Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.dienet habe. Jch habe doch noch mehr Freuden, als ich werth bin, denn meine That ist fürchterlich, so sehr ich auch dazu gereizt war. Aber Gott weiß, wie ich jeden Tag und jede Nacht vor ihm in Thränen liege, und ihm meine Schuld bekenne. Den Menschen würd ich gerne dienen, wenn ich nur, ohne Gefahr, unter ihnen leben könnte. Und mich selbst als einen Mörder anzugeben, halt ich jezt auch nicht mehr für rathsam. Meiner ganzen Familie würd ich dadurch aufs neu einen unaus- sprechlichen Schmerz verursachen; hier hingegen schad ich keinem Menschen nichts, und kann doch meine Seele täglich mehr auf die Ewigkeit bereiten. Jch kann keine Belohnung erwarten. Ach Gott! wenn ich nur um des Versöhners willen, von den Strafen meines gräulichen Verbrechens frey gespro- chen werde! -- Jch glaube, daß es nicht mehr lange mit mir auf der Welt dauren wird, und daß ich bald meinem Heinrich nachfolgen werde. Sieben Jahre lang lebt ich mit der guten Seele. Jch war kaum hier etwas eingerichtet, so lag ich ihm Tag und Nacht recht herzlich, oft mit Thrä- nen an, sein Glück in der Welt zu suchen. Jch bot ihm alle mein Geld an, das mir schlechterdings ganz unnütz war. Jch stellt ihm vor, daß er ja dienet habe. Jch habe doch noch mehr Freuden, als ich werth bin, denn meine That iſt fuͤrchterlich, ſo ſehr ich auch dazu gereizt war. Aber Gott weiß, wie ich jeden Tag und jede Nacht vor ihm in Thraͤnen liege, und ihm meine Schuld bekenne. Den Menſchen wuͤrd ich gerne dienen, wenn ich nur, ohne Gefahr, unter ihnen leben koͤnnte. Und mich ſelbſt als einen Moͤrder anzugeben, halt ich jezt auch nicht mehr fuͤr rathſam. Meiner ganzen Familie wuͤrd ich dadurch aufs neu einen unaus- ſprechlichen Schmerz verurſachen; hier hingegen ſchad ich keinem Menſchen nichts, und kann doch meine Seele taͤglich mehr auf die Ewigkeit bereiten. Jch kann keine Belohnung erwarten. Ach Gott! wenn ich nur um des Verſoͤhners willen, von den Strafen meines graͤulichen Verbrechens frey geſpro- chen werde! — Jch glaube, daß es nicht mehr lange mit mir auf der Welt dauren wird, und daß ich bald meinem Heinrich nachfolgen werde. Sieben Jahre lang lebt ich mit der guten Seele. Jch war kaum hier etwas eingerichtet, ſo lag ich ihm Tag und Nacht recht herzlich, oft mit Thraͤ- nen an, ſein Gluͤck in der Welt zu ſuchen. Jch bot ihm alle mein Geld an, das mir ſchlechterdings ganz unnuͤtz war. Jch ſtellt ihm vor, daß er ja <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0536" n="956"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> dienet habe. Jch habe doch noch mehr Freuden,<lb/> als ich werth bin, denn meine That iſt fuͤrchterlich,<lb/> ſo ſehr ich auch dazu gereizt war. Aber Gott weiß,<lb/> wie ich jeden Tag und jede Nacht vor ihm in<lb/> Thraͤnen liege, und ihm meine Schuld bekenne.<lb/> Den Menſchen wuͤrd ich gerne dienen, wenn ich<lb/> nur, ohne Gefahr, unter ihnen leben koͤnnte. Und<lb/> mich ſelbſt als einen Moͤrder anzugeben, halt ich<lb/> jezt auch nicht mehr fuͤr rathſam. Meiner ganzen<lb/> Familie wuͤrd ich dadurch aufs neu einen unaus-<lb/> ſprechlichen Schmerz verurſachen; hier hingegen<lb/> ſchad ich keinem Menſchen nichts, und kann doch<lb/> meine Seele taͤglich mehr auf die Ewigkeit bereiten.<lb/> Jch kann keine Belohnung erwarten. Ach Gott!<lb/> wenn ich nur um des Verſoͤhners willen, von den<lb/> Strafen meines graͤulichen Verbrechens frey geſpro-<lb/> chen werde! — Jch glaube, daß es nicht mehr<lb/> lange mit mir auf der Welt dauren wird, und<lb/> daß ich bald meinem Heinrich nachfolgen werde.<lb/> Sieben Jahre lang lebt ich mit der guten Seele.<lb/> Jch war kaum hier etwas eingerichtet, ſo lag ich<lb/> ihm Tag und Nacht recht herzlich, oft mit Thraͤ-<lb/> nen an, ſein Gluͤck in der Welt zu ſuchen. Jch<lb/> bot ihm alle mein Geld an, das mir ſchlechterdings<lb/> ganz unnuͤtz war. Jch ſtellt ihm vor, daß er ja<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [956/0536]
dienet habe. Jch habe doch noch mehr Freuden,
als ich werth bin, denn meine That iſt fuͤrchterlich,
ſo ſehr ich auch dazu gereizt war. Aber Gott weiß,
wie ich jeden Tag und jede Nacht vor ihm in
Thraͤnen liege, und ihm meine Schuld bekenne.
Den Menſchen wuͤrd ich gerne dienen, wenn ich
nur, ohne Gefahr, unter ihnen leben koͤnnte. Und
mich ſelbſt als einen Moͤrder anzugeben, halt ich
jezt auch nicht mehr fuͤr rathſam. Meiner ganzen
Familie wuͤrd ich dadurch aufs neu einen unaus-
ſprechlichen Schmerz verurſachen; hier hingegen
ſchad ich keinem Menſchen nichts, und kann doch
meine Seele taͤglich mehr auf die Ewigkeit bereiten.
Jch kann keine Belohnung erwarten. Ach Gott!
wenn ich nur um des Verſoͤhners willen, von den
Strafen meines graͤulichen Verbrechens frey geſpro-
chen werde! — Jch glaube, daß es nicht mehr
lange mit mir auf der Welt dauren wird, und
daß ich bald meinem Heinrich nachfolgen werde.
Sieben Jahre lang lebt ich mit der guten Seele.
Jch war kaum hier etwas eingerichtet, ſo lag ich
ihm Tag und Nacht recht herzlich, oft mit Thraͤ-
nen an, ſein Gluͤck in der Welt zu ſuchen. Jch
bot ihm alle mein Geld an, das mir ſchlechterdings
ganz unnuͤtz war. Jch ſtellt ihm vor, daß er ja
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