Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Vegetation, als an den Bergwänden einzelne verkrüppelte
Fichten; der Schnee lag überall vier Fuß hoch, war aber
schon so aufgelockert, daß er kaum einen Fußgänger noch
trug. Während des Winters hatten die Saumthiere einen
Fußpfad sich gebahnt und festgetreten; das war nun eine
einzige, zwei Fuß breite Brücke, auf welcher sich unsere Ca-
vallerie in einer langen Linie fortbewegen konnte. Begeg-
nete man aber einem andern Reiter, so mußte er hinunter
und sehen, wie er hernach wieder auf den schmalen Steg
hinauf kam. Das Unglück wollte, daß wir einer ganzen
schwer bepackten Caravane von Kameelen und Eseln begeg-
neten; dies war ein ernstliches Hinderniß, und es blieb,
nach langer Berathung, nichts übrig, als abzupacken, die
Kasten neben den Weg zu breiten und die großen Thiere
trotz ihres Schnarrens und Sträubens in den tiefen Schnee
hinunter zu werfen; es dauerte wohl eine Stunde, ehe wir
das Defilee von Ballen und Kisten, von Menschen, Ka-
meelen und Eseln passirt hatten. Dieser Ritt gehörte über-
haupt zu den mühsamsten, und es ging immer nur im
Schritt vorwärts; erst Abends erreichten wir das Dörf-
chen, in welchem wir beim Mollah ein gutes Unterkommen
gefunden haben. Auf der ganzen zwanzig Stunden weiten
Strecke von Siwas hierher giebt es nur zwei kleine Dörf-
chen, es ist eine vollkommene Einöde; heute, hoffe ich, wer-
den wir aus dem Schnee herauskommen.

Mein Wirth, der Mollah, hat mir einen schönen Wind-
hund geschenkt; diese Race scheint hier zu Hause zu sein,
und ist von vorzüglicher Schönheit; ich revanchire mich mit
Thee und Zucker, letzterer ist hier sehr selten und von den
Türken ungemein geschätzt.

Daß die Gegend früher den Raubzügen der Turkman-
nen und Kurden sehr ausgesetzt gewesen, sieht man dar-
aus, daß überall die Hann oder Wirthshäuser kleine Fe-
stungen bilden.

Vegetation, als an den Bergwaͤnden einzelne verkruͤppelte
Fichten; der Schnee lag uͤberall vier Fuß hoch, war aber
ſchon ſo aufgelockert, daß er kaum einen Fußgaͤnger noch
trug. Waͤhrend des Winters hatten die Saumthiere einen
Fußpfad ſich gebahnt und feſtgetreten; das war nun eine
einzige, zwei Fuß breite Bruͤcke, auf welcher ſich unſere Ca-
vallerie in einer langen Linie fortbewegen konnte. Begeg-
nete man aber einem andern Reiter, ſo mußte er hinunter
und ſehen, wie er hernach wieder auf den ſchmalen Steg
hinauf kam. Das Ungluͤck wollte, daß wir einer ganzen
ſchwer bepackten Caravane von Kameelen und Eſeln begeg-
neten; dies war ein ernſtliches Hinderniß, und es blieb,
nach langer Berathung, nichts uͤbrig, als abzupacken, die
Kaſten neben den Weg zu breiten und die großen Thiere
trotz ihres Schnarrens und Straͤubens in den tiefen Schnee
hinunter zu werfen; es dauerte wohl eine Stunde, ehe wir
das Defilee von Ballen und Kiſten, von Menſchen, Ka-
meelen und Eſeln paſſirt hatten. Dieſer Ritt gehoͤrte uͤber-
haupt zu den muͤhſamſten, und es ging immer nur im
Schritt vorwaͤrts; erſt Abends erreichten wir das Doͤrf-
chen, in welchem wir beim Mollah ein gutes Unterkommen
gefunden haben. Auf der ganzen zwanzig Stunden weiten
Strecke von Siwas hierher giebt es nur zwei kleine Doͤrf-
chen, es iſt eine vollkommene Einoͤde; heute, hoffe ich, wer-
den wir aus dem Schnee herauskommen.

Mein Wirth, der Mollah, hat mir einen ſchoͤnen Wind-
hund geſchenkt; dieſe Raçe ſcheint hier zu Hauſe zu ſein,
und iſt von vorzuͤglicher Schoͤnheit; ich revanchire mich mit
Thee und Zucker, letzterer iſt hier ſehr ſelten und von den
Tuͤrken ungemein geſchaͤtzt.

Daß die Gegend fruͤher den Raubzuͤgen der Turkman-
nen und Kurden ſehr ausgeſetzt geweſen, ſieht man dar-
aus, daß uͤberall die Hann oder Wirthshaͤuſer kleine Fe-
ſtungen bilden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0221" n="211"/>
Vegetation, als an den Bergwa&#x0364;nden einzelne verkru&#x0364;ppelte<lb/>
Fichten; der Schnee lag u&#x0364;berall vier Fuß hoch, war aber<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o aufgelockert, daß er kaum einen Fußga&#x0364;nger noch<lb/>
trug. Wa&#x0364;hrend des Winters hatten die Saumthiere einen<lb/>
Fußpfad &#x017F;ich gebahnt und fe&#x017F;tgetreten; das war nun eine<lb/>
einzige, zwei Fuß breite Bru&#x0364;cke, auf welcher &#x017F;ich un&#x017F;ere Ca-<lb/>
vallerie in einer langen Linie fortbewegen konnte. Begeg-<lb/>
nete man aber einem andern Reiter, &#x017F;o mußte er hinunter<lb/>
und &#x017F;ehen, wie er hernach wieder auf den &#x017F;chmalen Steg<lb/>
hinauf kam. Das Unglu&#x0364;ck wollte, daß wir einer ganzen<lb/>
&#x017F;chwer bepackten Caravane von Kameelen und E&#x017F;eln begeg-<lb/>
neten; dies war ein ern&#x017F;tliches Hinderniß, und es blieb,<lb/>
nach langer Berathung, nichts u&#x0364;brig, als abzupacken, die<lb/>
Ka&#x017F;ten neben den Weg zu breiten und die großen Thiere<lb/>
trotz ihres Schnarrens und Stra&#x0364;ubens in den tiefen Schnee<lb/>
hinunter zu werfen; es dauerte wohl eine Stunde, ehe wir<lb/>
das Defilee von Ballen und Ki&#x017F;ten, von Men&#x017F;chen, Ka-<lb/>
meelen und E&#x017F;eln pa&#x017F;&#x017F;irt hatten. Die&#x017F;er Ritt geho&#x0364;rte u&#x0364;ber-<lb/>
haupt zu den mu&#x0364;h&#x017F;am&#x017F;ten, und es ging immer nur im<lb/>
Schritt vorwa&#x0364;rts; er&#x017F;t Abends erreichten wir das Do&#x0364;rf-<lb/>
chen, in welchem wir beim Mollah ein gutes Unterkommen<lb/>
gefunden haben. Auf der ganzen zwanzig Stunden weiten<lb/>
Strecke von Siwas hierher giebt es nur zwei kleine Do&#x0364;rf-<lb/>
chen, es i&#x017F;t eine vollkommene Eino&#x0364;de; heute, hoffe ich, wer-<lb/>
den wir aus dem Schnee herauskommen.</p><lb/>
        <p>Mein Wirth, der Mollah, hat mir einen &#x017F;cho&#x0364;nen Wind-<lb/>
hund ge&#x017F;chenkt; die&#x017F;e Raçe &#x017F;cheint hier zu Hau&#x017F;e zu &#x017F;ein,<lb/>
und i&#x017F;t von vorzu&#x0364;glicher Scho&#x0364;nheit; ich revanchire mich mit<lb/>
Thee und Zucker, letzterer i&#x017F;t hier &#x017F;ehr &#x017F;elten und von den<lb/>
Tu&#x0364;rken ungemein ge&#x017F;cha&#x0364;tzt.</p><lb/>
        <p>Daß die Gegend fru&#x0364;her den Raubzu&#x0364;gen der Turkman-<lb/>
nen und Kurden &#x017F;ehr ausge&#x017F;etzt gewe&#x017F;en, &#x017F;ieht man dar-<lb/>
aus, daß u&#x0364;berall die Hann oder Wirthsha&#x0364;u&#x017F;er kleine Fe-<lb/>
&#x017F;tungen bilden.</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0221] Vegetation, als an den Bergwaͤnden einzelne verkruͤppelte Fichten; der Schnee lag uͤberall vier Fuß hoch, war aber ſchon ſo aufgelockert, daß er kaum einen Fußgaͤnger noch trug. Waͤhrend des Winters hatten die Saumthiere einen Fußpfad ſich gebahnt und feſtgetreten; das war nun eine einzige, zwei Fuß breite Bruͤcke, auf welcher ſich unſere Ca- vallerie in einer langen Linie fortbewegen konnte. Begeg- nete man aber einem andern Reiter, ſo mußte er hinunter und ſehen, wie er hernach wieder auf den ſchmalen Steg hinauf kam. Das Ungluͤck wollte, daß wir einer ganzen ſchwer bepackten Caravane von Kameelen und Eſeln begeg- neten; dies war ein ernſtliches Hinderniß, und es blieb, nach langer Berathung, nichts uͤbrig, als abzupacken, die Kaſten neben den Weg zu breiten und die großen Thiere trotz ihres Schnarrens und Straͤubens in den tiefen Schnee hinunter zu werfen; es dauerte wohl eine Stunde, ehe wir das Defilee von Ballen und Kiſten, von Menſchen, Ka- meelen und Eſeln paſſirt hatten. Dieſer Ritt gehoͤrte uͤber- haupt zu den muͤhſamſten, und es ging immer nur im Schritt vorwaͤrts; erſt Abends erreichten wir das Doͤrf- chen, in welchem wir beim Mollah ein gutes Unterkommen gefunden haben. Auf der ganzen zwanzig Stunden weiten Strecke von Siwas hierher giebt es nur zwei kleine Doͤrf- chen, es iſt eine vollkommene Einoͤde; heute, hoffe ich, wer- den wir aus dem Schnee herauskommen. Mein Wirth, der Mollah, hat mir einen ſchoͤnen Wind- hund geſchenkt; dieſe Raçe ſcheint hier zu Hauſe zu ſein, und iſt von vorzuͤglicher Schoͤnheit; ich revanchire mich mit Thee und Zucker, letzterer iſt hier ſehr ſelten und von den Tuͤrken ungemein geſchaͤtzt. Daß die Gegend fruͤher den Raubzuͤgen der Turkman- nen und Kurden ſehr ausgeſetzt geweſen, ſieht man dar- aus, daß uͤberall die Hann oder Wirthshaͤuſer kleine Fe- ſtungen bilden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/221
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/221>, abgerufen am 03.05.2024.