faltet, und der Erste am Ufer war Dandolo. Bald besetz- ten die Venetianer fünf und zwanzig Thürme und das Ban- ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiserstadt.
Eine furchtbare Feuersbrunst, als deren Urheber uns quidam comes teutonicus genannt wird, weckte die Byzan- tiner aus dem neunhundertjährigen Traum von der Un- nehmbarkeit ihrer Stadt. So streng sie die Ketzerei der Lateiner verdammten, so hatten sie doch ihrerseits eine Mo- schee in Konstantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die Sache, indem sie jenes Bethaus in Brand steckten, aber die Flammen verbreiteten sich vom Hafen bis zum Pro- pontis, und verzehrten während acht Tagen zahllose Häu- ser und prächtige Palläste. Es geht aus diesem Umstande hervor, daß auch das griechische Byzanz wahrscheinlich fast ganz aus hölzernen Wohnungen bestand.
Der wechselseitige bittere Haß der Lateiner und Grie- chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf des Jahrs sahen jene sich aus der Stadt verdrängt und zu einer neuen weit schwierigern Belagerung genöthigt, welche drei Monate dauerte; diesmal geschah der Angriff allein von der Hafenseite. Der Kaiser hatte sein scharlachrothes Zelt auf der Höhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moschee Se- lims sich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner schlug er glück- lich ab, die Angreifer büßten viele Menschen ein, und Vil- lehardouin selbst meint, daß "multere grant peril". Der Angriff wurde nichts desto weniger drei Tage hinter ein- ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren "der Kreuzfahrer" und "das Paradies" segelten mit fri- schem Norwind dicht an das Ufer; die Bischöfe von Troyes und Soissons führten die Vorhut, vier Thürme wurden genommen, die Thore gesprengt und eine furchtbare Feuers- brunst angezündet; da erschienen Abgesandte der Griechen vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutschen befeh- ligte, und riefen: "Heiliger Markgraf und König, erbarme dich unser!" Die Palläste Blachernä und Bukoleon wur-
faltet, und der Erſte am Ufer war Dandolo. Bald beſetz- ten die Venetianer fuͤnf und zwanzig Thuͤrme und das Ban- ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiſerſtadt.
Eine furchtbare Feuersbrunſt, als deren Urheber uns quidam comes teutonicus genannt wird, weckte die Byzan- tiner aus dem neunhundertjaͤhrigen Traum von der Un- nehmbarkeit ihrer Stadt. So ſtreng ſie die Ketzerei der Lateiner verdammten, ſo hatten ſie doch ihrerſeits eine Mo- ſchee in Konſtantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die Sache, indem ſie jenes Bethaus in Brand ſteckten, aber die Flammen verbreiteten ſich vom Hafen bis zum Pro- pontis, und verzehrten waͤhrend acht Tagen zahlloſe Haͤu- ſer und praͤchtige Pallaͤſte. Es geht aus dieſem Umſtande hervor, daß auch das griechiſche Byzanz wahrſcheinlich faſt ganz aus hoͤlzernen Wohnungen beſtand.
Der wechſelſeitige bittere Haß der Lateiner und Grie- chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf des Jahrs ſahen jene ſich aus der Stadt verdraͤngt und zu einer neuen weit ſchwierigern Belagerung genoͤthigt, welche drei Monate dauerte; diesmal geſchah der Angriff allein von der Hafenſeite. Der Kaiſer hatte ſein ſcharlachrothes Zelt auf der Hoͤhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moſchee Se- lims ſich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner ſchlug er gluͤck- lich ab, die Angreifer buͤßten viele Menſchen ein, und Vil- lehardouin ſelbſt meint, daß „multére grant péril“. Der Angriff wurde nichts deſto weniger drei Tage hinter ein- ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren „der Kreuzfahrer“ und „das Paradies“ ſegelten mit fri- ſchem Norwind dicht an das Ufer; die Biſchoͤfe von Troyes und Soiſſons fuͤhrten die Vorhut, vier Thuͤrme wurden genommen, die Thore geſprengt und eine furchtbare Feuers- brunſt angezuͤndet; da erſchienen Abgeſandte der Griechen vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutſchen befeh- ligte, und riefen: „Heiliger Markgraf und Koͤnig, erbarme dich unſer!“ Die Pallaͤſte Blachernaͤ und Bukoleon wur-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0198"n="188"/>
faltet, und der Erſte am Ufer war Dandolo. Bald beſetz-<lb/>
ten die Venetianer fuͤnf und zwanzig Thuͤrme und das Ban-<lb/>
ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiſerſtadt.</p><lb/><p>Eine furchtbare Feuersbrunſt, als deren Urheber uns<lb/><hirendition="#aq">quidam comes teutonicus</hi> genannt wird, weckte die Byzan-<lb/>
tiner aus dem neunhundertjaͤhrigen Traum von der Un-<lb/>
nehmbarkeit ihrer Stadt. So ſtreng ſie die Ketzerei der<lb/>
Lateiner verdammten, ſo hatten ſie doch ihrerſeits eine Mo-<lb/>ſchee in Konſtantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die<lb/>
Sache, indem ſie jenes Bethaus in Brand ſteckten, aber<lb/>
die Flammen verbreiteten ſich vom Hafen bis zum Pro-<lb/>
pontis, und verzehrten waͤhrend acht Tagen zahlloſe Haͤu-<lb/>ſer und praͤchtige Pallaͤſte. Es geht aus dieſem Umſtande<lb/>
hervor, daß auch das griechiſche Byzanz wahrſcheinlich faſt<lb/>
ganz aus hoͤlzernen Wohnungen beſtand.</p><lb/><p>Der wechſelſeitige bittere Haß der Lateiner und Grie-<lb/>
chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf<lb/>
des Jahrs ſahen jene ſich aus der Stadt verdraͤngt und zu<lb/>
einer neuen weit ſchwierigern Belagerung genoͤthigt, welche<lb/>
drei Monate dauerte; diesmal geſchah der Angriff allein<lb/>
von der Hafenſeite. Der Kaiſer hatte ſein ſcharlachrothes<lb/>
Zelt auf der Hoͤhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moſchee Se-<lb/>
lims ſich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger<lb/>
an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner ſchlug er gluͤck-<lb/>
lich ab, die Angreifer buͤßten viele Menſchen ein, und Vil-<lb/>
lehardouin ſelbſt meint, daß „<hirendition="#aq">multére grant péril</hi>“. Der<lb/>
Angriff wurde nichts deſto weniger drei Tage hinter ein-<lb/>
ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren<lb/>„der Kreuzfahrer“ und „das Paradies“ſegelten mit fri-<lb/>ſchem Norwind dicht an das Ufer; die Biſchoͤfe von Troyes<lb/>
und Soiſſons fuͤhrten die Vorhut, vier Thuͤrme wurden<lb/>
genommen, die Thore geſprengt und eine furchtbare Feuers-<lb/>
brunſt angezuͤndet; da erſchienen Abgeſandte der Griechen<lb/>
vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutſchen befeh-<lb/>
ligte, und riefen: „Heiliger Markgraf und Koͤnig, erbarme<lb/>
dich unſer!“ Die Pallaͤſte Blachernaͤ und Bukoleon wur-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[188/0198]
faltet, und der Erſte am Ufer war Dandolo. Bald beſetz-
ten die Venetianer fuͤnf und zwanzig Thuͤrme und das Ban-
ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiſerſtadt.
Eine furchtbare Feuersbrunſt, als deren Urheber uns
quidam comes teutonicus genannt wird, weckte die Byzan-
tiner aus dem neunhundertjaͤhrigen Traum von der Un-
nehmbarkeit ihrer Stadt. So ſtreng ſie die Ketzerei der
Lateiner verdammten, ſo hatten ſie doch ihrerſeits eine Mo-
ſchee in Konſtantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die
Sache, indem ſie jenes Bethaus in Brand ſteckten, aber
die Flammen verbreiteten ſich vom Hafen bis zum Pro-
pontis, und verzehrten waͤhrend acht Tagen zahlloſe Haͤu-
ſer und praͤchtige Pallaͤſte. Es geht aus dieſem Umſtande
hervor, daß auch das griechiſche Byzanz wahrſcheinlich faſt
ganz aus hoͤlzernen Wohnungen beſtand.
Der wechſelſeitige bittere Haß der Lateiner und Grie-
chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf
des Jahrs ſahen jene ſich aus der Stadt verdraͤngt und zu
einer neuen weit ſchwierigern Belagerung genoͤthigt, welche
drei Monate dauerte; diesmal geſchah der Angriff allein
von der Hafenſeite. Der Kaiſer hatte ſein ſcharlachrothes
Zelt auf der Hoͤhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moſchee Se-
lims ſich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger
an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner ſchlug er gluͤck-
lich ab, die Angreifer buͤßten viele Menſchen ein, und Vil-
lehardouin ſelbſt meint, daß „multére grant péril“. Der
Angriff wurde nichts deſto weniger drei Tage hinter ein-
ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren
„der Kreuzfahrer“ und „das Paradies“ ſegelten mit fri-
ſchem Norwind dicht an das Ufer; die Biſchoͤfe von Troyes
und Soiſſons fuͤhrten die Vorhut, vier Thuͤrme wurden
genommen, die Thore geſprengt und eine furchtbare Feuers-
brunſt angezuͤndet; da erſchienen Abgeſandte der Griechen
vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutſchen befeh-
ligte, und riefen: „Heiliger Markgraf und Koͤnig, erbarme
dich unſer!“ Die Pallaͤſte Blachernaͤ und Bukoleon wur-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/198>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.