Pforte noch auf eine lange Reihe von Jahren nothwendig ist, und daß sie ihre bewaffnete Macht fürerst nur brau- chen sollte, um sich im Jnnern zu regeneriren. -- Der jetzige Zustand aber zwischen Krieg und Frieden ist ein wahres Unglück, und tritt überall hemmend entgegen. Ob eine Desarmirung beider Partheien, des Großherrn und sei- nes Vasallen, unter Vermittelung und Gewährleistung der europäischen Mächte ausführbar, stelle ich Jhrer Beurthei- lung anheim.
Bivouak im Karsann-Dagh, den 22. Juni 1838.
Noch ein kriegerischer Akt ist nöthig geworden. Es wurden vierzehn Compagnien entsendet, und ein Schwarm Baschi-Bosuks, welche eine äußerst steile Höhe von allen Sei- ten einschlossen; fünf Stunden bedurfte es, um sie zu er- steigen, wobei die Linien-Truppen sechzehn Todte und einige sechzig Verwundete hatten. Die Weiber selbst feuerten auf die Nisams, und ein Soldat wurde von einer kurdischen Frau mit dem Handschar erstochen. Oben angekommen, wurde von den erbitterten Truppen main basse auf Alles gemacht, was sich widersetzte; es sind zwischen 4- bis 500 Kurden geblieben; an funfzig Frauen ertranken in dem an- geschwollenen Gebirgsbach, als man sie wegführen wollte.
Der Pascha hatte nicht gewollt, daß wir diesen Zug mitmachten, und ich gestehe Dir, daß es mir ganz recht war. Um diesen Krieg brauchst Du uns nicht zu benei- den, er ist voller Scheußlichkeiten. Nebst mehreren tausend Stück Vieh kamen an 600 Gefangene an; die Hälfte be- steht aus Weibern mit kleinen Kindern: ein Junge von 6 bis 7 Jahren hatte Schußwunden, und die Kugel, die hier neben mir liegt, haben wir ihm herausgezogen, er wird aber wahrscheinlich durchkommen. Auch Frauen sind ver- wundet, daß es aber Kinder mit Bayonnetstichen giebt, wirft ein trauriges Licht auf die ganze Handlung. Gestern Abend um 5 Uhr hatten die Unglücklichen, von Angst und durch den
Pforte noch auf eine lange Reihe von Jahren nothwendig iſt, und daß ſie ihre bewaffnete Macht fuͤrerſt nur brau- chen ſollte, um ſich im Jnnern zu regeneriren. — Der jetzige Zuſtand aber zwiſchen Krieg und Frieden iſt ein wahres Ungluͤck, und tritt uͤberall hemmend entgegen. Ob eine Deſarmirung beider Partheien, des Großherrn und ſei- nes Vaſallen, unter Vermittelung und Gewaͤhrleiſtung der europaͤiſchen Maͤchte ausfuͤhrbar, ſtelle ich Jhrer Beurthei- lung anheim.
Bivouak im Karſann-Dagh, den 22. Juni 1838.
Noch ein kriegeriſcher Akt iſt noͤthig geworden. Es wurden vierzehn Compagnien entſendet, und ein Schwarm Baſchi-Boſuks, welche eine aͤußerſt ſteile Hoͤhe von allen Sei- ten einſchloſſen; fuͤnf Stunden bedurfte es, um ſie zu er- ſteigen, wobei die Linien-Truppen ſechzehn Todte und einige ſechzig Verwundete hatten. Die Weiber ſelbſt feuerten auf die Niſams, und ein Soldat wurde von einer kurdiſchen Frau mit dem Handſchar erſtochen. Oben angekommen, wurde von den erbitterten Truppen main basse auf Alles gemacht, was ſich widerſetzte; es ſind zwiſchen 4- bis 500 Kurden geblieben; an funfzig Frauen ertranken in dem an- geſchwollenen Gebirgsbach, als man ſie wegfuͤhren wollte.
Der Paſcha hatte nicht gewollt, daß wir dieſen Zug mitmachten, und ich geſtehe Dir, daß es mir ganz recht war. Um dieſen Krieg brauchſt Du uns nicht zu benei- den, er iſt voller Scheußlichkeiten. Nebſt mehreren tauſend Stuͤck Vieh kamen an 600 Gefangene an; die Haͤlfte be- ſteht aus Weibern mit kleinen Kindern: ein Junge von 6 bis 7 Jahren hatte Schußwunden, und die Kugel, die hier neben mir liegt, haben wir ihm herausgezogen, er wird aber wahrſcheinlich durchkommen. Auch Frauen ſind ver- wundet, daß es aber Kinder mit Bayonnetſtichen giebt, wirft ein trauriges Licht auf die ganze Handlung. Geſtern Abend um 5 Uhr hatten die Ungluͤcklichen, von Angſt und durch den
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Pforte noch auf eine lange Reihe von Jahren nothwendig
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jetzige Zuſtand aber zwiſchen Krieg und Frieden iſt ein
wahres Ungluͤck, und tritt uͤberall hemmend entgegen. Ob
eine Deſarmirung beider Partheien, des Großherrn und ſei-
nes Vaſallen, unter Vermittelung und Gewaͤhrleiſtung der
europaͤiſchen Maͤchte ausfuͤhrbar, ſtelle ich Jhrer Beurthei-
lung anheim.
Bivouak im Karſann-Dagh, den 22. Juni 1838.
Noch ein kriegeriſcher Akt iſt noͤthig geworden. Es
wurden vierzehn Compagnien entſendet, und ein Schwarm
Baſchi-Boſuks, welche eine aͤußerſt ſteile Hoͤhe von allen Sei-
ten einſchloſſen; fuͤnf Stunden bedurfte es, um ſie zu er-
ſteigen, wobei die Linien-Truppen ſechzehn Todte und einige
ſechzig Verwundete hatten. Die Weiber ſelbſt feuerten auf
die Niſams, und ein Soldat wurde von einer kurdiſchen
Frau mit dem Handſchar erſtochen. Oben angekommen,
wurde von den erbitterten Truppen main basse auf Alles
gemacht, was ſich widerſetzte; es ſind zwiſchen 4- bis 500
Kurden geblieben; an funfzig Frauen ertranken in dem an-
geſchwollenen Gebirgsbach, als man ſie wegfuͤhren wollte.
Der Paſcha hatte nicht gewollt, daß wir dieſen Zug
mitmachten, und ich geſtehe Dir, daß es mir ganz recht
war. Um dieſen Krieg brauchſt Du uns nicht zu benei-
den, er iſt voller Scheußlichkeiten. Nebſt mehreren tauſend
Stuͤck Vieh kamen an 600 Gefangene an; die Haͤlfte be-
ſteht aus Weibern mit kleinen Kindern: ein Junge von 6
bis 7 Jahren hatte Schußwunden, und die Kugel, die hier
neben mir liegt, haben wir ihm herausgezogen, er wird
aber wahrſcheinlich durchkommen. Auch Frauen ſind ver-
wundet, daß es aber Kinder mit Bayonnetſtichen giebt, wirft
ein trauriges Licht auf die ganze Handlung. Geſtern Abend
um 5 Uhr hatten die Ungluͤcklichen, von Angſt und durch den
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/294>, abgerufen am 23.11.2024.
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