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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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ten Zeit im Kloster sehr viel von mir ausgestanden;
ich war so wunderlich und verdrüßlich. Seit der
Zeit bin ichs noch mehr geworden. Oft ist mirs
so zu Muthe, daß ich keinen Menschen, nicht ein-
mal meinen besten Freund um mich leiden kann.
Wenn du hier im Hause wohnst, so kannst du doch
immer bey mir auf dem Zimmer seyn; aber wenn
ichs zu arg mache, kannst du ausweichen. Mir
ists leid, daß ich so bin; aber ich kanns nicht än-
dern. Siegwart machte erst Einwendungen, aber
endlich ließ er sichs gefallen.

Den andern Tag besahen sie die Stadt mit ein-
ander. Sie gefiel unserm Siegwart besser, als
seinem Freunde, der, bey seinem Eintritt, alles in
die Farbe der Melancholie gekleidet gesehen hatte.
Siegwart erkundigte sich bey ihm nach dem Hof-
rath Fischer, und erfuhr, daß es eben der sey, von
dem die Studenten auf dem Postwagen gesprochen
hatten. Er wird dir nicht sehr gefallen, sagte
Kronhelm, denn er ist ziemlich stolz; aber seine
Tochter, denk ich, wird dir mehr gefallen; es ist
ein herrliches Mädchen. Mir wirst du dieses Lob
um so mehr glauben, da ich so ganz unpartheyisch
bin, und nur für Theresen allein lebe. Meinetwe-
gen mag sie seyn, wie sie will! versetzte Sieg-



ten Zeit im Kloſter ſehr viel von mir ausgeſtanden;
ich war ſo wunderlich und verdruͤßlich. Seit der
Zeit bin ichs noch mehr geworden. Oft iſt mirs
ſo zu Muthe, daß ich keinen Menſchen, nicht ein-
mal meinen beſten Freund um mich leiden kann.
Wenn du hier im Hauſe wohnſt, ſo kannſt du doch
immer bey mir auf dem Zimmer ſeyn; aber wenn
ichs zu arg mache, kannſt du ausweichen. Mir
iſts leid, daß ich ſo bin; aber ich kanns nicht aͤn-
dern. Siegwart machte erſt Einwendungen, aber
endlich ließ er ſichs gefallen.

Den andern Tag beſahen ſie die Stadt mit ein-
ander. Sie gefiel unſerm Siegwart beſſer, als
ſeinem Freunde, der, bey ſeinem Eintritt, alles in
die Farbe der Melancholie gekleidet geſehen hatte.
Siegwart erkundigte ſich bey ihm nach dem Hof-
rath Fiſcher, und erfuhr, daß es eben der ſey, von
dem die Studenten auf dem Poſtwagen geſprochen
hatten. Er wird dir nicht ſehr gefallen, ſagte
Kronhelm, denn er iſt ziemlich ſtolz; aber ſeine
Tochter, denk ich, wird dir mehr gefallen; es iſt
ein herrliches Maͤdchen. Mir wirſt du dieſes Lob
um ſo mehr glauben, da ich ſo ganz unpartheyiſch
bin, und nur fuͤr Thereſen allein lebe. Meinetwe-
gen mag ſie ſeyn, wie ſie will! verſetzte Sieg-

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[557/0137] ten Zeit im Kloſter ſehr viel von mir ausgeſtanden; ich war ſo wunderlich und verdruͤßlich. Seit der Zeit bin ichs noch mehr geworden. Oft iſt mirs ſo zu Muthe, daß ich keinen Menſchen, nicht ein- mal meinen beſten Freund um mich leiden kann. Wenn du hier im Hauſe wohnſt, ſo kannſt du doch immer bey mir auf dem Zimmer ſeyn; aber wenn ichs zu arg mache, kannſt du ausweichen. Mir iſts leid, daß ich ſo bin; aber ich kanns nicht aͤn- dern. Siegwart machte erſt Einwendungen, aber endlich ließ er ſichs gefallen. Den andern Tag beſahen ſie die Stadt mit ein- ander. Sie gefiel unſerm Siegwart beſſer, als ſeinem Freunde, der, bey ſeinem Eintritt, alles in die Farbe der Melancholie gekleidet geſehen hatte. Siegwart erkundigte ſich bey ihm nach dem Hof- rath Fiſcher, und erfuhr, daß es eben der ſey, von dem die Studenten auf dem Poſtwagen geſprochen hatten. Er wird dir nicht ſehr gefallen, ſagte Kronhelm, denn er iſt ziemlich ſtolz; aber ſeine Tochter, denk ich, wird dir mehr gefallen; es iſt ein herrliches Maͤdchen. Mir wirſt du dieſes Lob um ſo mehr glauben, da ich ſo ganz unpartheyiſch bin, und nur fuͤr Thereſen allein lebe. Meinetwe- gen mag ſie ſeyn, wie ſie will! verſetzte Sieg-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/137>, abgerufen am 01.05.2024.