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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Gegen Abend endlich, als er eben in sein Haus wollte,
kam Joseph, Marianens Bruder, hinter ihm drein.
Er that sehr ängstlich. Nur auf ein paar Worte!
sagte er. Hier ein Brief von Marianen, und
von mir einer! Wo ist sie? fragte Siegwart.
Jch muß fort, war die Antwort. Mein Vater
kommt die Strasse dort herauf; du wirst alles in
den Briesen finden. Mit diesen Worten sprangler
weg.

Kaum konnte Siegwart die Treppe hinauf gehen,
so sehr zitterten ihm die Knie, und sein ganzer
Körper. Er riß sein Zimmer auf, warf sich in
seinen Stuhl, erbrach zuerst Marianens Brief,
und las:


Mein Geliebtester!

Laß mich die Sprache der Vertraulichkeit reden,
und dich Du nennen! Jch schreibe dir, wie ichs ver-
sprochen habe. Gestern bist du fort, und schon
find ich nirgends keine Freude mehr. Wenn du
doch bald wieder kämest! Mir ist so |bang ums
Herz; und doch weiß ich nicht warum? Nun wirst
du wol noch auf dem Wege seyn. Vielleicht denkst
du jetzt an mich. Mir deucht, ich fühl es. Jch ha-



Gegen Abend endlich, als er eben in ſein Haus wollte,
kam Joſeph, Marianens Bruder, hinter ihm drein.
Er that ſehr aͤngſtlich. Nur auf ein paar Worte!
ſagte er. Hier ein Brief von Marianen, und
von mir einer! Wo iſt ſie? fragte Siegwart.
Jch muß fort, war die Antwort. Mein Vater
kommt die Straſſe dort herauf; du wirſt alles in
den Brieſen finden. Mit dieſen Worten ſprangler
weg.

Kaum konnte Siegwart die Treppe hinauf gehen,
ſo ſehr zitterten ihm die Knie, und ſein ganzer
Koͤrper. Er riß ſein Zimmer auf, warf ſich in
ſeinen Stuhl, erbrach zuerſt Marianens Brief,
und las:


Mein Geliebteſter!

Laß mich die Sprache der Vertraulichkeit reden,
und dich Du nennen! Jch ſchreibe dir, wie ichs ver-
ſprochen habe. Geſtern biſt du fort, und ſchon
find ich nirgends keine Freude mehr. Wenn du
doch bald wieder kaͤmeſt! Mir iſt ſo |bang ums
Herz; und doch weiß ich nicht warum? Nun wirſt
du wol noch auf dem Wege ſeyn. Vielleicht denkſt
du jetzt an mich. Mir deucht, ich fuͤhl es. Jch ha-

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[899/0479] Gegen Abend endlich, als er eben in ſein Haus wollte, kam Joſeph, Marianens Bruder, hinter ihm drein. Er that ſehr aͤngſtlich. Nur auf ein paar Worte! ſagte er. Hier ein Brief von Marianen, und von mir einer! Wo iſt ſie? fragte Siegwart. Jch muß fort, war die Antwort. Mein Vater kommt die Straſſe dort herauf; du wirſt alles in den Brieſen finden. Mit dieſen Worten ſprangler weg. Kaum konnte Siegwart die Treppe hinauf gehen, ſo ſehr zitterten ihm die Knie, und ſein ganzer Koͤrper. Er riß ſein Zimmer auf, warf ſich in ſeinen Stuhl, erbrach zuerſt Marianens Brief, und las: Jngolſtadt den 7. Auguſt. Mein Geliebteſter! Laß mich die Sprache der Vertraulichkeit reden, und dich Du nennen! Jch ſchreibe dir, wie ichs ver- ſprochen habe. Geſtern biſt du fort, und ſchon find ich nirgends keine Freude mehr. Wenn du doch bald wieder kaͤmeſt! Mir iſt ſo |bang ums Herz; und doch weiß ich nicht warum? Nun wirſt du wol noch auf dem Wege ſeyn. Vielleicht denkſt du jetzt an mich. Mir deucht, ich fuͤhl es. Jch ha-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 899. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/479>, abgerufen am 25.11.2024.