Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite


P. Philipp. Mir deuchts so. Wenn alle Söh-
ne vor den Vätern stürben, wo käm eine Nachwelt
her? Der Mensch muß sich in einer Welt, die der
Veränderung so unterworfen ist, im Voraus und
in frohen Tagen auf alles Widrige gefaßt machen.
Jch fürchte, daß ihm bey seinem gefühlvollen Her-
zen noch grössere Prüfungen und Leiden bevor-
stehen.

Siegwart. Größre Leiden kanns nicht geben,
wie dieses ist! ...

P. Philipp. So muß er jezt auch denken. Aber
alles kommt auf die Lage an, in der uns ein Lei-
den trift; je, nachdem wir gestimmt sind; nach-
dem's eine Saite unsers Herzens trift. Jch tadl'
ihn gar nicht, daß er jezt so niedergeschlagen ist.
Der Tod seines Vaters bleibt für ihn immer ein
Unglück.

Siegwart. Ja wohl! und das gröste, denk
ich! -- Grosser Gott! Einen solchen Vater zu
verlieren! ... Und wenns auch möglich wär, mich
dabey zu vergessen, wie wirds meiner Schwester,
meiner armen Schwester gehen? (Hier weinte er
heftiger.)

P. Philipp (weinte auch mit) Seiner Schwe-
ster ... Auch dieser wird Gott sich erbarmen;



P. Philipp. Mir deuchts ſo. Wenn alle Soͤh-
ne vor den Vaͤtern ſtuͤrben, wo kaͤm eine Nachwelt
her? Der Menſch muß ſich in einer Welt, die der
Veraͤnderung ſo unterworfen iſt, im Voraus und
in frohen Tagen auf alles Widrige gefaßt machen.
Jch fuͤrchte, daß ihm bey ſeinem gefuͤhlvollen Her-
zen noch groͤſſere Pruͤfungen und Leiden bevor-
ſtehen.

Siegwart. Groͤßre Leiden kanns nicht geben,
wie dieſes iſt! …

P. Philipp. So muß er jezt auch denken. Aber
alles kommt auf die Lage an, in der uns ein Lei-
den trift; je, nachdem wir geſtimmt ſind; nach-
dem’s eine Saite unſers Herzens trift. Jch tadl’
ihn gar nicht, daß er jezt ſo niedergeſchlagen iſt.
Der Tod ſeines Vaters bleibt fuͤr ihn immer ein
Ungluͤck.

Siegwart. Ja wohl! und das groͤſte, denk
ich! — Groſſer Gott! Einen ſolchen Vater zu
verlieren! … Und wenns auch moͤglich waͤr, mich
dabey zu vergeſſen, wie wirds meiner Schweſter,
meiner armen Schweſter gehen? (Hier weinte er
heftiger.)

P. Philipp (weinte auch mit) Seiner Schwe-
ſter … Auch dieſer wird Gott ſich erbarmen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0084" n="504"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">P. Philipp.</hi> Mir deuchts &#x017F;o. Wenn alle So&#x0364;h-<lb/>
ne vor den Va&#x0364;tern &#x017F;tu&#x0364;rben, wo ka&#x0364;m eine Nachwelt<lb/>
her? Der Men&#x017F;ch muß &#x017F;ich in einer Welt, die der<lb/>
Vera&#x0364;nderung &#x017F;o unterworfen i&#x017F;t, im Voraus und<lb/>
in frohen Tagen auf alles Widrige gefaßt machen.<lb/>
Jch fu&#x0364;rchte, daß ihm bey &#x017F;einem gefu&#x0364;hlvollen Her-<lb/>
zen noch gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Pru&#x0364;fungen und Leiden bevor-<lb/>
&#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Siegwart.</hi> Gro&#x0364;ßre Leiden kanns nicht geben,<lb/>
wie die&#x017F;es i&#x017F;t! &#x2026;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">P. Philipp.</hi> So muß er jezt auch denken. Aber<lb/>
alles kommt auf die Lage an, in der uns ein Lei-<lb/>
den trift; je, nachdem wir ge&#x017F;timmt &#x017F;ind; nach-<lb/>
dem&#x2019;s eine Saite un&#x017F;ers Herzens trift. Jch tadl&#x2019;<lb/>
ihn gar nicht, daß er jezt &#x017F;o niederge&#x017F;chlagen i&#x017F;t.<lb/>
Der Tod &#x017F;eines Vaters bleibt fu&#x0364;r ihn immer ein<lb/>
Unglu&#x0364;ck.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Siegwart.</hi> Ja wohl! und das gro&#x0364;&#x017F;te, denk<lb/>
ich! &#x2014; Gro&#x017F;&#x017F;er Gott! Einen &#x017F;olchen Vater zu<lb/>
verlieren! &#x2026; Und wenns auch mo&#x0364;glich wa&#x0364;r, mich<lb/>
dabey zu verge&#x017F;&#x017F;en, wie wirds meiner Schwe&#x017F;ter,<lb/>
meiner armen Schwe&#x017F;ter gehen? (Hier weinte er<lb/>
heftiger.)</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">P. Philipp</hi> (weinte auch mit) Seiner Schwe-<lb/>
&#x017F;ter &#x2026; Auch die&#x017F;er wird Gott &#x017F;ich erbarmen;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[504/0084] P. Philipp. Mir deuchts ſo. Wenn alle Soͤh- ne vor den Vaͤtern ſtuͤrben, wo kaͤm eine Nachwelt her? Der Menſch muß ſich in einer Welt, die der Veraͤnderung ſo unterworfen iſt, im Voraus und in frohen Tagen auf alles Widrige gefaßt machen. Jch fuͤrchte, daß ihm bey ſeinem gefuͤhlvollen Her- zen noch groͤſſere Pruͤfungen und Leiden bevor- ſtehen. Siegwart. Groͤßre Leiden kanns nicht geben, wie dieſes iſt! … P. Philipp. So muß er jezt auch denken. Aber alles kommt auf die Lage an, in der uns ein Lei- den trift; je, nachdem wir geſtimmt ſind; nach- dem’s eine Saite unſers Herzens trift. Jch tadl’ ihn gar nicht, daß er jezt ſo niedergeſchlagen iſt. Der Tod ſeines Vaters bleibt fuͤr ihn immer ein Ungluͤck. Siegwart. Ja wohl! und das groͤſte, denk ich! — Groſſer Gott! Einen ſolchen Vater zu verlieren! … Und wenns auch moͤglich waͤr, mich dabey zu vergeſſen, wie wirds meiner Schweſter, meiner armen Schweſter gehen? (Hier weinte er heftiger.) P. Philipp (weinte auch mit) Seiner Schwe- ſter … Auch dieſer wird Gott ſich erbarmen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/84
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/84>, abgerufen am 21.11.2024.