ist nicht für ein unglückliches geschaffen. Der Un- glückliche fühlt den Abstand zu sehr; er will alles traurig um sich her sehen, und glaubt, daß ein Glücklicher an seinem Kummer keinen, oder doch keinen völligen Antheil nehmen könne. Daher schließt er sich nicht an, und theilt sich nur dem mit, der gleiche Leiden mit ihm hat. Rothfels sah dieses, und hielt es bey Siegwart für Ab- neigung von ihm; daher vermied er es, viel mit ihm allein zu seyn, und ihre Seelen kamen sich, durch diesen Misverstand, nie ganz nahe.
Eines Tages saß Siegwart allein und schwer- müthig in einer Laube im Garten, wo Marx eben die Blumen begoß. Siegwart rief ihm; Marx, hat er denn noch keine Nachricht von dem Frauenzimmer? -- Nein, junger Herr! -- Red er einmal aufrichtig mit mir! Glaubt er wohl, daß ich bald etwas gewisses erfahren werde? Hin- tergeh er mich nicht! Es ist mir alles an der Sa- che gelegen; ich muß sie zuverläßig wissen! -- Marx fieng an zu weinen, und ihm langsam näher zu treten. Ach, junger Herr! Es mag nun gehen, wie es will, ich kanns so nicht länger aus- halten; es muß heraus! Jch weis gar nichts von der Jungfer; man kann in der ganzen Gegend
iſt nicht fuͤr ein ungluͤckliches geſchaffen. Der Un- gluͤckliche fuͤhlt den Abſtand zu ſehr; er will alles traurig um ſich her ſehen, und glaubt, daß ein Gluͤcklicher an ſeinem Kummer keinen, oder doch keinen voͤlligen Antheil nehmen koͤnne. Daher ſchließt er ſich nicht an, und theilt ſich nur dem mit, der gleiche Leiden mit ihm hat. Rothfels ſah dieſes, und hielt es bey Siegwart fuͤr Ab- neigung von ihm; daher vermied er es, viel mit ihm allein zu ſeyn, und ihre Seelen kamen ſich, durch dieſen Misverſtand, nie ganz nahe.
Eines Tages ſaß Siegwart allein und ſchwer- muͤthig in einer Laube im Garten, wo Marx eben die Blumen begoß. Siegwart rief ihm; Marx, hat er denn noch keine Nachricht von dem Frauenzimmer? — Nein, junger Herr! — Red er einmal aufrichtig mit mir! Glaubt er wohl, daß ich bald etwas gewiſſes erfahren werde? Hin- tergeh er mich nicht! Es iſt mir alles an der Sa- che gelegen; ich muß ſie zuverlaͤßig wiſſen! — Marx fieng an zu weinen, und ihm langſam naͤher zu treten. Ach, junger Herr! Es mag nun gehen, wie es will, ich kanns ſo nicht laͤnger aus- halten; es muß heraus! Jch weis gar nichts von der Jungfer; man kann in der ganzen Gegend
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iſt nicht fuͤr ein ungluͤckliches geſchaffen. Der Un-
gluͤckliche fuͤhlt den Abſtand zu ſehr; er will alles
traurig um ſich her ſehen, und glaubt, daß ein
Gluͤcklicher an ſeinem Kummer keinen, oder doch
keinen voͤlligen Antheil nehmen koͤnne. Daher
ſchließt er ſich nicht an, und theilt ſich nur dem
mit, der gleiche Leiden mit ihm hat. Rothfels
ſah dieſes, und hielt es bey Siegwart fuͤr Ab-
neigung von ihm; daher vermied er es, viel mit
ihm allein zu ſeyn, und ihre Seelen kamen ſich,
durch dieſen Misverſtand, nie ganz nahe.
Eines Tages ſaß Siegwart allein und ſchwer-
muͤthig in einer Laube im Garten, wo Marx
eben die Blumen begoß. Siegwart rief ihm;
Marx, hat er denn noch keine Nachricht von dem
Frauenzimmer? — Nein, junger Herr! — Red
er einmal aufrichtig mit mir! Glaubt er wohl,
daß ich bald etwas gewiſſes erfahren werde? Hin-
tergeh er mich nicht! Es iſt mir alles an der Sa-
che gelegen; ich muß ſie zuverlaͤßig wiſſen! —
Marx fieng an zu weinen, und ihm langſam
naͤher zu treten. Ach, junger Herr! Es mag nun
gehen, wie es will, ich kanns ſo nicht laͤnger aus-
halten; es muß heraus! Jch weis gar nichts von
der Jungfer; man kann in der ganzen Gegend
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 972. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/552>, abgerufen am 22.11.2024.
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