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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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aber ich habe eine Ahndung ... Jch weis selbst
nicht. Mein Vater könnte leicht andre Absichten
haben. Er wird wieder von Theresen anfangen,
und da zittr' ich, wenn ich dran denke. -- Sieg-
wart suchte ihn, so viel als möglich, zu beruhi-
gen, und ihm allen Argwohn zu benehmen. Er
suchte ihm größre Hofnungen einzuflössen, als er
selber hatte, und sprach ihm Muth ein, da es ihm
doch selbst daran gebrach; denn der Gedanke, sei-
nen besten Freund so bald zu verlieren, beugte ihn
tief nieder. Wenn alles fehlschlägt, sagte er, so
hast du ja deinen Onkel, auf den du dich verlassen
kannst. Er wird sich der Härte deines Vaters ge-
wiß widersetzen, und sich deiner annehmen. Durch
diese und andre Vorstellungen wurde Kronhelm
etwas ruhiger, und beschloß, gleich den andern
Tag abzureisen. Jch will meine meisten Sachen
hier lassen, sagte er; vielleicht komm ich wieder.
Wenigstens will ich alles thun, was ich kann; denn
was soll ich bey meinem Vater machen, zumal
wenn er krank und verdrießlich ist?

Siegwart bestellte für seinen Freund einen
Miethkutscher, und für sich ein Pferd, um ihn
einige Stunden weit zu begleiten. Er verbarg seine
Traurigkeit sorgfältig, um ihm nicht den Abschied



aber ich habe eine Ahndung … Jch weis ſelbſt
nicht. Mein Vater koͤnnte leicht andre Abſichten
haben. Er wird wieder von Thereſen anfangen,
und da zittr’ ich, wenn ich dran denke. — Sieg-
wart ſuchte ihn, ſo viel als moͤglich, zu beruhi-
gen, und ihm allen Argwohn zu benehmen. Er
ſuchte ihm groͤßre Hofnungen einzufloͤſſen, als er
ſelber hatte, und ſprach ihm Muth ein, da es ihm
doch ſelbſt daran gebrach; denn der Gedanke, ſei-
nen beſten Freund ſo bald zu verlieren, beugte ihn
tief nieder. Wenn alles fehlſchlaͤgt, ſagte er, ſo
haſt du ja deinen Onkel, auf den du dich verlaſſen
kannſt. Er wird ſich der Haͤrte deines Vaters ge-
wiß widerſetzen, und ſich deiner annehmen. Durch
dieſe und andre Vorſtellungen wurde Kronhelm
etwas ruhiger, und beſchloß, gleich den andern
Tag abzureiſen. Jch will meine meiſten Sachen
hier laſſen, ſagte er; vielleicht komm ich wieder.
Wenigſtens will ich alles thun, was ich kann; denn
was ſoll ich bey meinem Vater machen, zumal
wenn er krank und verdrießlich iſt?

Siegwart beſtellte fuͤr ſeinen Freund einen
Miethkutſcher, und fuͤr ſich ein Pferd, um ihn
einige Stunden weit zu begleiten. Er verbarg ſeine
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[744/0324] aber ich habe eine Ahndung … Jch weis ſelbſt nicht. Mein Vater koͤnnte leicht andre Abſichten haben. Er wird wieder von Thereſen anfangen, und da zittr’ ich, wenn ich dran denke. — Sieg- wart ſuchte ihn, ſo viel als moͤglich, zu beruhi- gen, und ihm allen Argwohn zu benehmen. Er ſuchte ihm groͤßre Hofnungen einzufloͤſſen, als er ſelber hatte, und ſprach ihm Muth ein, da es ihm doch ſelbſt daran gebrach; denn der Gedanke, ſei- nen beſten Freund ſo bald zu verlieren, beugte ihn tief nieder. Wenn alles fehlſchlaͤgt, ſagte er, ſo haſt du ja deinen Onkel, auf den du dich verlaſſen kannſt. Er wird ſich der Haͤrte deines Vaters ge- wiß widerſetzen, und ſich deiner annehmen. Durch dieſe und andre Vorſtellungen wurde Kronhelm etwas ruhiger, und beſchloß, gleich den andern Tag abzureiſen. Jch will meine meiſten Sachen hier laſſen, ſagte er; vielleicht komm ich wieder. Wenigſtens will ich alles thun, was ich kann; denn was ſoll ich bey meinem Vater machen, zumal wenn er krank und verdrießlich iſt? Siegwart beſtellte fuͤr ſeinen Freund einen Miethkutſcher, und fuͤr ſich ein Pferd, um ihn einige Stunden weit zu begleiten. Er verbarg ſeine Traurigkeit ſorgfaͤltig, um ihm nicht den Abſchied

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/324>, abgerufen am 22.11.2024.