befindet, in welchem Scheich Hassan, ein Heiliger, in einem schönen Marmorsarge begraben liegt. Dieser Thurm ist unten aus Quadern, oben aus Ziegeln mit bunt verglase- ten Außenseiten mosaikartig aufgebaut. Vor der Stadt be- suchten wir ein anderes Tekieh mit schöner Aussicht, wel- ches auf einem wohl 100 Fuß hohen Felsen von Marien- oder Spießglas liegt.
Die Umgegend von Siwas ist ganz von Bäumen ent- blößt, nur in der Stadt selbst giebt es viele Pappeln und Kirschbäume; der Weinstock kömmt nicht mehr fort, viel weniger Oliven und Cypressen. Es wird sehr viel Korn gebaut, welches, im Mai gesäet, schnell zum Reifen kömmt, wie im nördlichen Rußland. Die Turkmannischen Noma- denstämme kommen hierher, um Korn einzutauschen.
38. Der Antitaurus oder die kleinasiatische Hochebene.
Alladscha-Hann, den 14. März 1838.
Von Siwas aus ritten wir durch eine weite Niede- rung, überschritten den Kisil-Jrmak, der hier schon 250 Schuh breit und sehr angeschwollen war, auf einer steiner- nen Brücke, und stiegen dann während drei Stunden be- ständig aufwärts. Wir erreichten eine Hochebene, welche mehrere Salzquellen enthält; die Vegetation muß hier schon sehr dürftig sein, und kein Baum oder Strauch sah aus den Schneeflächen hervor. Gegen Abend und bei dichtem Schneegestöber erstiegen wir die höchste Stufe des Anti- Taurus, nämlich den Delikly-Tasch oder "durchbrochenen Stein". Nachdem wir an einer schroffen schönen Fels- klippe vorüber geritten, befanden wir uns auf der Wasser- scheide des Schwarzen und des Mittelländischen Meeres. An diesem Derbent oder Paß befindet sich ein kleines Dörf- chen, welches acht Monate Winter hat; ich glaube, daß die Höhe gewiß 5000 Fuß über dem Meere liegt.
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befindet, in welchem Scheich Haſſan, ein Heiliger, in einem ſchoͤnen Marmorſarge begraben liegt. Dieſer Thurm iſt unten aus Quadern, oben aus Ziegeln mit bunt verglaſe- ten Außenſeiten moſaikartig aufgebaut. Vor der Stadt be- ſuchten wir ein anderes Tekieh mit ſchoͤner Ausſicht, wel- ches auf einem wohl 100 Fuß hohen Felſen von Marien- oder Spießglas liegt.
Die Umgegend von Siwas iſt ganz von Baͤumen ent- bloͤßt, nur in der Stadt ſelbſt giebt es viele Pappeln und Kirſchbaͤume; der Weinſtock koͤmmt nicht mehr fort, viel weniger Oliven und Cypreſſen. Es wird ſehr viel Korn gebaut, welches, im Mai geſaͤet, ſchnell zum Reifen koͤmmt, wie im noͤrdlichen Rußland. Die Turkmanniſchen Noma- denſtaͤmme kommen hierher, um Korn einzutauſchen.
38. Der Antitaurus oder die kleinaſiatiſche Hochebene.
Alladſcha-Hann, den 14. Maͤrz 1838.
Von Siwas aus ritten wir durch eine weite Niede- rung, uͤberſchritten den Kiſil-Jrmak, der hier ſchon 250 Schuh breit und ſehr angeſchwollen war, auf einer ſteiner- nen Bruͤcke, und ſtiegen dann waͤhrend drei Stunden be- ſtaͤndig aufwaͤrts. Wir erreichten eine Hochebene, welche mehrere Salzquellen enthaͤlt; die Vegetation muß hier ſchon ſehr duͤrftig ſein, und kein Baum oder Strauch ſah aus den Schneeflaͤchen hervor. Gegen Abend und bei dichtem Schneegeſtoͤber erſtiegen wir die hoͤchſte Stufe des Anti- Taurus, naͤmlich den Delikly-Taſch oder „durchbrochenen Stein“. Nachdem wir an einer ſchroffen ſchoͤnen Fels- klippe voruͤber geritten, befanden wir uns auf der Waſſer- ſcheide des Schwarzen und des Mittellaͤndiſchen Meeres. An dieſem Derbent oder Paß befindet ſich ein kleines Doͤrf- chen, welches acht Monate Winter hat; ich glaube, daß die Hoͤhe gewiß 5000 Fuß uͤber dem Meere liegt.
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befindet, in welchem Scheich Haſſan, ein Heiliger, in einem
ſchoͤnen Marmorſarge begraben liegt. Dieſer Thurm iſt
unten aus Quadern, oben aus Ziegeln mit bunt verglaſe-
ten Außenſeiten moſaikartig aufgebaut. Vor der Stadt be-
ſuchten wir ein anderes Tekieh mit ſchoͤner Ausſicht, wel-
ches auf einem wohl 100 Fuß hohen Felſen von Marien-
oder Spießglas liegt.
Die Umgegend von Siwas iſt ganz von Baͤumen ent-
bloͤßt, nur in der Stadt ſelbſt giebt es viele Pappeln und
Kirſchbaͤume; der Weinſtock koͤmmt nicht mehr fort, viel
weniger Oliven und Cypreſſen. Es wird ſehr viel Korn
gebaut, welches, im Mai geſaͤet, ſchnell zum Reifen koͤmmt,
wie im noͤrdlichen Rußland. Die Turkmanniſchen Noma-
denſtaͤmme kommen hierher, um Korn einzutauſchen.
38.
Der Antitaurus oder die kleinaſiatiſche Hochebene.
Alladſcha-Hann, den 14. Maͤrz 1838.
Von Siwas aus ritten wir durch eine weite Niede-
rung, uͤberſchritten den Kiſil-Jrmak, der hier ſchon 250
Schuh breit und ſehr angeſchwollen war, auf einer ſteiner-
nen Bruͤcke, und ſtiegen dann waͤhrend drei Stunden be-
ſtaͤndig aufwaͤrts. Wir erreichten eine Hochebene, welche
mehrere Salzquellen enthaͤlt; die Vegetation muß hier ſchon
ſehr duͤrftig ſein, und kein Baum oder Strauch ſah aus
den Schneeflaͤchen hervor. Gegen Abend und bei dichtem
Schneegeſtoͤber erſtiegen wir die hoͤchſte Stufe des Anti-
Taurus, naͤmlich den Delikly-Taſch oder „durchbrochenen
Stein“. Nachdem wir an einer ſchroffen ſchoͤnen Fels-
klippe voruͤber geritten, befanden wir uns auf der Waſſer-
ſcheide des Schwarzen und des Mittellaͤndiſchen Meeres.
An dieſem Derbent oder Paß befindet ſich ein kleines Doͤrf-
chen, welches acht Monate Winter hat; ich glaube, daß
die Hoͤhe gewiß 5000 Fuß uͤber dem Meere liegt.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/219>, abgerufen am 27.11.2024.
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