Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.109. Die Urtheil hat nicht allein die höchsten Gerichte, sondern 110. Nun wäre noch übrig vom Glantz und Zierde der Teutschen 111. Und weil dazu viel helffen die Exempel derer, so bereits
wohl 112. Bey welcher Gelegenheit ich erinnern sollen, dass einige Sinn- 113. Die Teutsche Poesie gehöret hauptsächlich zum Glantz der 109. Die Urtheil hat nicht allein die höchsten Gerichte, sondern 110. Nun wäre noch übrig vom Glantz und Zierde der Teutschen 111. Und weil dazu viel helffen die Exempel derer, so bereits
wohl 112. Bey welcher Gelegenheit ich erinnern sollen, dass einige Sinn- 113. Die Teutsche Poesie gehöret hauptsächlich zum Glantz der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#0029" n="355"/> <p>109. Die Urtheil hat nicht allein die höchsten Gerichte, sondern<lb/> auch die gröste Zahl vor sich. Das Urtheil aber berufft sich auff den<lb/> Sprach-Grund oder Analogie. Dann weil Theil nicht weiblichen Ge-<lb/> schlechtes und ehe gesaget wird das Theil als die Theil (<foreign xml:lang="lat">in singulari</foreign>),<lb/> so solte man meynen, es müste auch ehe das Urtheil, als die Urtheil<lb/> heissen. Doch der Gebrauch ist der Meister:<lb/><foreign xml:lang="lat"><hi rendition="#i">Non nostrum inter vos tantas componere lites.</hi></foreign><lb/> Ich überlasse es künfftiger Anstalt mit vielen andern dergleichen Fragen,<lb/> welche endlich ohne Gefahr etwas warten und auff die lange Banck<lb/> geschoben werden können.</p><lb/> <p>110. Nun wäre noch übrig vom <hi rendition="#i">Glantz</hi> und <hi rendition="#i">Zierde</hi> der Teutschen<lb/> Sprache zu reden, will mich aber damit anietzo nicht auffhalten, dann<lb/> wann es weder an bequemen Worten noch tüchtigen Redens-Arten<lb/> fehlet, kommt es auff den Geist und Verstand des Verfassers an, um<lb/> die Worte wohl zu wehlen und füglich zu setzen.</p><lb/> <p>111. Und weil dazu viel helffen die Exempel derer, so bereits wohl<lb/> angeschrieben und durch einen glücklichen Trieb der Natur den andern<lb/> das Eiss gebrochen, so würde nicht allein nöthig seyn ihre Schrifften<lb/> hervor zu ziehen, und zur Nachfolge vorzustellen, sondern auch zu<lb/> vermehren, die Bücher der alten und auch wohl einiger neuen Haupt-Autoren<lb/> in gutes Teutsch zu bringen, und allerhand schöne und nütz-<lb/> liche Materien wohl auszuarbeiten.</p><lb/> <p>112. Bey welcher Gelegenheit ich erinnern sollen, dass einige Sinn-<lb/> reiche Teutsche Scribenten, und unter ihnen der sonst Lob-würdige<lb/> Herr Weise selbst, gleichwohl diesen mercklichen Fehler noch nicht ab-<lb/> geschaffet, (den auch etliche Italiäner behalten) dass sie etwas schmutzig<lb/> zu reden kein Bedencken tragen; in welchem Punct ich hingegen die<lb/> Frantzosen höchlich loben muss, dass sie in öffentlichen Schrifften nicht<lb/> nur solche Wort und Reden, sondern auch solchen Verstand vermeiden,<lb/> und daher auch in den Lust- und Possen-Spielen selbst nicht leicht<lb/> etwas zweydeutiges leiden, so man anders als sich gebühret, gemeynet<lb/> zu seyn vermercken könne. Welchem löblichem Exempel billich mehr<lb/> als bissher geschehen, zu folgen, und zumahl hessliche Worte ohne<lb/> sonderbahre Nothdurfft nicht zu dulden. Es ist freylich in der Sitten-Lehre<lb/> mit Sauberkeit der Worte nichts ausgerichtet, es ist doch aber<lb/> auch solche kein geringes.</p><lb/> <p>113. Die Teutsche Poesie gehöret hauptsächlich zum Glantz der<lb/> Sprache; ich will mich aber anietzo damit nicht auffhalten, sondern<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [355/0029]
109. Die Urtheil hat nicht allein die höchsten Gerichte, sondern
auch die gröste Zahl vor sich. Das Urtheil aber berufft sich auff den
Sprach-Grund oder Analogie. Dann weil Theil nicht weiblichen Ge-
schlechtes und ehe gesaget wird das Theil als die Theil (in singulari),
so solte man meynen, es müste auch ehe das Urtheil, als die Urtheil
heissen. Doch der Gebrauch ist der Meister:
Non nostrum inter vos tantas componere lites.
Ich überlasse es künfftiger Anstalt mit vielen andern dergleichen Fragen,
welche endlich ohne Gefahr etwas warten und auff die lange Banck
geschoben werden können.
110. Nun wäre noch übrig vom Glantz und Zierde der Teutschen
Sprache zu reden, will mich aber damit anietzo nicht auffhalten, dann
wann es weder an bequemen Worten noch tüchtigen Redens-Arten
fehlet, kommt es auff den Geist und Verstand des Verfassers an, um
die Worte wohl zu wehlen und füglich zu setzen.
111. Und weil dazu viel helffen die Exempel derer, so bereits wohl
angeschrieben und durch einen glücklichen Trieb der Natur den andern
das Eiss gebrochen, so würde nicht allein nöthig seyn ihre Schrifften
hervor zu ziehen, und zur Nachfolge vorzustellen, sondern auch zu
vermehren, die Bücher der alten und auch wohl einiger neuen Haupt-Autoren
in gutes Teutsch zu bringen, und allerhand schöne und nütz-
liche Materien wohl auszuarbeiten.
112. Bey welcher Gelegenheit ich erinnern sollen, dass einige Sinn-
reiche Teutsche Scribenten, und unter ihnen der sonst Lob-würdige
Herr Weise selbst, gleichwohl diesen mercklichen Fehler noch nicht ab-
geschaffet, (den auch etliche Italiäner behalten) dass sie etwas schmutzig
zu reden kein Bedencken tragen; in welchem Punct ich hingegen die
Frantzosen höchlich loben muss, dass sie in öffentlichen Schrifften nicht
nur solche Wort und Reden, sondern auch solchen Verstand vermeiden,
und daher auch in den Lust- und Possen-Spielen selbst nicht leicht
etwas zweydeutiges leiden, so man anders als sich gebühret, gemeynet
zu seyn vermercken könne. Welchem löblichem Exempel billich mehr
als bissher geschehen, zu folgen, und zumahl hessliche Worte ohne
sonderbahre Nothdurfft nicht zu dulden. Es ist freylich in der Sitten-Lehre
mit Sauberkeit der Worte nichts ausgerichtet, es ist doch aber
auch solche kein geringes.
113. Die Teutsche Poesie gehöret hauptsächlich zum Glantz der
Sprache; ich will mich aber anietzo damit nicht auffhalten, sondern
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Zitationshilfe: | Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/29>, abgerufen am 26.07.2024. |