Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
39.
Der Euphrat. -- Kieban-Maaden.

Durch die einförmige Schneeeinöde ging es am 14.
fort bis Hassan-Tscheleby; die Häuser dieses Dorfs sind
mit flachen Erd-Terrassen eingedeckt, und liegen mit dem
Rücken gegen eine Anhöhe, so daß, wenn man von dieser
Seite herkömmt, man dieselben fast gar nicht gewahr wird.
So geschah es mir, daß ich auf das Dach eines Hauses
hinauf ritt und beinahe durch den Rauchfang in den Sa-
lon der unterirdischen Familie gefallen wäre. Jch war sehr
bestürzt über diesen Vorfall, als wir aber nach dem Früh-
stück weiter ritten, ging die ganze Caravane über die ge-
sammten Dächer der Ortschaft im fröhlichen Trabe fort.

Je langweiliger die Gegend, je mühsamer der Weg
bisher gewesen, um so erfreulicher war es jetzt, im raschen
Galop durch ein tiefes Felsthal längs eines schäumenden
Gebirgsbachs hinzueilen; das Wetter war sehr frisch, aber
heiter, die Luft hatte schon die schöne blaue Farbe der ita-
lienischen Landschaft und die Felsen von röthlichem und
blauem Gestein mit schroffen kühnen Abhängen waren ma-
lerisch schön. Jm Hintergrunde erhoben sich zu beiden
Seiten mächtige Berge mit Schnee hoch überlagert, von
der Abendsonne purpurn gemalt. So aus der Ferne sah
der Schnee wundervoll aus, wir waren aber herzlich froh,
ihn von unserm Wege vorerst los zu sein; die Nacht brach-
ten wir in Hekim-hann zu, ebenfalls eine Palanke oder Fe-
stung; der Hof des Hanns nämlich ist von einer Mauer
umschlossen und enthält einige Dutzend Hütten, eine Mo-
schee und ein Bad.

Wir fanden beim Müsselim ein sehr gutes Unterkom-
men, ein loderndes Kaminfeuer, weiche Polster und Tep-
piche und ein reichliches Mahl. Der alte Herr trank aus
Gefälligkeit eine Flasche Xeres mit mir aus; nur darüber

39.
Der Euphrat. — Kieban-Maaden.

Durch die einfoͤrmige Schneeeinoͤde ging es am 14.
fort bis Haſſan-Tſcheleby; die Haͤuſer dieſes Dorfs ſind
mit flachen Erd-Terraſſen eingedeckt, und liegen mit dem
Ruͤcken gegen eine Anhoͤhe, ſo daß, wenn man von dieſer
Seite herkoͤmmt, man dieſelben faſt gar nicht gewahr wird.
So geſchah es mir, daß ich auf das Dach eines Hauſes
hinauf ritt und beinahe durch den Rauchfang in den Sa-
lon der unterirdiſchen Familie gefallen waͤre. Jch war ſehr
beſtuͤrzt uͤber dieſen Vorfall, als wir aber nach dem Fruͤh-
ſtuͤck weiter ritten, ging die ganze Caravane uͤber die ge-
ſammten Daͤcher der Ortſchaft im froͤhlichen Trabe fort.

Je langweiliger die Gegend, je muͤhſamer der Weg
bisher geweſen, um ſo erfreulicher war es jetzt, im raſchen
Galop durch ein tiefes Felsthal laͤngs eines ſchaͤumenden
Gebirgsbachs hinzueilen; das Wetter war ſehr friſch, aber
heiter, die Luft hatte ſchon die ſchoͤne blaue Farbe der ita-
lieniſchen Landſchaft und die Felſen von roͤthlichem und
blauem Geſtein mit ſchroffen kuͤhnen Abhaͤngen waren ma-
leriſch ſchoͤn. Jm Hintergrunde erhoben ſich zu beiden
Seiten maͤchtige Berge mit Schnee hoch uͤberlagert, von
der Abendſonne purpurn gemalt. So aus der Ferne ſah
der Schnee wundervoll aus, wir waren aber herzlich froh,
ihn von unſerm Wege vorerſt los zu ſein; die Nacht brach-
ten wir in Hekim-hann zu, ebenfalls eine Palanke oder Fe-
ſtung; der Hof des Hanns naͤmlich iſt von einer Mauer
umſchloſſen und enthaͤlt einige Dutzend Huͤtten, eine Mo-
ſchee und ein Bad.

Wir fanden beim Muͤſſelim ein ſehr gutes Unterkom-
men, ein loderndes Kaminfeuer, weiche Polſter und Tep-
piche und ein reichliches Mahl. Der alte Herr trank aus
Gefaͤlligkeit eine Flaſche Xeres mit mir aus; nur daruͤber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0222" n="212"/>
      <div n="1">
        <head>39.<lb/><hi rendition="#b">Der Euphrat. &#x2014; Kieban-Maaden.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#et">Kieban-Maaden am Euphrat, den 16. Ma&#x0364;rz 1838.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Durch die einfo&#x0364;rmige Schneeeino&#x0364;de ging es am 14.<lb/>
fort bis Ha&#x017F;&#x017F;an-T&#x017F;cheleby; die Ha&#x0364;u&#x017F;er die&#x017F;es Dorfs &#x017F;ind<lb/>
mit flachen Erd-Terra&#x017F;&#x017F;en eingedeckt, und liegen mit dem<lb/>
Ru&#x0364;cken gegen eine Anho&#x0364;he, &#x017F;o daß, wenn man von die&#x017F;er<lb/>
Seite herko&#x0364;mmt, man die&#x017F;elben fa&#x017F;t gar nicht gewahr wird.<lb/>
So ge&#x017F;chah es mir, daß ich auf das Dach eines Hau&#x017F;es<lb/>
hinauf ritt und beinahe durch den Rauchfang in den Sa-<lb/>
lon der unterirdi&#x017F;chen Familie gefallen wa&#x0364;re. Jch war &#x017F;ehr<lb/>
be&#x017F;tu&#x0364;rzt u&#x0364;ber die&#x017F;en Vorfall, als wir aber nach dem Fru&#x0364;h-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ck weiter ritten, ging die ganze Caravane u&#x0364;ber die ge-<lb/>
&#x017F;ammten Da&#x0364;cher der Ort&#x017F;chaft im fro&#x0364;hlichen Trabe fort.</p><lb/>
        <p>Je langweiliger die Gegend, je mu&#x0364;h&#x017F;amer der Weg<lb/>
bisher gewe&#x017F;en, um &#x017F;o erfreulicher war es jetzt, im ra&#x017F;chen<lb/>
Galop durch ein tiefes Felsthal la&#x0364;ngs eines &#x017F;cha&#x0364;umenden<lb/>
Gebirgsbachs hinzueilen; das Wetter war &#x017F;ehr fri&#x017F;ch, aber<lb/>
heiter, die Luft hatte &#x017F;chon die &#x017F;cho&#x0364;ne blaue Farbe der ita-<lb/>
lieni&#x017F;chen Land&#x017F;chaft und die Fel&#x017F;en von ro&#x0364;thlichem und<lb/>
blauem Ge&#x017F;tein mit &#x017F;chroffen ku&#x0364;hnen Abha&#x0364;ngen waren ma-<lb/>
leri&#x017F;ch &#x017F;cho&#x0364;n. Jm Hintergrunde erhoben &#x017F;ich zu beiden<lb/>
Seiten ma&#x0364;chtige Berge mit Schnee hoch u&#x0364;berlagert, von<lb/>
der Abend&#x017F;onne purpurn gemalt. So aus der Ferne &#x017F;ah<lb/>
der Schnee wundervoll aus, wir waren aber herzlich froh,<lb/>
ihn von un&#x017F;erm Wege vorer&#x017F;t los zu &#x017F;ein; die Nacht brach-<lb/>
ten wir in Hekim-hann zu, ebenfalls eine Palanke oder Fe-<lb/>
&#x017F;tung; der Hof des Hanns na&#x0364;mlich i&#x017F;t von einer Mauer<lb/>
um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und entha&#x0364;lt einige Dutzend Hu&#x0364;tten, eine Mo-<lb/>
&#x017F;chee und ein Bad.</p><lb/>
        <p>Wir fanden beim Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;elim ein &#x017F;ehr gutes Unterkom-<lb/>
men, ein loderndes Kaminfeuer, weiche Pol&#x017F;ter und Tep-<lb/>
piche und ein reichliches Mahl. Der alte Herr trank aus<lb/>
Gefa&#x0364;lligkeit eine Fla&#x017F;che Xeres mit mir aus; nur daru&#x0364;ber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0222] 39. Der Euphrat. — Kieban-Maaden. Kieban-Maaden am Euphrat, den 16. Maͤrz 1838. Durch die einfoͤrmige Schneeeinoͤde ging es am 14. fort bis Haſſan-Tſcheleby; die Haͤuſer dieſes Dorfs ſind mit flachen Erd-Terraſſen eingedeckt, und liegen mit dem Ruͤcken gegen eine Anhoͤhe, ſo daß, wenn man von dieſer Seite herkoͤmmt, man dieſelben faſt gar nicht gewahr wird. So geſchah es mir, daß ich auf das Dach eines Hauſes hinauf ritt und beinahe durch den Rauchfang in den Sa- lon der unterirdiſchen Familie gefallen waͤre. Jch war ſehr beſtuͤrzt uͤber dieſen Vorfall, als wir aber nach dem Fruͤh- ſtuͤck weiter ritten, ging die ganze Caravane uͤber die ge- ſammten Daͤcher der Ortſchaft im froͤhlichen Trabe fort. Je langweiliger die Gegend, je muͤhſamer der Weg bisher geweſen, um ſo erfreulicher war es jetzt, im raſchen Galop durch ein tiefes Felsthal laͤngs eines ſchaͤumenden Gebirgsbachs hinzueilen; das Wetter war ſehr friſch, aber heiter, die Luft hatte ſchon die ſchoͤne blaue Farbe der ita- lieniſchen Landſchaft und die Felſen von roͤthlichem und blauem Geſtein mit ſchroffen kuͤhnen Abhaͤngen waren ma- leriſch ſchoͤn. Jm Hintergrunde erhoben ſich zu beiden Seiten maͤchtige Berge mit Schnee hoch uͤberlagert, von der Abendſonne purpurn gemalt. So aus der Ferne ſah der Schnee wundervoll aus, wir waren aber herzlich froh, ihn von unſerm Wege vorerſt los zu ſein; die Nacht brach- ten wir in Hekim-hann zu, ebenfalls eine Palanke oder Fe- ſtung; der Hof des Hanns naͤmlich iſt von einer Mauer umſchloſſen und enthaͤlt einige Dutzend Huͤtten, eine Mo- ſchee und ein Bad. Wir fanden beim Muͤſſelim ein ſehr gutes Unterkom- men, ein loderndes Kaminfeuer, weiche Polſter und Tep- piche und ein reichliches Mahl. Der alte Herr trank aus Gefaͤlligkeit eine Flaſche Xeres mit mir aus; nur daruͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/222
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/222>, abgerufen am 03.05.2024.