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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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gangen, und dadurch andere gegen sich ohne Noth erreget, zumahlen
sie den Stein auf einmahl heben wollen, und alles Krumme schlecht
zu machen gemeinet, welches wie bey ausgewachsenen Gliedern (adultis
vitiis
) ohnmöglich.

20. Anitzo scheinet es, dass bei uns übel ärger worden, und hat
der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also dass der Pre-
diger auff der Cantzel, der Sachwalter auff der Cantzley, der Bürgers-
mann im schreiben und Reden, mit erbärmlichen Frantzösischen sein
Teutsches verderbet; Mithin es fast das Ansehen gewinnen will, wann
man so fortfähret und nichts dargegen thut, es werde Teutsch in
Teutschland selbst nicht weniger verlohren gehen, als das Engel-
sächsische in Engelland.

21. Gleichwohl wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere
Haupt- und Helden-Sprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu
Grunde gehen solte, so fast nichts Gutes schwanen machen dörffte,
weil die Annehmung einer fremden Sprache gemeiniglich den Verlust
der Freyheit und ein fremdes Joch mit sich geführet.

22. Es würde auch die unvermeidliche Verwirrung bei solchem
Ubergang zu einer neuen Sprache hundert und mehr Jahr über dauren,
biss alles auffgerührte sich wieder gesetzet und wie ein Geträncke so
gegohren, endlich auffgeklähret. Da inzwischen von der Ungewissheit
im Reden und Schreiben nothwendig auch die Teutschen Gemüther
nicht wenig Verdunckelung empfinden müssen. Weilen die meisten
doch die Krafft der fremden Worte eine lange Zeit über nicht recht
fassen, also elend schreiben, und übel dencken würden. Wie dann
die Sprachen nicht anders als bey einer einfallenden Barbarey oder
Unordnung, oder fremder Gewalt sich merklich verändern.

23. Gleichwie nun gewissen gewaltsamen Wasserschüssen und Ein-
brüchen der Ströhme nicht so wohl durch einen steiffen Damm und
Widerstand, als durch etwas so Anfangs nachgiebt, hernach aber all-
mählig sich setzet und fest wird, zu steuren; also wäre es auch
hierin vorzunehmen gewesen. Man hat aber gleich auff einmahl den
Lauff des Ubels hemmen, und alle fremde auch so gar eingebürgerte
Worte ausbannen wollen. Dawider sich die gantze Nation, Gelehrte
und Ungelehrte gestreubet, und das sonsten zum Theil gute Vorhaben
fast zu spott gemacht, dass also auch dasjenige nicht erhalten wor-
den, so wohl zu erlangen gewesen, wann man etwas gelinder ver-
fahren wäre.


gangen, und dadurch andere gegen sich ohne Noth erreget, zumahlen
sie den Stein auf einmahl heben wollen, und alles Krumme schlecht
zu machen gemeinet, welches wie bey ausgewachsenen Gliedern (adultis
vitiis
) ohnmöglich.

20. Anitzo scheinet es, dass bei uns übel ärger worden, und hat
der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also dass der Pre-
diger auff der Cantzel, der Sachwalter auff der Cantzley, der Bürgers-
mann im schreiben und Reden, mit erbärmlichen Frantzösischen sein
Teutsches verderbet; Mithin es fast das Ansehen gewinnen will, wann
man so fortfähret und nichts dargegen thut, es werde Teutsch in
Teutschland selbst nicht weniger verlohren gehen, als das Engel-
sächsische in Engelland.

21. Gleichwohl wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere
Haupt- und Helden-Sprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu
Grunde gehen solte, so fast nichts Gutes schwanen machen dörffte,
weil die Annehmung einer fremden Sprache gemeiniglich den Verlust
der Freyheit und ein fremdes Joch mit sich geführet.

22. Es würde auch die unvermeidliche Verwirrung bei solchem
Ubergang zu einer neuen Sprache hundert und mehr Jahr über dauren,
biss alles auffgerührte sich wieder gesetzet und wie ein Geträncke so
gegohren, endlich auffgeklähret. Da inzwischen von der Ungewissheit
im Reden und Schreiben nothwendig auch die Teutschen Gemüther
nicht wenig Verdunckelung empfinden müssen. Weilen die meisten
doch die Krafft der fremden Worte eine lange Zeit über nicht recht
fassen, also elend schreiben, und übel dencken würden. Wie dann
die Sprachen nicht anders als bey einer einfallenden Barbarey oder
Unordnung, oder fremder Gewalt sich merklich verändern.

23. Gleichwie nun gewissen gewaltsamen Wasserschüssen und Ein-
brüchen der Ströhme nicht so wohl durch einen steiffen Damm und
Widerstand, als durch etwas so Anfangs nachgiebt, hernach aber all-
mählig sich setzet und fest wird, zu steuren; also wäre es auch
hierin vorzunehmen gewesen. Man hat aber gleich auff einmahl den
Lauff des Ubels hemmen, und alle fremde auch so gar eingebürgerte
Worte ausbannen wollen. Dawider sich die gantze Nation, Gelehrte
und Ungelehrte gestreubet, und das sonsten zum Theil gute Vorhaben
fast zu spott gemacht, dass also auch dasjenige nicht erhalten wor-
den, so wohl zu erlangen gewesen, wann man etwas gelinder ver-
fahren wäre.


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[333/0007] gangen, und dadurch andere gegen sich ohne Noth erreget, zumahlen sie den Stein auf einmahl heben wollen, und alles Krumme schlecht zu machen gemeinet, welches wie bey ausgewachsenen Gliedern (adultis vitiis) ohnmöglich. 20. Anitzo scheinet es, dass bei uns übel ärger worden, und hat der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also dass der Pre- diger auff der Cantzel, der Sachwalter auff der Cantzley, der Bürgers- mann im schreiben und Reden, mit erbärmlichen Frantzösischen sein Teutsches verderbet; Mithin es fast das Ansehen gewinnen will, wann man so fortfähret und nichts dargegen thut, es werde Teutsch in Teutschland selbst nicht weniger verlohren gehen, als das Engel- sächsische in Engelland. 21. Gleichwohl wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere Haupt- und Helden-Sprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu Grunde gehen solte, so fast nichts Gutes schwanen machen dörffte, weil die Annehmung einer fremden Sprache gemeiniglich den Verlust der Freyheit und ein fremdes Joch mit sich geführet. 22. Es würde auch die unvermeidliche Verwirrung bei solchem Ubergang zu einer neuen Sprache hundert und mehr Jahr über dauren, biss alles auffgerührte sich wieder gesetzet und wie ein Geträncke so gegohren, endlich auffgeklähret. Da inzwischen von der Ungewissheit im Reden und Schreiben nothwendig auch die Teutschen Gemüther nicht wenig Verdunckelung empfinden müssen. Weilen die meisten doch die Krafft der fremden Worte eine lange Zeit über nicht recht fassen, also elend schreiben, und übel dencken würden. Wie dann die Sprachen nicht anders als bey einer einfallenden Barbarey oder Unordnung, oder fremder Gewalt sich merklich verändern. 23. Gleichwie nun gewissen gewaltsamen Wasserschüssen und Ein- brüchen der Ströhme nicht so wohl durch einen steiffen Damm und Widerstand, als durch etwas so Anfangs nachgiebt, hernach aber all- mählig sich setzet und fest wird, zu steuren; also wäre es auch hierin vorzunehmen gewesen. Man hat aber gleich auff einmahl den Lauff des Ubels hemmen, und alle fremde auch so gar eingebürgerte Worte ausbannen wollen. Dawider sich die gantze Nation, Gelehrte und Ungelehrte gestreubet, und das sonsten zum Theil gute Vorhaben fast zu spott gemacht, dass also auch dasjenige nicht erhalten wor- den, so wohl zu erlangen gewesen, wann man etwas gelinder ver- fahren wäre.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/7>, abgerufen am 24.11.2024.