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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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P. Philipp. Er ist schon gefaßt? -- Hör er
mich erst an! Seine Schwester hat mir geschrieben,
und mich himmelhoch gebeten, ihm erst Muth ein-
zusprechen. Jch glaub, er ist nun vorbereitet. Sieht
er, sein Vater ist schnell krank geworden; es sieht
mislich mit ihm aus; aber man kann noch nichts
gewisses wissen; der Arzt ist erst aus der Stadt ge-
holt worden. Halt Er sich an Gott; es mag gehen,
wie es will! Bedenk er, daß es Gott noch nie bös
mit ihm gemeynt hat! -- Da kann er nun den
Brief selber lesen.

Siegwart las ein kleines Briefchen von There-
sen hurtig und zitternd durch; die Thränen stürzten
ihm aus den Augen; er steckte es schweigend ein. --
Das ist fürchterlich! sagte er nach einer langen Pau-
se; Gott steh mir bey, und helf mirs tragen! Jch
hab mir tausendmal gewünscht, eher zu sterben, als
mein Vater, um den Schmerz nicht zu erleben; und
nun kommts doch --

P. Philipp. Seiner Zärtlichkeit und kindlichen
Liebe macht das sehr viel Ehre, mein lieber, bra-
ver Xaver! Aber denk er nur, wenn all unsre
Wünsche ersüllt würden, zumal solche ...

Siegwart. Jst der Wunsch etwa ungerecht? --



P. Philipp. Er iſt ſchon gefaßt? — Hoͤr er
mich erſt an! Seine Schweſter hat mir geſchrieben,
und mich himmelhoch gebeten, ihm erſt Muth ein-
zuſprechen. Jch glaub, er iſt nun vorbereitet. Sieht
er, ſein Vater iſt ſchnell krank geworden; es ſieht
mislich mit ihm aus; aber man kann noch nichts
gewiſſes wiſſen; der Arzt iſt erſt aus der Stadt ge-
holt worden. Halt Er ſich an Gott; es mag gehen,
wie es will! Bedenk er, daß es Gott noch nie boͤs
mit ihm gemeynt hat! — Da kann er nun den
Brief ſelber leſen.

Siegwart las ein kleines Briefchen von There-
ſen hurtig und zitternd durch; die Thraͤnen ſtuͤrzten
ihm aus den Augen; er ſteckte es ſchweigend ein. —
Das iſt fuͤrchterlich! ſagte er nach einer langen Pau-
ſe; Gott ſteh mir bey, und helf mirs tragen! Jch
hab mir tauſendmal gewuͤnſcht, eher zu ſterben, als
mein Vater, um den Schmerz nicht zu erleben; und
nun kommts doch —

P. Philipp. Seiner Zaͤrtlichkeit und kindlichen
Liebe macht das ſehr viel Ehre, mein lieber, bra-
ver Xaver! Aber denk er nur, wenn all unſre
Wuͤnſche erſuͤllt wuͤrden, zumal ſolche …

Siegwart. Jſt der Wunſch etwa ungerecht? —

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[503/0083] P. Philipp. Er iſt ſchon gefaßt? — Hoͤr er mich erſt an! Seine Schweſter hat mir geſchrieben, und mich himmelhoch gebeten, ihm erſt Muth ein- zuſprechen. Jch glaub, er iſt nun vorbereitet. Sieht er, ſein Vater iſt ſchnell krank geworden; es ſieht mislich mit ihm aus; aber man kann noch nichts gewiſſes wiſſen; der Arzt iſt erſt aus der Stadt ge- holt worden. Halt Er ſich an Gott; es mag gehen, wie es will! Bedenk er, daß es Gott noch nie boͤs mit ihm gemeynt hat! — Da kann er nun den Brief ſelber leſen. Siegwart las ein kleines Briefchen von There- ſen hurtig und zitternd durch; die Thraͤnen ſtuͤrzten ihm aus den Augen; er ſteckte es ſchweigend ein. — Das iſt fuͤrchterlich! ſagte er nach einer langen Pau- ſe; Gott ſteh mir bey, und helf mirs tragen! Jch hab mir tauſendmal gewuͤnſcht, eher zu ſterben, als mein Vater, um den Schmerz nicht zu erleben; und nun kommts doch — P. Philipp. Seiner Zaͤrtlichkeit und kindlichen Liebe macht das ſehr viel Ehre, mein lieber, bra- ver Xaver! Aber denk er nur, wenn all unſre Wuͤnſche erſuͤllt wuͤrden, zumal ſolche … Siegwart. Jſt der Wunſch etwa ungerecht? —

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/83>, abgerufen am 27.04.2024.