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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Euphrat mit Europa in Verbindung gesetzt hätte, ein gro-
ßes Unternehmen, an welchem Oberst Chesney rühmlich
scheiterte. Noch stehen einige Ruinen von den Häusern,
die er am rechten Ufer erbaute, und die Türken sprachen
mit Erstaunen von dem Gjaur und seinem Atesch-Kaik
oder Feuerschiff. Hier finden auch die großen Landverbin-
dungen mit Aleppo, Antiochien und Aintab statt; nach
dieser Seite trennt nur eine weite fruchtbare Ebene und
flaches Hügelland den Frat vom Mittelmeere, über dessen
Spiegel er jedoch wohl noch 1000 Fuß erhaben sein muß.

Von Beledschik ostwärts zieht nur eine enge, schlechte
aber fahrbare Straße durch die Steinwüste über Orfa nach
Diarbekir. Dies ist der einzige Weg aus dem weiten assy-
rischen Binnenland durch das große Defilee zwischen Liba-
non und Gjaur-Dagh hindurch zu den syrischen Städten
und zum Meere.

So wichtig wie die Lage von Biradschik, eben so eigen-
thümlich ist sie; die Stadt ist auf dem linken Ufer am Fuß
mehrerer Hügel erbaut, die hier zusammentreten. Eine gute
Mauer mit Thürmen umgiebt den Ort, er ist aber an meh-
reren Stellen eingesehen; in der Mitte der Stadt und hart
am Ufer des Stromes erhebt sich ein isolirter Felskegel an
180 Fuß hoch und von dem außerordentlichsten Bauwerk
gekrönt, welches ich je gesehen.

Die uralte Befestigung in diesem Lande bestand aus
einem von Menschenhänden aufgeworfenen länglich-runden
Berg, auf welchem dann die Burg oder das Castell erbaut
wurde. Solche Berge finden sich hier zu hunderten und
fast neben jedem Dorfe; die Lage aller Wohnorte ist un-
wandelbar durch das Dasein eines Brunnens bedingt und
durch einen Cumulus bezeichnet. Nun sind diese künstlichen
Hügel oft von riesenhafter Arbeit; der von Samosata oder
Samsat ist an 100 Fuß hoch, 300 Schritte lang und 100
breit; die Abhänge wurden mit behauenen Steinen bepfla-
stert oder unter einem Winkel von etwa 75 Gr. aufgemau-
ert und so ein künstlicher Fels erzeugt, oder der schon vor-

Euphrat mit Europa in Verbindung geſetzt haͤtte, ein gro-
ßes Unternehmen, an welchem Oberſt Chesney ruͤhmlich
ſcheiterte. Noch ſtehen einige Ruinen von den Haͤuſern,
die er am rechten Ufer erbaute, und die Tuͤrken ſprachen
mit Erſtaunen von dem Gjaur und ſeinem Ateſch-Kaik
oder Feuerſchiff. Hier finden auch die großen Landverbin-
dungen mit Aleppo, Antiochien und Aintab ſtatt; nach
dieſer Seite trennt nur eine weite fruchtbare Ebene und
flaches Huͤgelland den Frat vom Mittelmeere, uͤber deſſen
Spiegel er jedoch wohl noch 1000 Fuß erhaben ſein muß.

Von Beledſchik oſtwaͤrts zieht nur eine enge, ſchlechte
aber fahrbare Straße durch die Steinwuͤſte uͤber Orfa nach
Diarbekir. Dies iſt der einzige Weg aus dem weiten aſſy-
riſchen Binnenland durch das große Defilee zwiſchen Liba-
non und Gjaur-Dagh hindurch zu den ſyriſchen Staͤdten
und zum Meere.

So wichtig wie die Lage von Biradſchik, eben ſo eigen-
thuͤmlich iſt ſie; die Stadt iſt auf dem linken Ufer am Fuß
mehrerer Huͤgel erbaut, die hier zuſammentreten. Eine gute
Mauer mit Thuͤrmen umgiebt den Ort, er iſt aber an meh-
reren Stellen eingeſehen; in der Mitte der Stadt und hart
am Ufer des Stromes erhebt ſich ein iſolirter Felskegel an
180 Fuß hoch und von dem außerordentlichſten Bauwerk
gekroͤnt, welches ich je geſehen.

Die uralte Befeſtigung in dieſem Lande beſtand aus
einem von Menſchenhaͤnden aufgeworfenen laͤnglich-runden
Berg, auf welchem dann die Burg oder das Caſtell erbaut
wurde. Solche Berge finden ſich hier zu hunderten und
faſt neben jedem Dorfe; die Lage aller Wohnorte iſt un-
wandelbar durch das Daſein eines Brunnens bedingt und
durch einen Cumulus bezeichnet. Nun ſind dieſe kuͤnſtlichen
Huͤgel oft von rieſenhafter Arbeit; der von Samoſata oder
Samſat iſt an 100 Fuß hoch, 300 Schritte lang und 100
breit; die Abhaͤnge wurden mit behauenen Steinen bepfla-
ſtert oder unter einem Winkel von etwa 75 Gr. aufgemau-
ert und ſo ein kuͤnſtlicher Fels erzeugt, oder der ſchon vor-

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[227/0237] Euphrat mit Europa in Verbindung geſetzt haͤtte, ein gro- ßes Unternehmen, an welchem Oberſt Chesney ruͤhmlich ſcheiterte. Noch ſtehen einige Ruinen von den Haͤuſern, die er am rechten Ufer erbaute, und die Tuͤrken ſprachen mit Erſtaunen von dem Gjaur und ſeinem Ateſch-Kaik oder Feuerſchiff. Hier finden auch die großen Landverbin- dungen mit Aleppo, Antiochien und Aintab ſtatt; nach dieſer Seite trennt nur eine weite fruchtbare Ebene und flaches Huͤgelland den Frat vom Mittelmeere, uͤber deſſen Spiegel er jedoch wohl noch 1000 Fuß erhaben ſein muß. Von Beledſchik oſtwaͤrts zieht nur eine enge, ſchlechte aber fahrbare Straße durch die Steinwuͤſte uͤber Orfa nach Diarbekir. Dies iſt der einzige Weg aus dem weiten aſſy- riſchen Binnenland durch das große Defilee zwiſchen Liba- non und Gjaur-Dagh hindurch zu den ſyriſchen Staͤdten und zum Meere. So wichtig wie die Lage von Biradſchik, eben ſo eigen- thuͤmlich iſt ſie; die Stadt iſt auf dem linken Ufer am Fuß mehrerer Huͤgel erbaut, die hier zuſammentreten. Eine gute Mauer mit Thuͤrmen umgiebt den Ort, er iſt aber an meh- reren Stellen eingeſehen; in der Mitte der Stadt und hart am Ufer des Stromes erhebt ſich ein iſolirter Felskegel an 180 Fuß hoch und von dem außerordentlichſten Bauwerk gekroͤnt, welches ich je geſehen. Die uralte Befeſtigung in dieſem Lande beſtand aus einem von Menſchenhaͤnden aufgeworfenen laͤnglich-runden Berg, auf welchem dann die Burg oder das Caſtell erbaut wurde. Solche Berge finden ſich hier zu hunderten und faſt neben jedem Dorfe; die Lage aller Wohnorte iſt un- wandelbar durch das Daſein eines Brunnens bedingt und durch einen Cumulus bezeichnet. Nun ſind dieſe kuͤnſtlichen Huͤgel oft von rieſenhafter Arbeit; der von Samoſata oder Samſat iſt an 100 Fuß hoch, 300 Schritte lang und 100 breit; die Abhaͤnge wurden mit behauenen Steinen bepfla- ſtert oder unter einem Winkel von etwa 75 Gr. aufgemau- ert und ſo ein kuͤnſtlicher Fels erzeugt, oder der ſchon vor-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/237>, abgerufen am 25.11.2024.