selben hinaufklettert. Die Aussicht von diesem künstlichen Berge belohnt reichlich die Mühe des Erklimmens; dicht unter sich hat man auf der einen Seite die innern Höfe bis Serajs, auf der andern den Atmeidan; der Hafen gleicht einem breiten Strom, der mit zahllosen Schiffen und Nachen gerade auf die Sophia zuströmt, und rings um- her erblickt das staunende Auge eine Mannigfaltigkeit von Städten und Meeren, von Land und Gebirg, wie die Phan- tasie sie nicht ersinnen, die Kunst sie nicht nachbilden kann. Das Hinabsteigen ist etwas weniger angenehm.
Jch führe Dich nun auf einen nahen freien Platz, den größten und fast einzigen, den Du in Konstantinopel fin- dest, dies ist der alte Hippodrom, welcher heute den gleich- bedeutenden Namen Atmeidan oder Pferdeplatz führt. Der Hippodrom war ein 400 Schritte langer, 100 Schritte brei- ter Circus, der Atmeidan hingegen ist ein unregelmäßiges Viereck 500 Schritte lang und durchschnittlich 200 Schritte breit. Ein Theil der frühern Ausdehnung ist jedoch durch die Vorhöfe der schönen Moschee Sultan Ahmets und der dazu gehörigen Gebäude, die Jmarete oder Armenküchen, die Medresseh oder Schulen, überdeckt. Die Stelle der kaiserlichen Tribüne nehme ich da an, wo das Timar-hane oder Narrenhaus steht, welches ebenfalls zur Moschee ge- hört, da die Wahnsinnigen von den Türken als Heilige verehrt werden. Wir wissen nämlich aus alten Beschrei- bungen, daß eine Wendelstiege, cochlea, aus dem kaiser- lichen Pallast unmittelbar auf die Tribüne führte; das war nun aber an keinem andern, als an diesem Orte möglich, denn hinter dem Timar-hane fällt ein Felsabhang fast senk- recht ab, während der Hügel, dessen Rücken der Atmeidan krönt, an allen andern Stellen sanft sich gegen den Hafen, wie gegen das Marmormeer abböscht.
Nimmt man das obere Ende des Hippodrom an der Stelle des Timar-hane an, so stehen gerade vor der Tri- büne die drei alten Säulen, die metae des Circus, welche jetzt am Ende des Atmeidan sich erheben. Jene Denkmä-
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ſelben hinaufklettert. Die Ausſicht von dieſem kuͤnſtlichen Berge belohnt reichlich die Muͤhe des Erklimmens; dicht unter ſich hat man auf der einen Seite die innern Hoͤfe bis Serajs, auf der andern den Atmeidan; der Hafen gleicht einem breiten Strom, der mit zahlloſen Schiffen und Nachen gerade auf die Sophia zuſtroͤmt, und rings um- her erblickt das ſtaunende Auge eine Mannigfaltigkeit von Staͤdten und Meeren, von Land und Gebirg, wie die Phan- taſie ſie nicht erſinnen, die Kunſt ſie nicht nachbilden kann. Das Hinabſteigen iſt etwas weniger angenehm.
Jch fuͤhre Dich nun auf einen nahen freien Platz, den groͤßten und faſt einzigen, den Du in Konſtantinopel fin- deſt, dies iſt der alte Hippodrom, welcher heute den gleich- bedeutenden Namen Atmeidan oder Pferdeplatz fuͤhrt. Der Hippodrom war ein 400 Schritte langer, 100 Schritte brei- ter Circus, der Atmeidan hingegen iſt ein unregelmaͤßiges Viereck 500 Schritte lang und durchſchnittlich 200 Schritte breit. Ein Theil der fruͤhern Ausdehnung iſt jedoch durch die Vorhoͤfe der ſchoͤnen Moſchee Sultan Ahmets und der dazu gehoͤrigen Gebaͤude, die Jmarete oder Armenkuͤchen, die Medreſſeh oder Schulen, uͤberdeckt. Die Stelle der kaiſerlichen Tribuͤne nehme ich da an, wo das Timar-hane oder Narrenhaus ſteht, welches ebenfalls zur Moſchee ge- hoͤrt, da die Wahnſinnigen von den Tuͤrken als Heilige verehrt werden. Wir wiſſen naͤmlich aus alten Beſchrei- bungen, daß eine Wendelſtiege, cochlea, aus dem kaiſer- lichen Pallaſt unmittelbar auf die Tribuͤne fuͤhrte; das war nun aber an keinem andern, als an dieſem Orte moͤglich, denn hinter dem Timar-hane faͤllt ein Felsabhang faſt ſenk- recht ab, waͤhrend der Huͤgel, deſſen Ruͤcken der Atmeidan kroͤnt, an allen andern Stellen ſanft ſich gegen den Hafen, wie gegen das Marmormeer abboͤſcht.
Nimmt man das obere Ende des Hippodrom an der Stelle des Timar-hane an, ſo ſtehen gerade vor der Tri- buͤne die drei alten Saͤulen, die metae des Circus, welche jetzt am Ende des Atmeidan ſich erheben. Jene Denkmaͤ-
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ſelben hinaufklettert. Die Ausſicht von dieſem kuͤnſtlichen
Berge belohnt reichlich die Muͤhe des Erklimmens; dicht
unter ſich hat man auf der einen Seite die innern Hoͤfe
bis Serajs, auf der andern den Atmeidan; der Hafen
gleicht einem breiten Strom, der mit zahlloſen Schiffen und
Nachen gerade auf die Sophia zuſtroͤmt, und rings um-
her erblickt das ſtaunende Auge eine Mannigfaltigkeit von
Staͤdten und Meeren, von Land und Gebirg, wie die Phan-
taſie ſie nicht erſinnen, die Kunſt ſie nicht nachbilden kann.
Das Hinabſteigen iſt etwas weniger angenehm.
Jch fuͤhre Dich nun auf einen nahen freien Platz, den
groͤßten und faſt einzigen, den Du in Konſtantinopel fin-
deſt, dies iſt der alte Hippodrom, welcher heute den gleich-
bedeutenden Namen Atmeidan oder Pferdeplatz fuͤhrt. Der
Hippodrom war ein 400 Schritte langer, 100 Schritte brei-
ter Circus, der Atmeidan hingegen iſt ein unregelmaͤßiges
Viereck 500 Schritte lang und durchſchnittlich 200 Schritte
breit. Ein Theil der fruͤhern Ausdehnung iſt jedoch durch
die Vorhoͤfe der ſchoͤnen Moſchee Sultan Ahmets und der
dazu gehoͤrigen Gebaͤude, die Jmarete oder Armenkuͤchen,
die Medreſſeh oder Schulen, uͤberdeckt. Die Stelle der
kaiſerlichen Tribuͤne nehme ich da an, wo das Timar-hane
oder Narrenhaus ſteht, welches ebenfalls zur Moſchee ge-
hoͤrt, da die Wahnſinnigen von den Tuͤrken als Heilige
verehrt werden. Wir wiſſen naͤmlich aus alten Beſchrei-
bungen, daß eine Wendelſtiege, cochlea, aus dem kaiſer-
lichen Pallaſt unmittelbar auf die Tribuͤne fuͤhrte; das war
nun aber an keinem andern, als an dieſem Orte moͤglich,
denn hinter dem Timar-hane faͤllt ein Felsabhang faſt ſenk-
recht ab, waͤhrend der Huͤgel, deſſen Ruͤcken der Atmeidan
kroͤnt, an allen andern Stellen ſanft ſich gegen den Hafen,
wie gegen das Marmormeer abboͤſcht.
Nimmt man das obere Ende des Hippodrom an der
Stelle des Timar-hane an, ſo ſtehen gerade vor der Tri-
buͤne die drei alten Saͤulen, die metae des Circus, welche
jetzt am Ende des Atmeidan ſich erheben. Jene Denkmaͤ-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/187>, abgerufen am 28.11.2024.
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