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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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worden, also dass wegen geringer Anzahl und Zweydeutigkeit der
Worte sie bissweilen, um sich zu erklären, und den Zweiffel zu be-
nehmen, mitten im Reden gezwungen werden sollen, die Zeichen mit
den Fingern in der Lufft zu mahlen.

59. Es kan zwar endlich eine jede Sprache, sie sey so arm als sie
wolle, alles geben; ob man schon saget, es wären barbarische Völcker,
denen man nicht bedeuten kan, was GOtt sagen wolle. Allein, ob
schon alles endlich durch Umschweiffe und Beschreibung bedeutet
werden kan, so verliehret sich doch bey solcher Weitschweifigkeit alle
Lust, aller Nachdruck in dem der redet, und in dem der höret; die-
weil das Gemüthe zu lange auffgehalten wird und es heraus kommt,
als wann man einen, der viel schöne Palläste besehen will, bey einem
jeden Zimmer lange auffhalten und durch alle Winckel herumschleppen
wolte; oder wenn man rechnen wolte wie die Völcker, die (nach der
Weigelianischen Tetracty) nicht über drey zehlen könten, und keine
Wort oder Bezeichnung hätten vor 4. 5. 6. 7. 8. 9. &c. wodurch
die Rechnung nothwendig sehr langsam und beschwerlich fallen müste.

60. Der rechte Probier-Stein des Uberflusses oder Mangels einer
Sprache findet sich beym Ubersetzen guter Bücher aus anderen
Sprachen. Dann da zeiget sich, was fehlet, oder was vorhanden,
daher haben die Herren Fruchtbringenden und ihre Nachfolgere wohl
gethan, dass sie einige Übersetzungen vorgenommen, wiewohl nicht
allemahl das Beste ausgewehlet worden.

61. Nun glaub ich zwar nicht, dass eine Sprache in der Welt
sey, die ander Sprachen Worte jedesmahl mit gleichem Nachdruck
und auch mit einem Worte geben könne. Cicero hat denen Griechen
vorgeworffen, sie hätten kein Wort, das dem Lateinischen ineptus
antworte: Er selbst aber bekennet zum öfftern der Lateiner Armuth.
Und ich habe den Frantzosen zu Zeiten gezeiget, dass wir auch keinen
Mangel an solchen Worten haben, die ohne Umschweiff von ihnen
nicht übersezt werden können. Und können sie nicht einmahl heut
zu Tag mit einem Worte sagen, was wir Reiten oder die Lateiner
Equitare nennen. Und fehlet es weit, dass ihre Ubersetzungen des

worden, also dass wegen geringer Anzahl und Zweydeutigkeit der
Worte sie bissweilen, um sich zu erklären, und den Zweiffel zu be-
nehmen, mitten im Reden gezwungen werden sollen, die Zeichen mit
den Fingern in der Lufft zu mahlen.

59. Es kan zwar endlich eine jede Sprache, sie sey so arm als sie
wolle, alles geben; ob man schon saget, es wären barbarische Völcker,
denen man nicht bedeuten kan, was GOtt sagen wolle. Allein, ob
schon alles endlich durch Umschweiffe und Beschreibung bedeutet
werden kan, so verliehret sich doch bey solcher Weitschweifigkeit alle
Lust, aller Nachdruck in dem der redet, und in dem der höret; die-
weil das Gemüthe zu lange auffgehalten wird und es heraus kommt,
als wann man einen, der viel schöne Palläste besehen will, bey einem
jeden Zimmer lange auffhalten und durch alle Winckel herumschleppen
wolte; oder wenn man rechnen wolte wie die Völcker, die (nach der
Weigelianischen Tetracty) nicht über drey zehlen könten, und keine
Wort oder Bezeichnung hätten vor 4. 5. 6. 7. 8. 9. &c. wodurch
die Rechnung nothwendig sehr langsam und beschwerlich fallen müste.

60. Der rechte Probier-Stein des Uberflusses oder Mangels einer
Sprache findet sich beym Ubersetzen guter Bücher aus anderen
Sprachen. Dann da zeiget sich, was fehlet, oder was vorhanden,
daher haben die Herren Fruchtbringenden und ihre Nachfolgere wohl
gethan, dass sie einige Übersetzungen vorgenommen, wiewohl nicht
allemahl das Beste ausgewehlet worden.

61. Nun glaub ich zwar nicht, dass eine Sprache in der Welt
sey, die ander Sprachen Worte jedesmahl mit gleichem Nachdruck
und auch mit einem Worte geben könne. Cicero hat denen Griechen
vorgeworffen, sie hätten kein Wort, das dem Lateinischen ineptus
antworte: Er selbst aber bekennet zum öfftern der Lateiner Armuth.
Und ich habe den Frantzosen zu Zeiten gezeiget, dass wir auch keinen
Mangel an solchen Worten haben, die ohne Umschweiff von ihnen
nicht übersezt werden können. Und können sie nicht einmahl heut
zu Tag mit einem Worte sagen, was wir Reiten oder die Lateiner
Equitare nennen. Und fehlet es weit, dass ihre Ubersetzungen des

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[344/0018] worden, also dass wegen geringer Anzahl und Zweydeutigkeit der Worte sie bissweilen, um sich zu erklären, und den Zweiffel zu be- nehmen, mitten im Reden gezwungen werden sollen, die Zeichen mit den Fingern in der Lufft zu mahlen. 59. Es kan zwar endlich eine jede Sprache, sie sey so arm als sie wolle, alles geben; ob man schon saget, es wären barbarische Völcker, denen man nicht bedeuten kan, was GOtt sagen wolle. Allein, ob schon alles endlich durch Umschweiffe und Beschreibung bedeutet werden kan, so verliehret sich doch bey solcher Weitschweifigkeit alle Lust, aller Nachdruck in dem der redet, und in dem der höret; die- weil das Gemüthe zu lange auffgehalten wird und es heraus kommt, als wann man einen, der viel schöne Palläste besehen will, bey einem jeden Zimmer lange auffhalten und durch alle Winckel herumschleppen wolte; oder wenn man rechnen wolte wie die Völcker, die (nach der Weigelianischen Tetracty) nicht über drey zehlen könten, und keine Wort oder Bezeichnung hätten vor 4. 5. 6. 7. 8. 9. &c. wodurch die Rechnung nothwendig sehr langsam und beschwerlich fallen müste. 60. Der rechte Probier-Stein des Uberflusses oder Mangels einer Sprache findet sich beym Ubersetzen guter Bücher aus anderen Sprachen. Dann da zeiget sich, was fehlet, oder was vorhanden, daher haben die Herren Fruchtbringenden und ihre Nachfolgere wohl gethan, dass sie einige Übersetzungen vorgenommen, wiewohl nicht allemahl das Beste ausgewehlet worden. 61. Nun glaub ich zwar nicht, dass eine Sprache in der Welt sey, die ander Sprachen Worte jedesmahl mit gleichem Nachdruck und auch mit einem Worte geben könne. Cicero hat denen Griechen vorgeworffen, sie hätten kein Wort, das dem Lateinischen ineptus antworte: Er selbst aber bekennet zum öfftern der Lateiner Armuth. Und ich habe den Frantzosen zu Zeiten gezeiget, dass wir auch keinen Mangel an solchen Worten haben, die ohne Umschweiff von ihnen nicht übersezt werden können. Und können sie nicht einmahl heut zu Tag mit einem Worte sagen, was wir Reiten oder die Lateiner Equitare nennen. Und fehlet es weit, dass ihre Ubersetzungen des

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/18>, abgerufen am 26.04.2024.