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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Sieh, da, tritt der Mond hervor;
Bleich ist sein Gesicht, und melancholisch,
Wie getrennte Liebe.
Warlich, Mond, sie blickt dich an!
Denkt der Stunden heiliger Umarmung,
Und du weinst vor Mitleid!
Hell dich auf, und lach ihr zu!
Denn ich eil ihr, mit der Sonn', entgegen
Lach, o Mond, ihr Trost zu!

Den andern Morgen ritt er früh weg, und ge-
gen Abend kam er in Jngolstadt an. Er sah
Marianen nicht am Fenster; aber ihr Vater stand
halb hinter den Vorhängen versteckt. Weil es spät
war, und er überhaupt dem Vater nicht recht trau-
te, so gieng er nicht hinüber. Er schlief ziem-
lich unruhig, und hatte fürchterliche Träume, die
von den vorhergegangenen traurigen Vorstellungen
erzeugt wurden. Den andern Morgen sah er Ma-
rianen wieder nicht am Fenster; der Vater, der
heraus sah, schlug das Fenster zu, als er ihn er-
blickte; dieses machte unsern Siegwart noch be-
stürzter. -- Er gieng aus, ob er vielleicht ihren
Bruder irgendwo antreffe? aber vergeblich. Sein
Herz ahndete viel trauriges; es war ihm nirgends
wohl, und er schweifte von einem Ort zum andern.



Sieh, da, tritt der Mond hervor;
Bleich iſt ſein Geſicht, und melancholiſch,
Wie getrennte Liebe.
Warlich, Mond, ſie blickt dich an!
Denkt der Stunden heiliger Umarmung,
Und du weinſt vor Mitleid!
Hell dich auf, und lach ihr zu!
Denn ich eil ihr, mit der Sonn’, entgegen
Lach, o Mond, ihr Troſt zu!

Den andern Morgen ritt er fruͤh weg, und ge-
gen Abend kam er in Jngolſtadt an. Er ſah
Marianen nicht am Fenſter; aber ihr Vater ſtand
halb hinter den Vorhaͤngen verſteckt. Weil es ſpaͤt
war, und er uͤberhaupt dem Vater nicht recht trau-
te, ſo gieng er nicht hinuͤber. Er ſchlief ziem-
lich unruhig, und hatte fuͤrchterliche Traͤume, die
von den vorhergegangenen traurigen Vorſtellungen
erzeugt wurden. Den andern Morgen ſah er Ma-
rianen wieder nicht am Fenſter; der Vater, der
heraus ſah, ſchlug das Fenſter zu, als er ihn er-
blickte; dieſes machte unſern Siegwart noch be-
ſtuͤrzter. — Er gieng aus, ob er vielleicht ihren
Bruder irgendwo antreffe? aber vergeblich. Sein
Herz ahndete viel trauriges; es war ihm nirgends
wohl, und er ſchweifte von einem Ort zum andern.

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[898/0478] Sieh, da, tritt der Mond hervor; Bleich iſt ſein Geſicht, und melancholiſch, Wie getrennte Liebe. Warlich, Mond, ſie blickt dich an! Denkt der Stunden heiliger Umarmung, Und du weinſt vor Mitleid! Hell dich auf, und lach ihr zu! Denn ich eil ihr, mit der Sonn’, entgegen Lach, o Mond, ihr Troſt zu! Den andern Morgen ritt er fruͤh weg, und ge- gen Abend kam er in Jngolſtadt an. Er ſah Marianen nicht am Fenſter; aber ihr Vater ſtand halb hinter den Vorhaͤngen verſteckt. Weil es ſpaͤt war, und er uͤberhaupt dem Vater nicht recht trau- te, ſo gieng er nicht hinuͤber. Er ſchlief ziem- lich unruhig, und hatte fuͤrchterliche Traͤume, die von den vorhergegangenen traurigen Vorſtellungen erzeugt wurden. Den andern Morgen ſah er Ma- rianen wieder nicht am Fenſter; der Vater, der heraus ſah, ſchlug das Fenſter zu, als er ihn er- blickte; dieſes machte unſern Siegwart noch be- ſtuͤrzter. — Er gieng aus, ob er vielleicht ihren Bruder irgendwo antreffe? aber vergeblich. Sein Herz ahndete viel trauriges; es war ihm nirgends wohl, und er ſchweifte von einem Ort zum andern.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 898. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/478>, abgerufen am 22.11.2024.