um unsere Fürsten und Herren bei vollen Schüsseln und reichlichem Getränk in schlechten Zimmern und bei derben Späßen heiter zu sehen.
Ein für mich neuer und interessanter Terrainabschnitt war die Dobrudscha, das Land nämlich zwischen dem Schwar- zen Meer und der Donaumündung. Wenn man auf der Karte die Donau nach so langem östlichen Lauf ganz kurz vor ihrer Ausmündung plötzlich unter einem rechten Win- kel abdrehen und an zwanzig Meilen nördlich fließen sieht, so ist man geneigt, zu glauben, daß sie selbst die Berge an- gewälzt hat, welche sie verhindern, die kurze Strecke von 7 Meilen von Rassova bis zum Meere geradeaus zu gehen. Dies ist aber nicht der Fall; das Gerippe der Dobrudscha wird durch ein Sand- und Kalkstein-Gebirge gebildet, wel- ches bis zu einer gewissen Höhe mit dem angeschwemmten Erdreich der Donau überlagert ist. Ueberall zeigt der Bo- den dieselbe graue Masse von Sand und Lehm, welche schon durch ganz Ungarn die Ufer jenes Stromes bildet, und viele Meilen weit findet man auch nicht den kleinsten Stein, nur so groß wie eine Linse. Dagegen tritt in den Thälern überall Fels zu Tage, und jemehr gegen Norden, je höher und schroffer ragen Felszacken aus den Spitzen der Hügel empor. Jn der Gegend von Matschin bilden diese eine Reihe Berge von wahrer Alpenformation in kleinem Maaßstabe.
Dieses ganze, wohl 200 Quadratmeilen große Land zwischen dem Meere und einem schiffbaren Strome ist eine so trostlose Einöde, wie man sie sich nur vorstellen kann, und ich glaube nicht, daß es 20,000 Einwohner zählt. So weit das Auge trägt, siehst Du nirgends einen Baum oder Strauch; die stark gewölbten Hügelrücken sind mit einem hohen, von der Sonne gelb gebrannten Grase bedeckt, wel- ches sich unter dem Winde wellenförmig schaukelt, und ganze Stunden lang reitest Du über diese einförmige Wüste, be- vor Du ein elendes Dorf ohne Bäume oder Gärten in ir- gend einem wasserlosen Thal entdeckst. Es ist, als ob dies belebende Element in dem lockern Boden versänke, denn in
um unſere Fuͤrſten und Herren bei vollen Schuͤſſeln und reichlichem Getraͤnk in ſchlechten Zimmern und bei derben Spaͤßen heiter zu ſehen.
Ein fuͤr mich neuer und intereſſanter Terrainabſchnitt war die Dobrudſcha, das Land naͤmlich zwiſchen dem Schwar- zen Meer und der Donaumuͤndung. Wenn man auf der Karte die Donau nach ſo langem oͤſtlichen Lauf ganz kurz vor ihrer Ausmuͤndung ploͤtzlich unter einem rechten Win- kel abdrehen und an zwanzig Meilen noͤrdlich fließen ſieht, ſo iſt man geneigt, zu glauben, daß ſie ſelbſt die Berge an- gewaͤlzt hat, welche ſie verhindern, die kurze Strecke von 7 Meilen von Raſſova bis zum Meere geradeaus zu gehen. Dies iſt aber nicht der Fall; das Gerippe der Dobrudſcha wird durch ein Sand- und Kalkſtein-Gebirge gebildet, wel- ches bis zu einer gewiſſen Hoͤhe mit dem angeſchwemmten Erdreich der Donau uͤberlagert iſt. Ueberall zeigt der Bo- den dieſelbe graue Maſſe von Sand und Lehm, welche ſchon durch ganz Ungarn die Ufer jenes Stromes bildet, und viele Meilen weit findet man auch nicht den kleinſten Stein, nur ſo groß wie eine Linſe. Dagegen tritt in den Thaͤlern uͤberall Fels zu Tage, und jemehr gegen Norden, je hoͤher und ſchroffer ragen Felszacken aus den Spitzen der Huͤgel empor. Jn der Gegend von Matſchin bilden dieſe eine Reihe Berge von wahrer Alpenformation in kleinem Maaßſtabe.
Dieſes ganze, wohl 200 Quadratmeilen große Land zwiſchen dem Meere und einem ſchiffbaren Strome iſt eine ſo troſtloſe Einoͤde, wie man ſie ſich nur vorſtellen kann, und ich glaube nicht, daß es 20,000 Einwohner zaͤhlt. So weit das Auge traͤgt, ſiehſt Du nirgends einen Baum oder Strauch; die ſtark gewoͤlbten Huͤgelruͤcken ſind mit einem hohen, von der Sonne gelb gebrannten Graſe bedeckt, wel- ches ſich unter dem Winde wellenfoͤrmig ſchaukelt, und ganze Stunden lang reiteſt Du uͤber dieſe einfoͤrmige Wuͤſte, be- vor Du ein elendes Dorf ohne Baͤume oder Gaͤrten in ir- gend einem waſſerloſen Thal entdeckſt. Es iſt, als ob dies belebende Element in dem lockern Boden verſaͤnke, denn in
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um unſere Fuͤrſten und Herren bei vollen Schuͤſſeln und
reichlichem Getraͤnk in ſchlechten Zimmern und bei derben
Spaͤßen heiter zu ſehen.
Ein fuͤr mich neuer und intereſſanter Terrainabſchnitt
war die Dobrudſcha, das Land naͤmlich zwiſchen dem Schwar-
zen Meer und der Donaumuͤndung. Wenn man auf der
Karte die Donau nach ſo langem oͤſtlichen Lauf ganz kurz
vor ihrer Ausmuͤndung ploͤtzlich unter einem rechten Win-
kel abdrehen und an zwanzig Meilen noͤrdlich fließen ſieht,
ſo iſt man geneigt, zu glauben, daß ſie ſelbſt die Berge an-
gewaͤlzt hat, welche ſie verhindern, die kurze Strecke von
7 Meilen von Raſſova bis zum Meere geradeaus zu gehen.
Dies iſt aber nicht der Fall; das Gerippe der Dobrudſcha
wird durch ein Sand- und Kalkſtein-Gebirge gebildet, wel-
ches bis zu einer gewiſſen Hoͤhe mit dem angeſchwemmten
Erdreich der Donau uͤberlagert iſt. Ueberall zeigt der Bo-
den dieſelbe graue Maſſe von Sand und Lehm, welche ſchon
durch ganz Ungarn die Ufer jenes Stromes bildet, und
viele Meilen weit findet man auch nicht den kleinſten Stein,
nur ſo groß wie eine Linſe. Dagegen tritt in den Thaͤlern
uͤberall Fels zu Tage, und jemehr gegen Norden, je hoͤher
und ſchroffer ragen Felszacken aus den Spitzen der Huͤgel
empor. Jn der Gegend von Matſchin bilden dieſe eine Reihe
Berge von wahrer Alpenformation in kleinem Maaßſtabe.
Dieſes ganze, wohl 200 Quadratmeilen große Land
zwiſchen dem Meere und einem ſchiffbaren Strome iſt eine
ſo troſtloſe Einoͤde, wie man ſie ſich nur vorſtellen kann,
und ich glaube nicht, daß es 20,000 Einwohner zaͤhlt. So
weit das Auge traͤgt, ſiehſt Du nirgends einen Baum oder
Strauch; die ſtark gewoͤlbten Huͤgelruͤcken ſind mit einem
hohen, von der Sonne gelb gebrannten Graſe bedeckt, wel-
ches ſich unter dem Winde wellenfoͤrmig ſchaukelt, und ganze
Stunden lang reiteſt Du uͤber dieſe einfoͤrmige Wuͤſte, be-
vor Du ein elendes Dorf ohne Baͤume oder Gaͤrten in ir-
gend einem waſſerloſen Thal entdeckſt. Es iſt, als ob dies
belebende Element in dem lockern Boden verſaͤnke, denn in
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/172>, abgerufen am 27.11.2024.
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