Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Großherr war mit dem Dampfschiff von Sili-
stria nach Rustschuk gerade während des sehr heftigen Un-
gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen-
stange vom Mast, ein Tau kam in das Maschinenwerk, die-
ses mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff
gegen die Ufer und die Wellen schlugen in die Kajüten-
fenster. Allgemeine Bestürzung hatte sich verbreitet; der
Großherr blieb indeß ganz ruhig, es ist wahr, er ist schon
aguerrirt und an allerlei Unheil mit seinen eigenen Dampf-
booten gewöhnt, die glücklicherweise jetzt sämmtlich geschei-
tert oder geplatzt sind.

Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padischahs
am sichern Ufer; das Wetter hatte sich gegen Abend auf-
geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit
seinen endlosen Wiesen. Seit langer Zeit sah ich jenseits
in Gjurgewo zum erstenmal wieder einen Kirchthurm, und
der befreundete Schall der Glocken tönte durch die klare
Abendluft zu uns herüber.

Rustschuk liegt auf einer Höhe, die an 50 bis 60 Fuß
senkrecht zur Donau abstürzt; der Rand dieses Abhanges
war mit zahllosen Frauen bedeckt, und da Alle den weißen
Schleier um Kopf und Schultern trugen, so sah es aus,
als ob die Höhen beschneit wären. Unten am Gestade pa-
radirten wie gewöhnlich die Landwehr, dann die Geistlich-
keit der verschiedenen Nationen, die Notabeln des Orts
und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz
hinaufschritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein
Greis auf, der auf Polstern und Teppichen an der Erde
hingestreckt lag; neben ihm stand das silberne Nargileh
oder die Wasserpfeife, aus welchem er mittelst eines dün-
nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein
Schild von Juwelen an seiner rothen Mütze bezeichnete ihn
als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets
paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart
und ächt türkischen ausdrucksvollen Gesicht des Greises;
dies war der Mann in Europa, durch dessen Hände wohl

Der Großherr war mit dem Dampfſchiff von Sili-
ſtria nach Ruſtſchuk gerade waͤhrend des ſehr heftigen Un-
gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen-
ſtange vom Maſt, ein Tau kam in das Maſchinenwerk, die-
ſes mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff
gegen die Ufer und die Wellen ſchlugen in die Kajuͤten-
fenſter. Allgemeine Beſtuͤrzung hatte ſich verbreitet; der
Großherr blieb indeß ganz ruhig, es iſt wahr, er iſt ſchon
aguerrirt und an allerlei Unheil mit ſeinen eigenen Dampf-
booten gewoͤhnt, die gluͤcklicherweiſe jetzt ſaͤmmtlich geſchei-
tert oder geplatzt ſind.

Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padiſchahs
am ſichern Ufer; das Wetter hatte ſich gegen Abend auf-
geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit
ſeinen endloſen Wieſen. Seit langer Zeit ſah ich jenſeits
in Gjurgewo zum erſtenmal wieder einen Kirchthurm, und
der befreundete Schall der Glocken toͤnte durch die klare
Abendluft zu uns heruͤber.

Ruſtſchuk liegt auf einer Hoͤhe, die an 50 bis 60 Fuß
ſenkrecht zur Donau abſtuͤrzt; der Rand dieſes Abhanges
war mit zahlloſen Frauen bedeckt, und da Alle den weißen
Schleier um Kopf und Schultern trugen, ſo ſah es aus,
als ob die Hoͤhen beſchneit waͤren. Unten am Geſtade pa-
radirten wie gewoͤhnlich die Landwehr, dann die Geiſtlich-
keit der verſchiedenen Nationen, die Notabeln des Orts
und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz
hinaufſchritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein
Greis auf, der auf Polſtern und Teppichen an der Erde
hingeſtreckt lag; neben ihm ſtand das ſilberne Nargileh
oder die Waſſerpfeife, aus welchem er mittelſt eines duͤn-
nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein
Schild von Juwelen an ſeiner rothen Muͤtze bezeichnete ihn
als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets
paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart
und aͤcht tuͤrkiſchen ausdrucksvollen Geſicht des Greiſes;
dies war der Mann in Europa, durch deſſen Haͤnde wohl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0144" n="134"/>
          <p>Der Großherr war mit dem Dampf&#x017F;chiff von Sili-<lb/>
&#x017F;tria nach Ru&#x017F;t&#x017F;chuk gerade wa&#x0364;hrend des &#x017F;ehr heftigen Un-<lb/>
gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen-<lb/>
&#x017F;tange vom Ma&#x017F;t, ein Tau kam in das Ma&#x017F;chinenwerk, die-<lb/>
&#x017F;es mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff<lb/>
gegen die Ufer und die Wellen &#x017F;chlugen in die Kaju&#x0364;ten-<lb/>
fen&#x017F;ter. Allgemeine Be&#x017F;tu&#x0364;rzung hatte &#x017F;ich verbreitet; der<lb/>
Großherr blieb indeß ganz ruhig, es i&#x017F;t wahr, er i&#x017F;t &#x017F;chon<lb/>
aguerrirt und an allerlei Unheil mit &#x017F;einen eigenen Dampf-<lb/>
booten gewo&#x0364;hnt, die glu&#x0364;cklicherwei&#x017F;e jetzt &#x017F;a&#x0364;mmtlich ge&#x017F;chei-<lb/>
tert oder geplatzt &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padi&#x017F;chahs<lb/>
am &#x017F;ichern Ufer; das Wetter hatte &#x017F;ich gegen Abend auf-<lb/>
geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit<lb/>
&#x017F;einen endlo&#x017F;en Wie&#x017F;en. Seit langer Zeit &#x017F;ah ich jen&#x017F;eits<lb/>
in Gjurgewo zum er&#x017F;tenmal wieder einen Kirchthurm, und<lb/>
der befreundete Schall der Glocken to&#x0364;nte durch die klare<lb/>
Abendluft zu uns heru&#x0364;ber.</p><lb/>
          <p>Ru&#x017F;t&#x017F;chuk liegt auf einer Ho&#x0364;he, die an 50 bis 60 Fuß<lb/>
&#x017F;enkrecht zur Donau ab&#x017F;tu&#x0364;rzt; der Rand die&#x017F;es Abhanges<lb/>
war mit zahllo&#x017F;en Frauen bedeckt, und da Alle den weißen<lb/>
Schleier um Kopf und Schultern trugen, &#x017F;o &#x017F;ah es aus,<lb/>
als ob die Ho&#x0364;hen be&#x017F;chneit wa&#x0364;ren. Unten am Ge&#x017F;tade pa-<lb/>
radirten wie gewo&#x0364;hnlich die Landwehr, dann die Gei&#x017F;tlich-<lb/>
keit der ver&#x017F;chiedenen Nationen, die Notabeln des Orts<lb/>
und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz<lb/>
hinauf&#x017F;chritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein<lb/>
Greis auf, der auf Pol&#x017F;tern und Teppichen an der Erde<lb/>
hinge&#x017F;treckt lag; neben ihm &#x017F;tand das &#x017F;ilberne Nargileh<lb/>
oder die Wa&#x017F;&#x017F;erpfeife, aus welchem er mittel&#x017F;t eines du&#x0364;n-<lb/>
nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein<lb/>
Schild von Juwelen an &#x017F;einer rothen Mu&#x0364;tze bezeichnete ihn<lb/>
als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets<lb/>
paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart<lb/>
und a&#x0364;cht tu&#x0364;rki&#x017F;chen ausdrucksvollen Ge&#x017F;icht des Grei&#x017F;es;<lb/>
dies war der Mann in Europa, durch de&#x017F;&#x017F;en Ha&#x0364;nde wohl<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0144] Der Großherr war mit dem Dampfſchiff von Sili- ſtria nach Ruſtſchuk gerade waͤhrend des ſehr heftigen Un- gewitters auf der Donau; der Sturm riß die Flaggen- ſtange vom Maſt, ein Tau kam in das Maſchinenwerk, die- ſes mußte angehalten werden, mittlerweile trieb das Schiff gegen die Ufer und die Wellen ſchlugen in die Kajuͤten- fenſter. Allgemeine Beſtuͤrzung hatte ſich verbreitet; der Großherr blieb indeß ganz ruhig, es iſt wahr, er iſt ſchon aguerrirt und an allerlei Unheil mit ſeinen eigenen Dampf- booten gewoͤhnt, die gluͤcklicherweiſe jetzt ſaͤmmtlich geſchei- tert oder geplatzt ſind. Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padiſchahs am ſichern Ufer; das Wetter hatte ſich gegen Abend auf- geheitert, und vor uns zog der breite, gelbliche Strom mit ſeinen endloſen Wieſen. Seit langer Zeit ſah ich jenſeits in Gjurgewo zum erſtenmal wieder einen Kirchthurm, und der befreundete Schall der Glocken toͤnte durch die klare Abendluft zu uns heruͤber. Ruſtſchuk liegt auf einer Hoͤhe, die an 50 bis 60 Fuß ſenkrecht zur Donau abſtuͤrzt; der Rand dieſes Abhanges war mit zahlloſen Frauen bedeckt, und da Alle den weißen Schleier um Kopf und Schultern trugen, ſo ſah es aus, als ob die Hoͤhen beſchneit waͤren. Unten am Geſtade pa- radirten wie gewoͤhnlich die Landwehr, dann die Geiſtlich- keit der verſchiedenen Nationen, die Notabeln des Orts und endlich das Volk. Als ich nach dem Landungsplatz hinaufſchritt, um meinen Platz einzunehmen, fiel mir ein Greis auf, der auf Polſtern und Teppichen an der Erde hingeſtreckt lag; neben ihm ſtand das ſilberne Nargileh oder die Waſſerpfeife, aus welchem er mittelſt eines duͤn- nen, wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog. Ein Schild von Juwelen an ſeiner rothen Muͤtze bezeichnete ihn als Vezier, und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets paßte weder zu der Haltung, noch zu dem grauen Bart und aͤcht tuͤrkiſchen ausdrucksvollen Geſicht des Greiſes; dies war der Mann in Europa, durch deſſen Haͤnde wohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/144
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/144>, abgerufen am 04.05.2024.