den besetzt, die Stadt der Plünderung preisgegeben, aber die Thore den Flüchtlingen geöffnet. Unermeßliche Beute wurde gemacht, und das Reich Konstantins hörte auf zu sein oder wurde wenigstens auf die Kaiserthümer Trape- zunt, Nicäa und Epirus beschränkt.
Aerger, als später die Türken, hauseten damals die lateinischen Christen in Byzanz. Nicetas zählt die lange Reihe von Kunstwerken und Statüen her, welche von ihnen zertrümmert oder eingeschmolzen wurden. Die vier bron- cenen Rosse des Lysippus aber, welche von Griechenland nach Rom, und von Rom nach Byzanz gewandert waren, wurden von den Venetianern gerettet und nach dem Mar- cusplatz versetzt, wo sie heute noch stehen, nachdem der neugallische Jmperator sie auf kurze Zeit nach Paris ge- schleppt hatte.
Fünf lateinische Kaiser aus den Häusern Flandern und Courtenay herrschten zu Konstantinopel während eines hal- ben Jahrhunderts; aber ihr Reich war so schwach, daß der Feldherr des Michael Paläologus die Hauptstadt durch einen Handstreich mit 800 Mann nehmen konnte. Diese erstiegen die Mauer auf Leitern und öffneten das goldene Thor, welches seit lange ungangbar gemacht war, von innen.
Unter den lateinischen Kaisern hatten die Venetianer sich in Galata festgesetzt; sie wurden von ihren Nebenbuh- lern, den Genuesern, verdrängt, welche Erlaubniß erhiel- ten, jene Stadt jenseits des Hafens mit Mauern und Thür- men zu befestigen. Bald trotzten die Genueser hinter ihren Bollwerken den Kaisern; sie erbauten Burgen auf beiden Ufern des Bosphorus, und der ganze Handel des Schwar- zen Meeres und der Levante lag in ihrer Hand; sie rissen die wichtigen Fischereien an sich und machten sogar die Ueberfahrten zu ihrem Monopol. Es kam zu förmlichen Feindseligkeiten, und wenig fehlte, daß nicht in diesen Käm- pfen das römische Reich eine Provinz der genuesischen Fak- torei wurde.
den beſetzt, die Stadt der Pluͤnderung preisgegeben, aber die Thore den Fluͤchtlingen geoͤffnet. Unermeßliche Beute wurde gemacht, und das Reich Konſtantins hoͤrte auf zu ſein oder wurde wenigſtens auf die Kaiſerthuͤmer Trape- zunt, Nicaͤa und Epirus beſchraͤnkt.
Aerger, als ſpaͤter die Tuͤrken, hauſeten damals die lateiniſchen Chriſten in Byzanz. Nicetas zaͤhlt die lange Reihe von Kunſtwerken und Statuͤen her, welche von ihnen zertruͤmmert oder eingeſchmolzen wurden. Die vier bron- cenen Roſſe des Lyſippus aber, welche von Griechenland nach Rom, und von Rom nach Byzanz gewandert waren, wurden von den Venetianern gerettet und nach dem Mar- cusplatz verſetzt, wo ſie heute noch ſtehen, nachdem der neugalliſche Jmperator ſie auf kurze Zeit nach Paris ge- ſchleppt hatte.
Fuͤnf lateiniſche Kaiſer aus den Haͤuſern Flandern und Courtenay herrſchten zu Konſtantinopel waͤhrend eines hal- ben Jahrhunderts; aber ihr Reich war ſo ſchwach, daß der Feldherr des Michael Palaͤologus die Hauptſtadt durch einen Handſtreich mit 800 Mann nehmen konnte. Dieſe erſtiegen die Mauer auf Leitern und oͤffneten das goldene Thor, welches ſeit lange ungangbar gemacht war, von innen.
Unter den lateiniſchen Kaiſern hatten die Venetianer ſich in Galata feſtgeſetzt; ſie wurden von ihren Nebenbuh- lern, den Genueſern, verdraͤngt, welche Erlaubniß erhiel- ten, jene Stadt jenſeits des Hafens mit Mauern und Thuͤr- men zu befeſtigen. Bald trotzten die Genueſer hinter ihren Bollwerken den Kaiſern; ſie erbauten Burgen auf beiden Ufern des Bosphorus, und der ganze Handel des Schwar- zen Meeres und der Levante lag in ihrer Hand; ſie riſſen die wichtigen Fiſchereien an ſich und machten ſogar die Ueberfahrten zu ihrem Monopol. Es kam zu foͤrmlichen Feindſeligkeiten, und wenig fehlte, daß nicht in dieſen Kaͤm- pfen das roͤmiſche Reich eine Provinz der genueſiſchen Fak- torei wurde.
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den beſetzt, die Stadt der Pluͤnderung preisgegeben, aber
die Thore den Fluͤchtlingen geoͤffnet. Unermeßliche Beute
wurde gemacht, und das Reich Konſtantins hoͤrte auf zu
ſein oder wurde wenigſtens auf die Kaiſerthuͤmer Trape-
zunt, Nicaͤa und Epirus beſchraͤnkt.
Aerger, als ſpaͤter die Tuͤrken, hauſeten damals die
lateiniſchen Chriſten in Byzanz. Nicetas zaͤhlt die lange
Reihe von Kunſtwerken und Statuͤen her, welche von ihnen
zertruͤmmert oder eingeſchmolzen wurden. Die vier bron-
cenen Roſſe des Lyſippus aber, welche von Griechenland
nach Rom, und von Rom nach Byzanz gewandert waren,
wurden von den Venetianern gerettet und nach dem Mar-
cusplatz verſetzt, wo ſie heute noch ſtehen, nachdem der
neugalliſche Jmperator ſie auf kurze Zeit nach Paris ge-
ſchleppt hatte.
Fuͤnf lateiniſche Kaiſer aus den Haͤuſern Flandern und
Courtenay herrſchten zu Konſtantinopel waͤhrend eines hal-
ben Jahrhunderts; aber ihr Reich war ſo ſchwach, daß
der Feldherr des Michael Palaͤologus die Hauptſtadt durch
einen Handſtreich mit 800 Mann nehmen konnte. Dieſe
erſtiegen die Mauer auf Leitern und oͤffneten das goldene
Thor, welches ſeit lange ungangbar gemacht war, von
innen.
Unter den lateiniſchen Kaiſern hatten die Venetianer
ſich in Galata feſtgeſetzt; ſie wurden von ihren Nebenbuh-
lern, den Genueſern, verdraͤngt, welche Erlaubniß erhiel-
ten, jene Stadt jenſeits des Hafens mit Mauern und Thuͤr-
men zu befeſtigen. Bald trotzten die Genueſer hinter ihren
Bollwerken den Kaiſern; ſie erbauten Burgen auf beiden
Ufern des Bosphorus, und der ganze Handel des Schwar-
zen Meeres und der Levante lag in ihrer Hand; ſie riſſen
die wichtigen Fiſchereien an ſich und machten ſogar die
Ueberfahrten zu ihrem Monopol. Es kam zu foͤrmlichen
Feindſeligkeiten, und wenig fehlte, daß nicht in dieſen Kaͤm-
pfen das roͤmiſche Reich eine Provinz der genueſiſchen Fak-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/199>, abgerufen am 28.11.2024.
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