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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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gen. Sie saß, immer noch roth im Gesicht, mit
hingesenktem Blick da, und konnte die Zähren des
Unwillens kaum zurück halten. Hierauf spielten
Kronhelm, Dahlmund, und ein paar andre, noch
Konzerte. Siegwart hieng mit schmachtendem Blick
an Marianens niedergeschlagenen Augen. Der
Verdruß und Schmerz, der aus ihren Mienen
blickte, drang ihm durch die Seele, und lockte ihm
auch Thränen in die Augen.

Bey Endigung des Konzerts ward unserm Sieg-
wart auf den künftigen Mittewoch ein Violinkon-
zert aufgetragen; er übernahm es, ob ihm gleich
bange war, sich vor Marianen hören zu lassen.
Heut hatte er auf Gutfrieds Betragen sorgfältig
Acht gegeben. Er hatte seine Blicke wohl bemerkt,
wie sie schmachtend an ihr hiengen, aber Mariane
sah ihn nur Ein- oder Zweymal, und dabey ziem-
lich gleichgültig an. Noch einen andern Menschen,
der schon in den dreyssigen zu seyn schien, und den
man Rath nannte, sah er oft, und zärtlich nach
ihr blicken; aber diesen schien sie noch weniger zu
bemerken. Dagegen ward er wegen seines Kron-
helms unruhiger, mit dem sie vor dem Weggehen
wieder, und, wie er glaubte, sehr vertraulich,
sprach. Auch war ihm kein Blick entgangen, den



gen. Sie ſaß, immer noch roth im Geſicht, mit
hingeſenktem Blick da, und konnte die Zaͤhren des
Unwillens kaum zuruͤck halten. Hierauf ſpielten
Kronhelm, Dahlmund, und ein paar andre, noch
Konzerte. Siegwart hieng mit ſchmachtendem Blick
an Marianens niedergeſchlagenen Augen. Der
Verdruß und Schmerz, der aus ihren Mienen
blickte, drang ihm durch die Seele, und lockte ihm
auch Thraͤnen in die Augen.

Bey Endigung des Konzerts ward unſerm Sieg-
wart auf den kuͤnftigen Mittewoch ein Violinkon-
zert aufgetragen; er uͤbernahm es, ob ihm gleich
bange war, ſich vor Marianen hoͤren zu laſſen.
Heut hatte er auf Gutfrieds Betragen ſorgfaͤltig
Acht gegeben. Er hatte ſeine Blicke wohl bemerkt,
wie ſie ſchmachtend an ihr hiengen, aber Mariane
ſah ihn nur Ein- oder Zweymal, und dabey ziem-
lich gleichguͤltig an. Noch einen andern Menſchen,
der ſchon in den dreyſſigen zu ſeyn ſchien, und den
man Rath nannte, ſah er oft, und zaͤrtlich nach
ihr blicken; aber dieſen ſchien ſie noch weniger zu
bemerken. Dagegen ward er wegen ſeines Kron-
helms unruhiger, mit dem ſie vor dem Weggehen
wieder, und, wie er glaubte, ſehr vertraulich,
ſprach. Auch war ihm kein Blick entgangen, den

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[614/0194] gen. Sie ſaß, immer noch roth im Geſicht, mit hingeſenktem Blick da, und konnte die Zaͤhren des Unwillens kaum zuruͤck halten. Hierauf ſpielten Kronhelm, Dahlmund, und ein paar andre, noch Konzerte. Siegwart hieng mit ſchmachtendem Blick an Marianens niedergeſchlagenen Augen. Der Verdruß und Schmerz, der aus ihren Mienen blickte, drang ihm durch die Seele, und lockte ihm auch Thraͤnen in die Augen. Bey Endigung des Konzerts ward unſerm Sieg- wart auf den kuͤnftigen Mittewoch ein Violinkon- zert aufgetragen; er uͤbernahm es, ob ihm gleich bange war, ſich vor Marianen hoͤren zu laſſen. Heut hatte er auf Gutfrieds Betragen ſorgfaͤltig Acht gegeben. Er hatte ſeine Blicke wohl bemerkt, wie ſie ſchmachtend an ihr hiengen, aber Mariane ſah ihn nur Ein- oder Zweymal, und dabey ziem- lich gleichguͤltig an. Noch einen andern Menſchen, der ſchon in den dreyſſigen zu ſeyn ſchien, und den man Rath nannte, ſah er oft, und zaͤrtlich nach ihr blicken; aber dieſen ſchien ſie noch weniger zu bemerken. Dagegen ward er wegen ſeines Kron- helms unruhiger, mit dem ſie vor dem Weggehen wieder, und, wie er glaubte, ſehr vertraulich, ſprach. Auch war ihm kein Blick entgangen, den

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/194>, abgerufen am 24.11.2024.