Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

war er erstaunt, daß ich mit dem Degen äße, so nannte
er meine Gabel.

Den 15. brachte ich mit großer Mühe meinen dicken
Effendi sechszehn Stunden weiter. Jn schnellem Galop
zogen wir bald durch tiefe Felsschluchten, bald über sanfte
Höhen, umgeben von Schneegipfeln; aber die Schönheit
der Gegend rührte den Rathsherrn nicht, mit jeder Stunde
schien ihm sein hochgepolsterter Sattel härter, sein Leiden
größer. Jch stellte eine Bouteille Champagner in Per-
spektive, wenn wir Maaden heute noch erreichen würden,
aber nichts lächelte ihm mehr, und wir blieben die Nacht
in einem Dorfe, wo das Ungeziefer mich schrecklich pei-
nigte.

Schon von der Höhe von Ugurula-Oglu hatten wir
am Fuße eines hohen steilen Berges einen Fluß von be-
deutender Größe gesehen, es war der Euphrat. Nach ein-
stündigem Ritt senkten wir uns heute in eine tiefe Fels-
schlucht, die Gegend wurde immer wilder und die Berge
glichen in ihrer Form den Wogen eines stürmischen Mee-
res. Nicht die geringste Vegetation, kein Busch, kein Gras
kein Moos bekleidet die Abhänge, und doch ist die Fär-
bung überaus schön und abwechselnd; die schwarzen, zin-
noberrothen und braunen Felswände, die untere Böschung
aus grünem und blauem Letten, der weiße Schnee auf den
Gipfeln und der lichte Himmel darüber. Tief unten er-
blickten wir jetzt in der engen Schlucht den Frat, den
Fluß, den die größten römischen Jmperatoren als die na-
türliche Grenze ihres unermeßlichen Reichs ansahen. Die
ganze Umgebung ist so wild, das jenseitige Ufer so ohne
Spur von Anbau und die Berge so wegelos, daß man sie
sich als das Ende der Welt vorstellen kann.

Das Städtchen Kieban-Maaden wird erst ganz unten
sichtbar; es liegt am Fuß einer schmalen Reihe von zackigen
Bergen, die den Fluß zu einer weiten Windung nöthigen. Jn
seltsam geformten Booten setzten wir über; das Städtchen
ist ganz gut gebaut und lebt von dem Ertrage der Silber-

war er erſtaunt, daß ich mit dem Degen aͤße, ſo nannte
er meine Gabel.

Den 15. brachte ich mit großer Muͤhe meinen dicken
Effendi ſechszehn Stunden weiter. Jn ſchnellem Galop
zogen wir bald durch tiefe Felsſchluchten, bald uͤber ſanfte
Hoͤhen, umgeben von Schneegipfeln; aber die Schoͤnheit
der Gegend ruͤhrte den Rathsherrn nicht, mit jeder Stunde
ſchien ihm ſein hochgepolſterter Sattel haͤrter, ſein Leiden
groͤßer. Jch ſtellte eine Bouteille Champagner in Per-
ſpektive, wenn wir Maaden heute noch erreichen wuͤrden,
aber nichts laͤchelte ihm mehr, und wir blieben die Nacht
in einem Dorfe, wo das Ungeziefer mich ſchrecklich pei-
nigte.

Schon von der Hoͤhe von Ugurula-Oglu hatten wir
am Fuße eines hohen ſteilen Berges einen Fluß von be-
deutender Groͤße geſehen, es war der Euphrat. Nach ein-
ſtuͤndigem Ritt ſenkten wir uns heute in eine tiefe Fels-
ſchlucht, die Gegend wurde immer wilder und die Berge
glichen in ihrer Form den Wogen eines ſtuͤrmiſchen Mee-
res. Nicht die geringſte Vegetation, kein Buſch, kein Gras
kein Moos bekleidet die Abhaͤnge, und doch iſt die Faͤr-
bung uͤberaus ſchoͤn und abwechſelnd; die ſchwarzen, zin-
noberrothen und braunen Felswaͤnde, die untere Boͤſchung
aus gruͤnem und blauem Letten, der weiße Schnee auf den
Gipfeln und der lichte Himmel daruͤber. Tief unten er-
blickten wir jetzt in der engen Schlucht den Frat, den
Fluß, den die groͤßten roͤmiſchen Jmperatoren als die na-
tuͤrliche Grenze ihres unermeßlichen Reichs anſahen. Die
ganze Umgebung iſt ſo wild, das jenſeitige Ufer ſo ohne
Spur von Anbau und die Berge ſo wegelos, daß man ſie
ſich als das Ende der Welt vorſtellen kann.

Das Staͤdtchen Kieban-Maaden wird erſt ganz unten
ſichtbar; es liegt am Fuß einer ſchmalen Reihe von zackigen
Bergen, die den Fluß zu einer weiten Windung noͤthigen. Jn
ſeltſam geformten Booten ſetzten wir uͤber; das Staͤdtchen
iſt ganz gut gebaut und lebt von dem Ertrage der Silber-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="213"/>
war er er&#x017F;taunt, daß ich mit dem Degen a&#x0364;ße, &#x017F;o nannte<lb/>
er meine Gabel.</p><lb/>
        <p>Den 15. brachte ich mit großer Mu&#x0364;he meinen dicken<lb/>
Effendi &#x017F;echszehn Stunden weiter. Jn &#x017F;chnellem Galop<lb/>
zogen wir bald durch tiefe Fels&#x017F;chluchten, bald u&#x0364;ber &#x017F;anfte<lb/>
Ho&#x0364;hen, umgeben von Schneegipfeln; aber die Scho&#x0364;nheit<lb/>
der Gegend ru&#x0364;hrte den Rathsherrn nicht, mit jeder Stunde<lb/>
&#x017F;chien ihm &#x017F;ein hochgepol&#x017F;terter Sattel ha&#x0364;rter, &#x017F;ein Leiden<lb/>
gro&#x0364;ßer. Jch &#x017F;tellte eine Bouteille Champagner in Per-<lb/>
&#x017F;pektive, wenn wir Maaden heute noch erreichen wu&#x0364;rden,<lb/>
aber nichts la&#x0364;chelte ihm mehr, und wir blieben die Nacht<lb/>
in einem Dorfe, wo das Ungeziefer mich &#x017F;chrecklich pei-<lb/>
nigte.</p><lb/>
        <p>Schon von der Ho&#x0364;he von Ugurula-Oglu hatten wir<lb/>
am Fuße eines hohen &#x017F;teilen Berges einen Fluß von be-<lb/>
deutender Gro&#x0364;ße ge&#x017F;ehen, es war der Euphrat. Nach ein-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ndigem Ritt &#x017F;enkten wir uns heute in eine tiefe Fels-<lb/>
&#x017F;chlucht, die Gegend wurde immer wilder und die Berge<lb/>
glichen in ihrer Form den Wogen eines &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;chen Mee-<lb/>
res. Nicht die gering&#x017F;te Vegetation, kein Bu&#x017F;ch, kein Gras<lb/>
kein Moos bekleidet die Abha&#x0364;nge, und doch i&#x017F;t die Fa&#x0364;r-<lb/>
bung u&#x0364;beraus &#x017F;cho&#x0364;n und abwech&#x017F;elnd; die &#x017F;chwarzen, zin-<lb/>
noberrothen und braunen Felswa&#x0364;nde, die untere Bo&#x0364;&#x017F;chung<lb/>
aus gru&#x0364;nem und blauem Letten, der weiße Schnee auf den<lb/>
Gipfeln und der lichte Himmel daru&#x0364;ber. Tief unten er-<lb/>
blickten wir jetzt in der engen Schlucht den Frat, den<lb/>
Fluß, den die gro&#x0364;ßten ro&#x0364;mi&#x017F;chen Jmperatoren als die na-<lb/>
tu&#x0364;rliche Grenze ihres unermeßlichen Reichs an&#x017F;ahen. Die<lb/>
ganze Umgebung i&#x017F;t &#x017F;o wild, das jen&#x017F;eitige Ufer &#x017F;o ohne<lb/>
Spur von Anbau und die Berge &#x017F;o wegelos, daß man &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich als das Ende der Welt vor&#x017F;tellen kann.</p><lb/>
        <p>Das Sta&#x0364;dtchen Kieban-Maaden wird er&#x017F;t ganz unten<lb/>
&#x017F;ichtbar; es liegt am Fuß einer &#x017F;chmalen Reihe von zackigen<lb/>
Bergen, die den Fluß zu einer weiten Windung no&#x0364;thigen. Jn<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;am geformten Booten &#x017F;etzten wir u&#x0364;ber; das Sta&#x0364;dtchen<lb/>
i&#x017F;t ganz gut gebaut und lebt von dem Ertrage der Silber-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0223] war er erſtaunt, daß ich mit dem Degen aͤße, ſo nannte er meine Gabel. Den 15. brachte ich mit großer Muͤhe meinen dicken Effendi ſechszehn Stunden weiter. Jn ſchnellem Galop zogen wir bald durch tiefe Felsſchluchten, bald uͤber ſanfte Hoͤhen, umgeben von Schneegipfeln; aber die Schoͤnheit der Gegend ruͤhrte den Rathsherrn nicht, mit jeder Stunde ſchien ihm ſein hochgepolſterter Sattel haͤrter, ſein Leiden groͤßer. Jch ſtellte eine Bouteille Champagner in Per- ſpektive, wenn wir Maaden heute noch erreichen wuͤrden, aber nichts laͤchelte ihm mehr, und wir blieben die Nacht in einem Dorfe, wo das Ungeziefer mich ſchrecklich pei- nigte. Schon von der Hoͤhe von Ugurula-Oglu hatten wir am Fuße eines hohen ſteilen Berges einen Fluß von be- deutender Groͤße geſehen, es war der Euphrat. Nach ein- ſtuͤndigem Ritt ſenkten wir uns heute in eine tiefe Fels- ſchlucht, die Gegend wurde immer wilder und die Berge glichen in ihrer Form den Wogen eines ſtuͤrmiſchen Mee- res. Nicht die geringſte Vegetation, kein Buſch, kein Gras kein Moos bekleidet die Abhaͤnge, und doch iſt die Faͤr- bung uͤberaus ſchoͤn und abwechſelnd; die ſchwarzen, zin- noberrothen und braunen Felswaͤnde, die untere Boͤſchung aus gruͤnem und blauem Letten, der weiße Schnee auf den Gipfeln und der lichte Himmel daruͤber. Tief unten er- blickten wir jetzt in der engen Schlucht den Frat, den Fluß, den die groͤßten roͤmiſchen Jmperatoren als die na- tuͤrliche Grenze ihres unermeßlichen Reichs anſahen. Die ganze Umgebung iſt ſo wild, das jenſeitige Ufer ſo ohne Spur von Anbau und die Berge ſo wegelos, daß man ſie ſich als das Ende der Welt vorſtellen kann. Das Staͤdtchen Kieban-Maaden wird erſt ganz unten ſichtbar; es liegt am Fuß einer ſchmalen Reihe von zackigen Bergen, die den Fluß zu einer weiten Windung noͤthigen. Jn ſeltſam geformten Booten ſetzten wir uͤber; das Staͤdtchen iſt ganz gut gebaut und lebt von dem Ertrage der Silber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/223
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/223>, abgerufen am 03.05.2024.