jetzt, hab ich zweymal das Leben gerettet. Der Um- gang mit liederlichen Menschern entkräftete mich so, daß ichs jetzt noch fühle; und ich hätte mich zuletzt ganz zu Schanden gerichtet, wenn nicht der Engel Mariane, wie vom Himmel herab, gekom- men wäre. Das erstemal sah ich sie auf einem Ball wo mich Dahlmund mit Gewalt hinschleppte; denn es gieng mir da viel zu ehrbar zu. Sie sehn, und weg seyn, war Eins! Aber, Gott! was das für eine Empfindung war! Jch bebte, wie ein Sün- der, der vor Gott steht, und schämte mich vor mir selbst. Anfangs wagt' ichs kaum, sie anzusehen, denn es war, als ob sie mich durchblickte, und den schlechten Kerl in mir entdeckte. Aber weg war ich ganz, und konnt auf der Welt an nichts mehr denken, als an sie. Alles war mir ekelhaft; ich hätt in das Lumpengesind und meine liederlichen Saufbrüder spucken mögen! Sie lachten mich aus, als ich nicht mehr mitmachte, ich ließ sie la- chen. Jch blieb allein, ärgerte mich über mein ver- gangnes Leben, und schmachtete um Marianen. Daß sie mich lieben sollte, konnt' ich noch nicht wünschen, denn ich kannte mich selbst zu gut, was ich für ein Kerl gewesen war; ob gleich jetzt jeder Schatten von Begierde aus mir weg wich. --
jetzt, hab ich zweymal das Leben gerettet. Der Um- gang mit liederlichen Menſchern entkraͤftete mich ſo, daß ichs jetzt noch fuͤhle; und ich haͤtte mich zuletzt ganz zu Schanden gerichtet, wenn nicht der Engel Mariane, wie vom Himmel herab, gekom- men waͤre. Das erſtemal ſah ich ſie auf einem Ball wo mich Dahlmund mit Gewalt hinſchleppte; denn es gieng mir da viel zu ehrbar zu. Sie ſehn, und weg ſeyn, war Eins! Aber, Gott! was das fuͤr eine Empfindung war! Jch bebte, wie ein Suͤn- der, der vor Gott ſteht, und ſchaͤmte mich vor mir ſelbſt. Anfangs wagt’ ichs kaum, ſie anzuſehen, denn es war, als ob ſie mich durchblickte, und den ſchlechten Kerl in mir entdeckte. Aber weg war ich ganz, und konnt auf der Welt an nichts mehr denken, als an ſie. Alles war mir ekelhaft; ich haͤtt in das Lumpengeſind und meine liederlichen Saufbruͤder ſpucken moͤgen! Sie lachten mich aus, als ich nicht mehr mitmachte, ich ließ ſie la- chen. Jch blieb allein, aͤrgerte mich uͤber mein ver- gangnes Leben, und ſchmachtete um Marianen. Daß ſie mich lieben ſollte, konnt’ ich noch nicht wuͤnſchen, denn ich kannte mich ſelbſt zu gut, was ich fuͤr ein Kerl geweſen war; ob gleich jetzt jeder Schatten von Begierde aus mir weg wich. —
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jetzt, hab ich zweymal das Leben gerettet. Der Um-
gang mit liederlichen Menſchern entkraͤftete mich
ſo, daß ichs jetzt noch fuͤhle; und ich haͤtte mich
zuletzt ganz zu Schanden gerichtet, wenn nicht der
Engel Mariane, wie vom Himmel herab, gekom-
men waͤre. Das erſtemal ſah ich ſie auf einem Ball
wo mich Dahlmund mit Gewalt hinſchleppte; denn
es gieng mir da viel zu ehrbar zu. Sie ſehn, und
weg ſeyn, war Eins! Aber, Gott! was das fuͤr
eine Empfindung war! Jch bebte, wie ein Suͤn-
der, der vor Gott ſteht, und ſchaͤmte mich vor mir
ſelbſt. Anfangs wagt’ ichs kaum, ſie anzuſehen,
denn es war, als ob ſie mich durchblickte, und den
ſchlechten Kerl in mir entdeckte. Aber weg war
ich ganz, und konnt auf der Welt an nichts mehr
denken, als an ſie. Alles war mir ekelhaft; ich
haͤtt in das Lumpengeſind und meine liederlichen
Saufbruͤder ſpucken moͤgen! Sie lachten mich
aus, als ich nicht mehr mitmachte, ich ließ ſie la-
chen. Jch blieb allein, aͤrgerte mich uͤber mein ver-
gangnes Leben, und ſchmachtete um Marianen.
Daß ſie mich lieben ſollte, konnt’ ich noch nicht
wuͤnſchen, denn ich kannte mich ſelbſt zu gut, was
ich fuͤr ein Kerl geweſen war; ob gleich jetzt jeder
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/214>, abgerufen am 16.02.2025.
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