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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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wohl erhalten. -- Jn der Landmauer selbst erheben sich
zwei alte kaiserliche Palläste, aber beide von sehr geringer
Ausdehnung. Der erste bildet einen Theil des Castells der
Siebenthürme (Jedi-Kuleler, das alte Kyklobyon); er ist
aus Marmor ohne Mörtel erbaut, bildet zwei 80 Fuß hohe
Thürme mit wenigen engen Fenstern und einem zierlichen,
jetzt vermauerten Portal nach Außen, welches früher das
goldene Thor hieß; der zweite, das alte Hebdomon, jetzt
Tekfur-seraj, liegt in dem eingehenden Winkel, wo die äl-
tere und neuere Stadtmauer zusammen stoßen. Die Mau-
ern dieses Herrschersitzes bilden eine schöne Ruine, welche
vier Stockwerke, aber nur fünf große, reich verzierte Fen-
ster in der Front zeigt. Gegenwärtig ist der Kaiserpallast
die Wohnung mehrerer Judenfamilien, welche in unbeschreib-
lichem Schmutz und Elend hausen, und bildet einen Haupt-
Foyer der Pest. Hier war es, wo bei Gelegenheit eines
feierlichen Aufzuges zu Justinians Zeit einer der größten
Edelsteine aus der griechischen Kaiserkrone verloren ging,
tausend Jahre im Schutt begraben lag und von einem spie-
lenden Kinde zu Mohammeds II. Zeit wieder gefunden wurde.

Von dem berühmten Pallast Blachernä endlich, dessen
Pracht und Herrlichkeit die fränkischen Kreuzfahrer so in
Erstaunen setzte, und dessen Lage an der Landmauer und
dem Hafen mit großer Bestimmtheit anzunehmen ist, fand
ich nicht die geringste Spur.

Die Mauer am Propontis ist oft von den gewaltigen
Wogen, welche der Südwind aufthürmt, beschädigt wor-
den; Hunderte von Säulenschaften sind eingemauert, um
ihr Fundament zu stützen und eine Menge von Jnschriften
treten dort an's Licht.

Die Mauer des Theodosius erfuhr die erste Belagerung
626 durch die Perser und Avaren; aber damals waren die
Byzantiner noch Herren des Meeres, und die Schaaren
Chosroes blieben vom asiatischen Ufer müßige Zuschauer
der Niederlage ihrer Verbündeten. Funfzig Jahre später
erschien eine arabische Flotte vor Konstantinopel; die An-

wohl erhalten. — Jn der Landmauer ſelbſt erheben ſich
zwei alte kaiſerliche Pallaͤſte, aber beide von ſehr geringer
Ausdehnung. Der erſte bildet einen Theil des Caſtells der
Siebenthuͤrme (Jedi-Kuleler, das alte Kyklobyon); er iſt
aus Marmor ohne Moͤrtel erbaut, bildet zwei 80 Fuß hohe
Thuͤrme mit wenigen engen Fenſtern und einem zierlichen,
jetzt vermauerten Portal nach Außen, welches fruͤher das
goldene Thor hieß; der zweite, das alte Hebdomon, jetzt
Tekfur-ſeraj, liegt in dem eingehenden Winkel, wo die aͤl-
tere und neuere Stadtmauer zuſammen ſtoßen. Die Mau-
ern dieſes Herrſcherſitzes bilden eine ſchoͤne Ruine, welche
vier Stockwerke, aber nur fuͤnf große, reich verzierte Fen-
ſter in der Front zeigt. Gegenwaͤrtig iſt der Kaiſerpallaſt
die Wohnung mehrerer Judenfamilien, welche in unbeſchreib-
lichem Schmutz und Elend hauſen, und bildet einen Haupt-
Foyer der Peſt. Hier war es, wo bei Gelegenheit eines
feierlichen Aufzuges zu Juſtinians Zeit einer der groͤßten
Edelſteine aus der griechiſchen Kaiſerkrone verloren ging,
tauſend Jahre im Schutt begraben lag und von einem ſpie-
lenden Kinde zu Mohammeds II. Zeit wieder gefunden wurde.

Von dem beruͤhmten Pallaſt Blachernaͤ endlich, deſſen
Pracht und Herrlichkeit die fraͤnkiſchen Kreuzfahrer ſo in
Erſtaunen ſetzte, und deſſen Lage an der Landmauer und
dem Hafen mit großer Beſtimmtheit anzunehmen iſt, fand
ich nicht die geringſte Spur.

Die Mauer am Propontis iſt oft von den gewaltigen
Wogen, welche der Suͤdwind aufthuͤrmt, beſchaͤdigt wor-
den; Hunderte von Saͤulenſchaften ſind eingemauert, um
ihr Fundament zu ſtuͤtzen und eine Menge von Jnſchriften
treten dort an's Licht.

Die Mauer des Theodoſius erfuhr die erſte Belagerung
626 durch die Perſer und Avaren; aber damals waren die
Byzantiner noch Herren des Meeres, und die Schaaren
Chosroes blieben vom aſiatiſchen Ufer muͤßige Zuſchauer
der Niederlage ihrer Verbuͤndeten. Funfzig Jahre ſpaͤter
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[186/0196] wohl erhalten. — Jn der Landmauer ſelbſt erheben ſich zwei alte kaiſerliche Pallaͤſte, aber beide von ſehr geringer Ausdehnung. Der erſte bildet einen Theil des Caſtells der Siebenthuͤrme (Jedi-Kuleler, das alte Kyklobyon); er iſt aus Marmor ohne Moͤrtel erbaut, bildet zwei 80 Fuß hohe Thuͤrme mit wenigen engen Fenſtern und einem zierlichen, jetzt vermauerten Portal nach Außen, welches fruͤher das goldene Thor hieß; der zweite, das alte Hebdomon, jetzt Tekfur-ſeraj, liegt in dem eingehenden Winkel, wo die aͤl- tere und neuere Stadtmauer zuſammen ſtoßen. Die Mau- ern dieſes Herrſcherſitzes bilden eine ſchoͤne Ruine, welche vier Stockwerke, aber nur fuͤnf große, reich verzierte Fen- ſter in der Front zeigt. Gegenwaͤrtig iſt der Kaiſerpallaſt die Wohnung mehrerer Judenfamilien, welche in unbeſchreib- lichem Schmutz und Elend hauſen, und bildet einen Haupt- Foyer der Peſt. Hier war es, wo bei Gelegenheit eines feierlichen Aufzuges zu Juſtinians Zeit einer der groͤßten Edelſteine aus der griechiſchen Kaiſerkrone verloren ging, tauſend Jahre im Schutt begraben lag und von einem ſpie- lenden Kinde zu Mohammeds II. Zeit wieder gefunden wurde. Von dem beruͤhmten Pallaſt Blachernaͤ endlich, deſſen Pracht und Herrlichkeit die fraͤnkiſchen Kreuzfahrer ſo in Erſtaunen ſetzte, und deſſen Lage an der Landmauer und dem Hafen mit großer Beſtimmtheit anzunehmen iſt, fand ich nicht die geringſte Spur. Die Mauer am Propontis iſt oft von den gewaltigen Wogen, welche der Suͤdwind aufthuͤrmt, beſchaͤdigt wor- den; Hunderte von Saͤulenſchaften ſind eingemauert, um ihr Fundament zu ſtuͤtzen und eine Menge von Jnſchriften treten dort an's Licht. Die Mauer des Theodoſius erfuhr die erſte Belagerung 626 durch die Perſer und Avaren; aber damals waren die Byzantiner noch Herren des Meeres, und die Schaaren Chosroes blieben vom aſiatiſchen Ufer muͤßige Zuſchauer der Niederlage ihrer Verbuͤndeten. Funfzig Jahre ſpaͤter erſchien eine arabiſche Flotte vor Konſtantinopel; die An-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/196>, abgerufen am 03.05.2024.