiben, und übernahm
selbst die Jltesam oder die Pacht der Abgaben. Da außer
den Armeniern eine große Anzahl Moslem im Orte woh-
nen, so hatte man, um die Form zu retten, einen Woywo-
den über sie gesetzt, welcher aber ganz von dem Bischofe
abhängt, der uns einen neuen Beweis gab, daß unterm
Krummstabe gut wohnen ist.

Der Bischof erzählte mir ferner, daß ich von den Aw-
scharen wenig zu befürchten hätte; die Awscharen seien eben
so wenig ein Volk aus lauter Räubern, wie irgend ein an-
deres; freilich gebe es viel loses Gesindel unter ihnen, aber
diese seien die Feinde ihres eigenen Stammes so gut wie
der Fremden, und von ihm verfolgt; übrigens seien die
Awscharen gegenwärtig schon herabgezogen nach der Schu-
kur-Ovassi (der tiefen Ebene, d. h. Adana).

Den folgenden Mittag erreichte ich Ekrek; die Gegend
ist felsig, die Schichtung des Gesteins vollkommen waage-
recht, durch den Regen ist zuweilen das Erdreich zwischen
zwei solchen Schichten ausgewaschen und es haben sich
weite unterirdische Räume gebildet, welche Wohnungen für
Menschen und Heerden bilden.

Jn Ekrek erfuhr ich, daß Suleiman-Pascha, der
Gouverneur von Marasch, sich zu Gögsyn befinde, dem
nächsten Dorfe auf der von mir eingeschlagenen Richtung
auf Albistan; Gögsyn war aber volle zwei und zwanzig
Stunden auf schwierigen Gebirgswegen entfernt, mit den-
selben Pferden war diese Tour in einem Tage nicht zu ma-
chen, und unterwegs gab es kein Dorf, kein Haus, kein
festes Obdach. Da war es denn ein großes Glück für
mich, daß noch einige der gefürchteten Awscharen dageblie-
ben, und wie ich die vorige Nacht unter dem Dach eines
armenischen Bischofs geschlafen, so lagerte ich die nächste
unter dem Zelt eines turkmanischen Fürsten.

Ein Aga Suleiman-Pascha's, den ich zu Ekrek
gefunden, eilte voraus, um Osman-Bey meinen Besuch

ſchen Behoͤrden zu entgehen; damals ſchlug der Biſchof ſich
ins Mittel, vermochte die Leute zu bleiben, und uͤbernahm
ſelbſt die Jlteſam oder die Pacht der Abgaben. Da außer
den Armeniern eine große Anzahl Moslem im Orte woh-
nen, ſo hatte man, um die Form zu retten, einen Woywo-
den uͤber ſie geſetzt, welcher aber ganz von dem Biſchofe
abhaͤngt, der uns einen neuen Beweis gab, daß unterm
Krummſtabe gut wohnen iſt.

Der Biſchof erzaͤhlte mir ferner, daß ich von den Aw-
ſcharen wenig zu befuͤrchten haͤtte; die Awſcharen ſeien eben
ſo wenig ein Volk aus lauter Raͤubern, wie irgend ein an-
deres; freilich gebe es viel loſes Geſindel unter ihnen, aber
dieſe ſeien die Feinde ihres eigenen Stammes ſo gut wie
der Fremden, und von ihm verfolgt; uͤbrigens ſeien die
Awſcharen gegenwaͤrtig ſchon herabgezogen nach der Schu-
kur-Ovaſſi (der tiefen Ebene, d. h. Adana).

Den folgenden Mittag erreichte ich Ekrek; die Gegend
iſt felſig, die Schichtung des Geſteins vollkommen waage-
recht, durch den Regen iſt zuweilen das Erdreich zwiſchen
zwei ſolchen Schichten ausgewaſchen und es haben ſich
weite unterirdiſche Raͤume gebildet, welche Wohnungen fuͤr
Menſchen und Heerden bilden.

Jn Ekrek erfuhr ich, daß Suleiman-Paſcha, der
Gouverneur von Maraſch, ſich zu Goͤgſyn befinde, dem
naͤchſten Dorfe auf der von mir eingeſchlagenen Richtung
auf Albiſtan; Goͤgſyn war aber volle zwei und zwanzig
Stunden auf ſchwierigen Gebirgswegen entfernt, mit den-
ſelben Pferden war dieſe Tour in einem Tage nicht zu ma-
chen, und unterwegs gab es kein Dorf, kein Haus, kein
feſtes Obdach. Da war es denn ein großes Gluͤck fuͤr
mich, daß noch einige der gefuͤrchteten Awſcharen dageblie-
ben, und wie ich die vorige Nacht unter dem Dach eines
armeniſchen Biſchofs geſchlafen, ſo lagerte ich die naͤchſte
unter dem Zelt eines turkmaniſchen Fuͤrſten.

Ein Aga Suleiman-Paſcha's, den ich zu Ekrek
gefunden, eilte voraus, um Osman-Bey meinen Beſuch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0336" n="326"/>
&#x017F;chen Beho&#x0364;rden zu entgehen; damals &#x017F;chlug der Bi&#x017F;chof &#x017F;ich<lb/>
ins Mittel, vermochte die Leute zu bleiben, und u&#x0364;bernahm<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die Jlte&#x017F;am oder die Pacht der Abgaben. Da außer<lb/>
den Armeniern eine große Anzahl Moslem im Orte woh-<lb/>
nen, &#x017F;o hatte man, um die Form zu retten, einen Woywo-<lb/>
den u&#x0364;ber &#x017F;ie ge&#x017F;etzt, welcher aber ganz von dem Bi&#x017F;chofe<lb/>
abha&#x0364;ngt, der uns einen neuen Beweis gab, daß unterm<lb/>
Krumm&#x017F;tabe gut wohnen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Der Bi&#x017F;chof erza&#x0364;hlte mir ferner, daß ich von den Aw-<lb/>
&#x017F;charen wenig zu befu&#x0364;rchten ha&#x0364;tte; die Aw&#x017F;charen &#x017F;eien eben<lb/>
&#x017F;o wenig ein Volk aus lauter Ra&#x0364;ubern, wie irgend ein an-<lb/>
deres; freilich gebe es viel lo&#x017F;es Ge&#x017F;indel unter ihnen, aber<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;eien die Feinde ihres eigenen Stammes &#x017F;o gut wie<lb/>
der Fremden, und von ihm verfolgt; u&#x0364;brigens &#x017F;eien die<lb/>
Aw&#x017F;charen gegenwa&#x0364;rtig &#x017F;chon herabgezogen nach der Schu-<lb/>
kur-Ova&#x017F;&#x017F;i (der tiefen Ebene, d. h. Adana).</p><lb/>
        <p>Den folgenden Mittag erreichte ich Ekrek; die Gegend<lb/>
i&#x017F;t fel&#x017F;ig, die Schichtung des Ge&#x017F;teins vollkommen waage-<lb/>
recht, durch den Regen i&#x017F;t zuweilen das Erdreich zwi&#x017F;chen<lb/>
zwei &#x017F;olchen Schichten ausgewa&#x017F;chen und es haben &#x017F;ich<lb/>
weite unterirdi&#x017F;che Ra&#x0364;ume gebildet, welche Wohnungen fu&#x0364;r<lb/>
Men&#x017F;chen und Heerden bilden.</p><lb/>
        <p>Jn Ekrek erfuhr ich, daß <hi rendition="#g">Suleiman-Pa&#x017F;cha,</hi> der<lb/>
Gouverneur von Mara&#x017F;ch, &#x017F;ich zu Go&#x0364;g&#x017F;yn befinde, dem<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;ten Dorfe auf der von mir einge&#x017F;chlagenen Richtung<lb/>
auf Albi&#x017F;tan; Go&#x0364;g&#x017F;yn war aber volle zwei und zwanzig<lb/>
Stunden auf &#x017F;chwierigen Gebirgswegen entfernt, mit den-<lb/>
&#x017F;elben Pferden war die&#x017F;e Tour in einem Tage nicht zu ma-<lb/>
chen, und unterwegs gab es kein Dorf, kein Haus, kein<lb/>
fe&#x017F;tes Obdach. Da war es denn ein großes Glu&#x0364;ck fu&#x0364;r<lb/>
mich, daß noch einige der gefu&#x0364;rchteten Aw&#x017F;charen dageblie-<lb/>
ben, und wie ich die vorige Nacht unter dem Dach eines<lb/>
armeni&#x017F;chen Bi&#x017F;chofs ge&#x017F;chlafen, &#x017F;o lagerte ich die na&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
unter dem Zelt eines turkmani&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Ein Aga <hi rendition="#g">Suleiman-Pa&#x017F;cha's,</hi> den ich zu Ekrek<lb/>
gefunden, eilte voraus, um <hi rendition="#g">Osman-Bey</hi> meinen Be&#x017F;uch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0336] ſchen Behoͤrden zu entgehen; damals ſchlug der Biſchof ſich ins Mittel, vermochte die Leute zu bleiben, und uͤbernahm ſelbſt die Jlteſam oder die Pacht der Abgaben. Da außer den Armeniern eine große Anzahl Moslem im Orte woh- nen, ſo hatte man, um die Form zu retten, einen Woywo- den uͤber ſie geſetzt, welcher aber ganz von dem Biſchofe abhaͤngt, der uns einen neuen Beweis gab, daß unterm Krummſtabe gut wohnen iſt. Der Biſchof erzaͤhlte mir ferner, daß ich von den Aw- ſcharen wenig zu befuͤrchten haͤtte; die Awſcharen ſeien eben ſo wenig ein Volk aus lauter Raͤubern, wie irgend ein an- deres; freilich gebe es viel loſes Geſindel unter ihnen, aber dieſe ſeien die Feinde ihres eigenen Stammes ſo gut wie der Fremden, und von ihm verfolgt; uͤbrigens ſeien die Awſcharen gegenwaͤrtig ſchon herabgezogen nach der Schu- kur-Ovaſſi (der tiefen Ebene, d. h. Adana). Den folgenden Mittag erreichte ich Ekrek; die Gegend iſt felſig, die Schichtung des Geſteins vollkommen waage- recht, durch den Regen iſt zuweilen das Erdreich zwiſchen zwei ſolchen Schichten ausgewaſchen und es haben ſich weite unterirdiſche Raͤume gebildet, welche Wohnungen fuͤr Menſchen und Heerden bilden. Jn Ekrek erfuhr ich, daß Suleiman-Paſcha, der Gouverneur von Maraſch, ſich zu Goͤgſyn befinde, dem naͤchſten Dorfe auf der von mir eingeſchlagenen Richtung auf Albiſtan; Goͤgſyn war aber volle zwei und zwanzig Stunden auf ſchwierigen Gebirgswegen entfernt, mit den- ſelben Pferden war dieſe Tour in einem Tage nicht zu ma- chen, und unterwegs gab es kein Dorf, kein Haus, kein feſtes Obdach. Da war es denn ein großes Gluͤck fuͤr mich, daß noch einige der gefuͤrchteten Awſcharen dageblie- ben, und wie ich die vorige Nacht unter dem Dach eines armeniſchen Biſchofs geſchlafen, ſo lagerte ich die naͤchſte unter dem Zelt eines turkmaniſchen Fuͤrſten. Ein Aga Suleiman-Paſcha's, den ich zu Ekrek gefunden, eilte voraus, um Osman-Bey meinen Beſuch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/336
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/336>, abgerufen am 17.05.2024.