Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

das meiste Blut geflossen, es war Hussein Pascha, der
letzte Aya der Janitscharen und ihr erster Pascha. Der
Aya-Pascha hatte als solcher eine Menge von Kawassen
und andern Truppen unter seinem Befehl, die nicht Janit-
scharen waren und gegen sie gebraucht werden konnten.
Es scheint, daß diese stolzen Prätorianer nur durch den
Verrath ihres eigenen Oberhauptes fallen konnten. So
viel Energie Hussein in jener furchtbaren Krisis gezeigt,
so wenig Kraft entwickelte er in seinen Operationen als
General en chef. Jetzt ist der Vertilger der Janitscharen
Pascha in Widdin.


Was für ein wunderschönes Land ist doch dies Bul-
garien! Alles ist grün; die Wände der tiefen Thäler sind
mit Linden und wilden Birnbäumen bestanden, breite Wie-
sen fassen die Bäche ein, üppige Kornfelder bedecken die
Ebene, und selbst die weiten Strecken unangebauten Landes
sind mit reichem Graswuchs geschmückt. Die vielen einzeln
stehenden Bäume geben der Gegend einen besondern Reiz
und zeichnen ihren dunkeln Schatten auf den lichtgrünen
Flächen ab. Die Niederung der Donau erinnert lebhaft
an die dessauer Gegend; die Dörfer sind selten, aber groß,
denn in einzelnen Gehöften zu wohnen ist noch ein Wagniß.

Jn der Nähe der Donau hab' ich fast nur türkische
Dörfer gefunden; wahrscheinlich sind die christlichen Be-
wohner jenseits des Stroms in die Fürstenthümer gezogen,
von wo die Glocken herüberschallen, und wo ihre Kirch-
thürme die Häupter in die blaue Luft zu erheben wagen.
Eine bulgarische Kirche kannst Du Dir wohl kaum vorstel-
len. Als ich vor anderthalb Jahren durch den Balkan rei-
sete, übernachtete ich in einer elenden Hütte. Jm Hofe
neben dem Büffelstall stand eine Art Schuppen, etwa zehn
Fuß lang und breit; das Strohdach war so niedrig, daß
man kaum darunter aufrecht stehen konnte, alles Licht kam

das meiſte Blut gefloſſen, es war Huſſein Paſcha, der
letzte Aya der Janitſcharen und ihr erſter Paſcha. Der
Aya-Paſcha hatte als ſolcher eine Menge von Kawaſſen
und andern Truppen unter ſeinem Befehl, die nicht Janit-
ſcharen waren und gegen ſie gebraucht werden konnten.
Es ſcheint, daß dieſe ſtolzen Praͤtorianer nur durch den
Verrath ihres eigenen Oberhauptes fallen konnten. So
viel Energie Huſſein in jener furchtbaren Kriſis gezeigt,
ſo wenig Kraft entwickelte er in ſeinen Operationen als
General en chef. Jetzt iſt der Vertilger der Janitſcharen
Paſcha in Widdin.


Was fuͤr ein wunderſchoͤnes Land iſt doch dies Bul-
garien! Alles iſt gruͤn; die Waͤnde der tiefen Thaͤler ſind
mit Linden und wilden Birnbaͤumen beſtanden, breite Wie-
ſen faſſen die Baͤche ein, uͤppige Kornfelder bedecken die
Ebene, und ſelbſt die weiten Strecken unangebauten Landes
ſind mit reichem Graswuchs geſchmuͤckt. Die vielen einzeln
ſtehenden Baͤume geben der Gegend einen beſondern Reiz
und zeichnen ihren dunkeln Schatten auf den lichtgruͤnen
Flaͤchen ab. Die Niederung der Donau erinnert lebhaft
an die deſſauer Gegend; die Doͤrfer ſind ſelten, aber groß,
denn in einzelnen Gehoͤften zu wohnen iſt noch ein Wagniß.

Jn der Naͤhe der Donau hab' ich faſt nur tuͤrkiſche
Doͤrfer gefunden; wahrſcheinlich ſind die chriſtlichen Be-
wohner jenſeits des Stroms in die Fuͤrſtenthuͤmer gezogen,
von wo die Glocken heruͤberſchallen, und wo ihre Kirch-
thuͤrme die Haͤupter in die blaue Luft zu erheben wagen.
Eine bulgariſche Kirche kannſt Du Dir wohl kaum vorſtel-
len. Als ich vor anderthalb Jahren durch den Balkan rei-
ſete, uͤbernachtete ich in einer elenden Huͤtte. Jm Hofe
neben dem Buͤffelſtall ſtand eine Art Schuppen, etwa zehn
Fuß lang und breit; das Strohdach war ſo niedrig, daß
man kaum darunter aufrecht ſtehen konnte, alles Licht kam

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="135"/>
das mei&#x017F;te Blut geflo&#x017F;&#x017F;en, es war <hi rendition="#g">Hu&#x017F;&#x017F;ein Pa&#x017F;cha</hi>, der<lb/>
letzte Aya der Janit&#x017F;charen und ihr er&#x017F;ter Pa&#x017F;cha. Der<lb/>
Aya-Pa&#x017F;cha hatte als &#x017F;olcher eine Menge von Kawa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und andern Truppen unter &#x017F;einem Befehl, die nicht Janit-<lb/>
&#x017F;charen waren und gegen &#x017F;ie gebraucht werden konnten.<lb/>
Es &#x017F;cheint, daß die&#x017F;e &#x017F;tolzen Pra&#x0364;torianer nur durch den<lb/>
Verrath ihres eigenen Oberhauptes fallen konnten. So<lb/>
viel Energie <hi rendition="#g">Hu&#x017F;&#x017F;ein</hi> in jener furchtbaren Kri&#x017F;is gezeigt,<lb/>
&#x017F;o wenig Kraft entwickelte er in &#x017F;einen Operationen als<lb/>
General <hi rendition="#aq">en chef</hi>. Jetzt i&#x017F;t der Vertilger der Janit&#x017F;charen<lb/>
Pa&#x017F;cha in Widdin.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Tirnowa, den 19. Mai 1837.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Was fu&#x0364;r ein wunder&#x017F;cho&#x0364;nes Land i&#x017F;t doch dies Bul-<lb/>
garien! Alles i&#x017F;t gru&#x0364;n; die Wa&#x0364;nde der tiefen Tha&#x0364;ler &#x017F;ind<lb/>
mit Linden und wilden Birnba&#x0364;umen be&#x017F;tanden, breite Wie-<lb/>
&#x017F;en fa&#x017F;&#x017F;en die Ba&#x0364;che ein, u&#x0364;ppige Kornfelder bedecken die<lb/>
Ebene, und &#x017F;elb&#x017F;t die weiten Strecken unangebauten Landes<lb/>
&#x017F;ind mit reichem Graswuchs ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt. Die vielen einzeln<lb/>
&#x017F;tehenden Ba&#x0364;ume geben der Gegend einen be&#x017F;ondern Reiz<lb/>
und zeichnen ihren dunkeln Schatten auf den lichtgru&#x0364;nen<lb/>
Fla&#x0364;chen ab. Die Niederung der Donau erinnert lebhaft<lb/>
an die de&#x017F;&#x017F;auer Gegend; die Do&#x0364;rfer &#x017F;ind &#x017F;elten, aber groß,<lb/>
denn in einzelnen Geho&#x0364;ften zu wohnen i&#x017F;t noch ein Wagniß.</p><lb/>
          <p>Jn der Na&#x0364;he der Donau hab' ich fa&#x017F;t nur tu&#x0364;rki&#x017F;che<lb/>
Do&#x0364;rfer gefunden; wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ind die chri&#x017F;tlichen Be-<lb/>
wohner jen&#x017F;eits des Stroms in die Fu&#x0364;r&#x017F;tenthu&#x0364;mer gezogen,<lb/>
von wo die Glocken heru&#x0364;ber&#x017F;challen, und wo ihre Kirch-<lb/>
thu&#x0364;rme die Ha&#x0364;upter in die blaue Luft zu erheben wagen.<lb/>
Eine bulgari&#x017F;che Kirche kann&#x017F;t Du Dir wohl kaum vor&#x017F;tel-<lb/>
len. Als ich vor anderthalb Jahren durch den Balkan rei-<lb/>
&#x017F;ete, u&#x0364;bernachtete ich in einer elenden Hu&#x0364;tte. Jm Hofe<lb/>
neben dem Bu&#x0364;ffel&#x017F;tall &#x017F;tand eine Art Schuppen, etwa zehn<lb/>
Fuß lang und breit; das Strohdach war &#x017F;o niedrig, daß<lb/>
man kaum darunter aufrecht &#x017F;tehen konnte, alles Licht kam<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0145] das meiſte Blut gefloſſen, es war Huſſein Paſcha, der letzte Aya der Janitſcharen und ihr erſter Paſcha. Der Aya-Paſcha hatte als ſolcher eine Menge von Kawaſſen und andern Truppen unter ſeinem Befehl, die nicht Janit- ſcharen waren und gegen ſie gebraucht werden konnten. Es ſcheint, daß dieſe ſtolzen Praͤtorianer nur durch den Verrath ihres eigenen Oberhauptes fallen konnten. So viel Energie Huſſein in jener furchtbaren Kriſis gezeigt, ſo wenig Kraft entwickelte er in ſeinen Operationen als General en chef. Jetzt iſt der Vertilger der Janitſcharen Paſcha in Widdin. Tirnowa, den 19. Mai 1837. Was fuͤr ein wunderſchoͤnes Land iſt doch dies Bul- garien! Alles iſt gruͤn; die Waͤnde der tiefen Thaͤler ſind mit Linden und wilden Birnbaͤumen beſtanden, breite Wie- ſen faſſen die Baͤche ein, uͤppige Kornfelder bedecken die Ebene, und ſelbſt die weiten Strecken unangebauten Landes ſind mit reichem Graswuchs geſchmuͤckt. Die vielen einzeln ſtehenden Baͤume geben der Gegend einen beſondern Reiz und zeichnen ihren dunkeln Schatten auf den lichtgruͤnen Flaͤchen ab. Die Niederung der Donau erinnert lebhaft an die deſſauer Gegend; die Doͤrfer ſind ſelten, aber groß, denn in einzelnen Gehoͤften zu wohnen iſt noch ein Wagniß. Jn der Naͤhe der Donau hab' ich faſt nur tuͤrkiſche Doͤrfer gefunden; wahrſcheinlich ſind die chriſtlichen Be- wohner jenſeits des Stroms in die Fuͤrſtenthuͤmer gezogen, von wo die Glocken heruͤberſchallen, und wo ihre Kirch- thuͤrme die Haͤupter in die blaue Luft zu erheben wagen. Eine bulgariſche Kirche kannſt Du Dir wohl kaum vorſtel- len. Als ich vor anderthalb Jahren durch den Balkan rei- ſete, uͤbernachtete ich in einer elenden Huͤtte. Jm Hofe neben dem Buͤffelſtall ſtand eine Art Schuppen, etwa zehn Fuß lang und breit; das Strohdach war ſo niedrig, daß man kaum darunter aufrecht ſtehen konnte, alles Licht kam

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/145
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/145>, abgerufen am 04.05.2024.