Der Großherr war mit dem Dampfschiff von Sili- stria nach Rustschuk gerade während des sehr heftigen Un- gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen- stange vom Mast, ein Tau kam in das Maschinenwerk, die- ses mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff gegen die Ufer und die Wellen schlugen in die Kajüten- fenster. Allgemeine Bestürzung hatte sich verbreitet; der Großherr blieb indeß ganz ruhig, es ist wahr, er ist schon aguerrirt und an allerlei Unheil mit seinen eigenen Dampf- booten gewöhnt, die glücklicherweise jetzt sämmtlich geschei- tert oder geplatzt sind.
Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padischahs am sichern Ufer; das Wetter hatte sich gegen Abend auf- geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit seinen endlosen Wiesen. Seit langer Zeit sah ich jenseits in Gjurgewo zum erstenmal wieder einen Kirchthurm, und der befreundete Schall der Glocken tönte durch die klare Abendluft zu uns herüber.
Rustschuk liegt auf einer Höhe, die an 50 bis 60 Fuß senkrecht zur Donau abstürzt; der Rand dieses Abhanges war mit zahllosen Frauen bedeckt, und da Alle den weißen Schleier um Kopf und Schultern trugen, so sah es aus, als ob die Höhen beschneit wären. Unten am Gestade pa- radirten wie gewöhnlich die Landwehr, dann die Geistlich- keit der verschiedenen Nationen, die Notabeln des Orts und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz hinaufschritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein Greis auf, der auf Polstern und Teppichen an der Erde hingestreckt lag; neben ihm stand das silberne Nargileh oder die Wasserpfeife, aus welchem er mittelst eines dün- nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein Schild von Juwelen an seiner rothen Mütze bezeichnete ihn als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart und ächt türkischen ausdrucksvollen Gesicht des Greises; dies war der Mann in Europa, durch dessen Hände wohl
Der Großherr war mit dem Dampfſchiff von Sili- ſtria nach Ruſtſchuk gerade waͤhrend des ſehr heftigen Un- gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen- ſtange vom Maſt, ein Tau kam in das Maſchinenwerk, die- ſes mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff gegen die Ufer und die Wellen ſchlugen in die Kajuͤten- fenſter. Allgemeine Beſtuͤrzung hatte ſich verbreitet; der Großherr blieb indeß ganz ruhig, es iſt wahr, er iſt ſchon aguerrirt und an allerlei Unheil mit ſeinen eigenen Dampf- booten gewoͤhnt, die gluͤcklicherweiſe jetzt ſaͤmmtlich geſchei- tert oder geplatzt ſind.
Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padiſchahs am ſichern Ufer; das Wetter hatte ſich gegen Abend auf- geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit ſeinen endloſen Wieſen. Seit langer Zeit ſah ich jenſeits in Gjurgewo zum erſtenmal wieder einen Kirchthurm, und der befreundete Schall der Glocken toͤnte durch die klare Abendluft zu uns heruͤber.
Ruſtſchuk liegt auf einer Hoͤhe, die an 50 bis 60 Fuß ſenkrecht zur Donau abſtuͤrzt; der Rand dieſes Abhanges war mit zahlloſen Frauen bedeckt, und da Alle den weißen Schleier um Kopf und Schultern trugen, ſo ſah es aus, als ob die Hoͤhen beſchneit waͤren. Unten am Geſtade pa- radirten wie gewoͤhnlich die Landwehr, dann die Geiſtlich- keit der verſchiedenen Nationen, die Notabeln des Orts und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz hinaufſchritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein Greis auf, der auf Polſtern und Teppichen an der Erde hingeſtreckt lag; neben ihm ſtand das ſilberne Nargileh oder die Waſſerpfeife, aus welchem er mittelſt eines duͤn- nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein Schild von Juwelen an ſeiner rothen Muͤtze bezeichnete ihn als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart und aͤcht tuͤrkiſchen ausdrucksvollen Geſicht des Greiſes; dies war der Mann in Europa, durch deſſen Haͤnde wohl
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Der Großherr war mit dem Dampfſchiff von Sili-
ſtria nach Ruſtſchuk gerade waͤhrend des ſehr heftigen Un-
gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen-
ſtange vom Maſt, ein Tau kam in das Maſchinenwerk, die-
ſes mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff
gegen die Ufer und die Wellen ſchlugen in die Kajuͤten-
fenſter. Allgemeine Beſtuͤrzung hatte ſich verbreitet; der
Großherr blieb indeß ganz ruhig, es iſt wahr, er iſt ſchon
aguerrirt und an allerlei Unheil mit ſeinen eigenen Dampf-
booten gewoͤhnt, die gluͤcklicherweiſe jetzt ſaͤmmtlich geſchei-
tert oder geplatzt ſind.
Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padiſchahs
am ſichern Ufer; das Wetter hatte ſich gegen Abend auf-
geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit
ſeinen endloſen Wieſen. Seit langer Zeit ſah ich jenſeits
in Gjurgewo zum erſtenmal wieder einen Kirchthurm, und
der befreundete Schall der Glocken toͤnte durch die klare
Abendluft zu uns heruͤber.
Ruſtſchuk liegt auf einer Hoͤhe, die an 50 bis 60 Fuß
ſenkrecht zur Donau abſtuͤrzt; der Rand dieſes Abhanges
war mit zahlloſen Frauen bedeckt, und da Alle den weißen
Schleier um Kopf und Schultern trugen, ſo ſah es aus,
als ob die Hoͤhen beſchneit waͤren. Unten am Geſtade pa-
radirten wie gewoͤhnlich die Landwehr, dann die Geiſtlich-
keit der verſchiedenen Nationen, die Notabeln des Orts
und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz
hinaufſchritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein
Greis auf, der auf Polſtern und Teppichen an der Erde
hingeſtreckt lag; neben ihm ſtand das ſilberne Nargileh
oder die Waſſerpfeife, aus welchem er mittelſt eines duͤn-
nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein
Schild von Juwelen an ſeiner rothen Muͤtze bezeichnete ihn
als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets
paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart
und aͤcht tuͤrkiſchen ausdrucksvollen Geſicht des Greiſes;
dies war der Mann in Europa, durch deſſen Haͤnde wohl
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/144>, abgerufen am 22.11.2024.
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