hänger der damals neu entstandenen Lehre Mahomeds ver- mochten indeß während sechs auf einander folgender Som- mer nichts gegen diese Mauern, denen der Osten Europa's damals seine Rettung vor den Saracenen verdankte. Die Flut ihrer Eroberung brach sich an diesem Bollwerk, sie wälzte sich zurück über Syrien, Aegypten und Nord-Afrika und überschwemmte Spanien und einen Theil von Frank- reich; aber einen schwerern Stand hatte die Kaiserstadt ge- gen die Ritterschaft des Abendlandes im vierten Kreuzzuge. Die fränkischen Barone vereinten sich mit den venetiani- schen Kaufleuten, und 360 Schiffe, begleitet von 70 Pro- viant-Fahrzeugen und 50 zum Kampfe bereiteten Galeeren führten 40,000 lateinische Christen durch den Hellespont nach Scutari. Der Uebergang über den Bosphor wurde in sechs Heerhaufen bewerkstelligt und von den Griechen nicht verhindert. Die venetianischen Galeeren sprengten die große von schwimmenden Balken getragene Hafenkette und zerstörten den Rest der byzantinischen Flotte. Jene Hafenkette soll von Konstantinopel bis zum "Thurm von Galata" gereicht haben. Wahrscheinlich lag dieser Thurm an der schmalsten Stelle des Hafens, da wo jetzt das Zoll- haus steht. Auch dann war die Kette immer noch über 400 Ellen lang; der große Thurm auf dem höchsten Punkt von Galata ist aber gewiß nicht gemeint. Die Kette wurde nachmals als Siegeszeichen nach Palästina geschickt.
Die Franken griffen die Mauer auf der Landfront an; sie setzten 250 Kriegsmaschinen in Arbeit und gingen end- lich zum Angriff auf Sturmleitern über, welcher jedoch zu- rückgeschlagen wurde. Die Venetianer hingegen bestürm- ten die Stadt von der Hafenseite; ihre großen Galeeren konnten bis dicht an das Ufer rücken, und ließen Fallbrük- ken aus den Mastkörben bis auf die Thürme hinab. Das vorderste Schiff war das des Dogen Dandolo, eines neunzig- jährigen blinden Greises; er stand auf dem Vordertheil des Verdecks, eine hohe und ehrwürdige Gestalt, in voller Rü- stung; vor ihm war die Fahne des heiligen Marcus ent-
haͤnger der damals neu entſtandenen Lehre Mahomeds ver- mochten indeß waͤhrend ſechs auf einander folgender Som- mer nichts gegen dieſe Mauern, denen der Oſten Europa's damals ſeine Rettung vor den Saracenen verdankte. Die Flut ihrer Eroberung brach ſich an dieſem Bollwerk, ſie waͤlzte ſich zuruͤck uͤber Syrien, Aegypten und Nord-Afrika und uͤberſchwemmte Spanien und einen Theil von Frank- reich; aber einen ſchwerern Stand hatte die Kaiſerſtadt ge- gen die Ritterſchaft des Abendlandes im vierten Kreuzzuge. Die fraͤnkiſchen Barone vereinten ſich mit den venetiani- ſchen Kaufleuten, und 360 Schiffe, begleitet von 70 Pro- viant-Fahrzeugen und 50 zum Kampfe bereiteten Galeeren fuͤhrten 40,000 lateiniſche Chriſten durch den Helleſpont nach Scutari. Der Uebergang uͤber den Bosphor wurde in ſechs Heerhaufen bewerkſtelligt und von den Griechen nicht verhindert. Die venetianiſchen Galeeren ſprengten die große von ſchwimmenden Balken getragene Hafenkette und zerſtoͤrten den Reſt der byzantiniſchen Flotte. Jene Hafenkette ſoll von Konſtantinopel bis zum „Thurm von Galata“ gereicht haben. Wahrſcheinlich lag dieſer Thurm an der ſchmalſten Stelle des Hafens, da wo jetzt das Zoll- haus ſteht. Auch dann war die Kette immer noch uͤber 400 Ellen lang; der große Thurm auf dem hoͤchſten Punkt von Galata iſt aber gewiß nicht gemeint. Die Kette wurde nachmals als Siegeszeichen nach Palaͤſtina geſchickt.
Die Franken griffen die Mauer auf der Landfront an; ſie ſetzten 250 Kriegsmaſchinen in Arbeit und gingen end- lich zum Angriff auf Sturmleitern uͤber, welcher jedoch zu- ruͤckgeſchlagen wurde. Die Venetianer hingegen beſtuͤrm- ten die Stadt von der Hafenſeite; ihre großen Galeeren konnten bis dicht an das Ufer ruͤcken, und ließen Fallbruͤk- ken aus den Maſtkoͤrben bis auf die Thuͤrme hinab. Das vorderſte Schiff war das des Dogen Dandolo, eines neunzig- jaͤhrigen blinden Greiſes; er ſtand auf dem Vordertheil des Verdecks, eine hohe und ehrwuͤrdige Geſtalt, in voller Ruͤ- ſtung; vor ihm war die Fahne des heiligen Marcus ent-
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haͤnger der damals neu entſtandenen Lehre Mahomeds ver-
mochten indeß waͤhrend ſechs auf einander folgender Som-
mer nichts gegen dieſe Mauern, denen der Oſten Europa's
damals ſeine Rettung vor den Saracenen verdankte. Die
Flut ihrer Eroberung brach ſich an dieſem Bollwerk, ſie
waͤlzte ſich zuruͤck uͤber Syrien, Aegypten und Nord-Afrika
und uͤberſchwemmte Spanien und einen Theil von Frank-
reich; aber einen ſchwerern Stand hatte die Kaiſerſtadt ge-
gen die Ritterſchaft des Abendlandes im vierten Kreuzzuge.
Die fraͤnkiſchen Barone vereinten ſich mit den venetiani-
ſchen Kaufleuten, und 360 Schiffe, begleitet von 70 Pro-
viant-Fahrzeugen und 50 zum Kampfe bereiteten Galeeren
fuͤhrten 40,000 lateiniſche Chriſten durch den Helleſpont
nach Scutari. Der Uebergang uͤber den Bosphor wurde
in ſechs Heerhaufen bewerkſtelligt und von den Griechen
nicht verhindert. Die venetianiſchen Galeeren ſprengten
die große von ſchwimmenden Balken getragene Hafenkette
und zerſtoͤrten den Reſt der byzantiniſchen Flotte. Jene
Hafenkette ſoll von Konſtantinopel bis zum „Thurm von
Galata“ gereicht haben. Wahrſcheinlich lag dieſer Thurm
an der ſchmalſten Stelle des Hafens, da wo jetzt das Zoll-
haus ſteht. Auch dann war die Kette immer noch uͤber
400 Ellen lang; der große Thurm auf dem hoͤchſten Punkt
von Galata iſt aber gewiß nicht gemeint. Die Kette wurde
nachmals als Siegeszeichen nach Palaͤſtina geſchickt.
Die Franken griffen die Mauer auf der Landfront an;
ſie ſetzten 250 Kriegsmaſchinen in Arbeit und gingen end-
lich zum Angriff auf Sturmleitern uͤber, welcher jedoch zu-
ruͤckgeſchlagen wurde. Die Venetianer hingegen beſtuͤrm-
ten die Stadt von der Hafenſeite; ihre großen Galeeren
konnten bis dicht an das Ufer ruͤcken, und ließen Fallbruͤk-
ken aus den Maſtkoͤrben bis auf die Thuͤrme hinab. Das
vorderſte Schiff war das des Dogen Dandolo, eines neunzig-
jaͤhrigen blinden Greiſes; er ſtand auf dem Vordertheil des
Verdecks, eine hohe und ehrwuͤrdige Geſtalt, in voller Ruͤ-
ſtung; vor ihm war die Fahne des heiligen Marcus ent-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/197>, abgerufen am 29.11.2024.
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