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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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24. Wie es mit der Teutschen sprach hergangen, kan man aus
den Reichs-Abschieden und andern Teutschen Handlungen sehen.. Im
Jahr-hundert der Reformation redete man ziemlich rein Teutsch,
ausser weniger Italiänischer zum Theil auch spanischer Worte, so
vermittelst des Käyserlichen Hofes und einiger fremder Bedienten zu-
letzt eingeschlichen, dergleichen auch die Frantzosen bey sich Zeit
der Catharina vom Hauss Medices gespühret, und damahls mit eignen
Schrifften geahndet, wie denn etwas dagegen von Henrico Stephano
geschrieben worden. Solches aber, wann es mässiglich geschicht, ist
weder zu ändern noch eben zu sehr zu tadeln, zu Zeiten auch wohl
zu loben, zumahl wenn neue und gute Sachen zusamt ihren Nahmen
aus der Fremde zu uns kommen.

25. Allein wie der dreyssigjährige Krieg eingerissen und überhand
genommen, da ist Teutschland von fremden und einheimischen Völckern
wie mit einer Wasserfluth überschwemmet worden, und nicht weniger
unsere Sprache als unser Gut in die Rappuse gangen; und siehet man
wie die Reichs-Acta solcher Zeit mit Worten angefüllet seyn, deren
sich freylich unsere Vorfahren geschämet haben würden.

26. Biss dahin nun war Teutschland zwischen den Italiänern, so
Käyserlich, und den Frantzosen, als schwedischer Parthey, gleichsam in
der Wage gestanden. Aber nach dem Münsterschen und Pyrenäischen Frie-
den hat so wohl die Frantzösische Macht als Sprache bey uns überhand
genommen. Man hat Franckreich gleichsam zum Muster aller Zier-
lichkeit auffgeworffen, und unsere junge Leute, auch wohl junge
Herren selbst, so ihre eigene Heimath nicht gekennet und desswegen
alles bey den Frantzosen bewundert; haben ihr Vaterland nicht nur bey
den Fremden in Verachtung gesetzet, sondern auch selbst verachten
helffen, und einen Eckel der Teutschen Sprach und Sitten aus Ohn-
erfahrenheit angenommen, der auch an ihnen bey zuwachsenden Jahren
und Verstand behencken blieben. Und weil die meisten dieser jungen
Leute hernach, wo nicht durch gute Gaben, so bey einigen nicht ge-
fehlet, doch wegen ihrer Herkunfft und Reichthums oder durch an-
dere Gelegenheiten zu Ansehen und fürnehmen Aemtern gelanget,
haben solche Frantz-Gesinnete viele Jahre über Teutschland regieret,
und solches fast, wo nicht der Frantzösischen Herrschafft (daran es
zwar auch nicht viel gefehlet) doch der Frantzösischen Mode und
Sprache unterwürffig gemacht: ob sie gleich sonst dem Staat nach

24. Wie es mit der Teutschen sprach hergangen, kan man aus
den Reichs-Abschieden und andern Teutschen Handlungen sehen.. Im
Jahr-hundert der Reformation redete man ziemlich rein Teutsch,
ausser weniger Italiänischer zum Theil auch spanischer Worte, so
vermittelst des Käyserlichen Hofes und einiger fremder Bedienten zu-
letzt eingeschlichen, dergleichen auch die Frantzosen bey sich Zeit
der Catharina vom Hauss Medices gespühret, und damahls mit eignen
Schrifften geahndet, wie denn etwas dagegen von Henrico Stephano
geschrieben worden. Solches aber, wann es mässiglich geschicht, ist
weder zu ändern noch eben zu sehr zu tadeln, zu Zeiten auch wohl
zu loben, zumahl wenn neue und gute Sachen zusamt ihren Nahmen
aus der Fremde zu uns kommen.

25. Allein wie der dreyssigjährige Krieg eingerissen und überhand
genommen, da ist Teutschland von fremden und einheimischen Völckern
wie mit einer Wasserfluth überschwemmet worden, und nicht weniger
unsere Sprache als unser Gut in die Rappuse gangen; und siehet man
wie die Reichs-Acta solcher Zeit mit Worten angefüllet seyn, deren
sich freylich unsere Vorfahren geschämet haben würden.

26. Biss dahin nun war Teutschland zwischen den Italiänern, so
Käyserlich, und den Frantzosen, als schwedischer Parthey, gleichsam in
der Wage gestanden. Aber nach dem Münsterschen und Pyrenäischen Frie-
den hat so wohl die Frantzösische Macht als Sprache bey uns überhand
genommen. Man hat Franckreich gleichsam zum Muster aller Zier-
lichkeit auffgeworffen, und unsere junge Leute, auch wohl junge
Herren selbst, so ihre eigene Heimath nicht gekennet und desswegen
alles bey den Frantzosen bewundert; haben ihr Vaterland nicht nur bey
den Fremden in Verachtung gesetzet, sondern auch selbst verachten
helffen, und einen Eckel der Teutschen Sprach und Sitten aus Ohn-
erfahrenheit angenommen, der auch an ihnen bey zuwachsenden Jahren
und Verstand behencken blieben. Und weil die meisten dieser jungen
Leute hernach, wo nicht durch gute Gaben, so bey einigen nicht ge-
fehlet, doch wegen ihrer Herkunfft und Reichthums oder durch an-
dere Gelegenheiten zu Ansehen und fürnehmen Aemtern gelanget,
haben solche Frantz-Gesinnete viele Jahre über Teutschland regieret,
und solches fast, wo nicht der Frantzösischen Herrschafft (daran es
zwar auch nicht viel gefehlet) doch der Frantzösischen Mode und
Sprache unterwürffig gemacht: ob sie gleich sonst dem Staat nach

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[334/0008] 24. Wie es mit der Teutschen sprach hergangen, kan man aus den Reichs-Abschieden und andern Teutschen Handlungen sehen.. Im Jahr-hundert der Reformation redete man ziemlich rein Teutsch, ausser weniger Italiänischer zum Theil auch spanischer Worte, so vermittelst des Käyserlichen Hofes und einiger fremder Bedienten zu- letzt eingeschlichen, dergleichen auch die Frantzosen bey sich Zeit der Catharina vom Hauss Medices gespühret, und damahls mit eignen Schrifften geahndet, wie denn etwas dagegen von Henrico Stephano geschrieben worden. Solches aber, wann es mässiglich geschicht, ist weder zu ändern noch eben zu sehr zu tadeln, zu Zeiten auch wohl zu loben, zumahl wenn neue und gute Sachen zusamt ihren Nahmen aus der Fremde zu uns kommen. 25. Allein wie der dreyssigjährige Krieg eingerissen und überhand genommen, da ist Teutschland von fremden und einheimischen Völckern wie mit einer Wasserfluth überschwemmet worden, und nicht weniger unsere Sprache als unser Gut in die Rappuse gangen; und siehet man wie die Reichs-Acta solcher Zeit mit Worten angefüllet seyn, deren sich freylich unsere Vorfahren geschämet haben würden. 26. Biss dahin nun war Teutschland zwischen den Italiänern, so Käyserlich, und den Frantzosen, als schwedischer Parthey, gleichsam in der Wage gestanden. Aber nach dem Münsterschen und Pyrenäischen Frie- den hat so wohl die Frantzösische Macht als Sprache bey uns überhand genommen. Man hat Franckreich gleichsam zum Muster aller Zier- lichkeit auffgeworffen, und unsere junge Leute, auch wohl junge Herren selbst, so ihre eigene Heimath nicht gekennet und desswegen alles bey den Frantzosen bewundert; haben ihr Vaterland nicht nur bey den Fremden in Verachtung gesetzet, sondern auch selbst verachten helffen, und einen Eckel der Teutschen Sprach und Sitten aus Ohn- erfahrenheit angenommen, der auch an ihnen bey zuwachsenden Jahren und Verstand behencken blieben. Und weil die meisten dieser jungen Leute hernach, wo nicht durch gute Gaben, so bey einigen nicht ge- fehlet, doch wegen ihrer Herkunfft und Reichthums oder durch an- dere Gelegenheiten zu Ansehen und fürnehmen Aemtern gelanget, haben solche Frantz-Gesinnete viele Jahre über Teutschland regieret, und solches fast, wo nicht der Frantzösischen Herrschafft (daran es zwar auch nicht viel gefehlet) doch der Frantzösischen Mode und Sprache unterwürffig gemacht: ob sie gleich sonst dem Staat nach

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/8>, abgerufen am 26.04.2024.