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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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Exempel: Man sagt Ort und Ende, man sagt erörtern, die Ursache
wissen wenig, allein man verstehet es aus der Sprache der Berg-Leute,
bey denen ist Ort so viel als Ende, so weit nemlich der Stollen, der
Schacht oder die Strecke getrieben, man sagt zum Exempel: Dieser
Bergmann arbeitet vor dem Ort, das ist, wo es auffhöret, daher er-
örtern nichts anders ist, als endigen (definire).

55. Ich habe bey den Frantzosen etwas löbliches darin gefunden,
dass auch vornehme Herren sich befleissigen von allerhand Sachen mit
den eigenen Kunst-Wörtern zu reden, umb zu zeigen, dass sie nicht
gar der sachen unwissend seyn; und hat man mir erzehlet, dass das
Exempel des vorigen Hertzogs von Orleans, Ludwigs des XIII Bruders,
so darin Beliebung gehabt, nicht wenig dazu geholffen. Ein gleich-
mässiges, da dergleichen Arbeit in unserer Sprache herfur kommen
solte, würde bey den Teutschen mehr denn bissher erfolgen, und zu
einer allgemeinen Wissens-Lust (oder Curiosität) und zu fernerer
Oeffnung der Gemüther in allen Dingen nicht wenig dienen.

56. Allein ich komme nunmehro zu dem, so bey der Sprache in
dero durchgehenden Gebrauch erfordert wird, darauff die Herren
Frucht-bringenden, die Crusca und die Frantzösische Academie zuerst
allein gesehen, und auch anfangs am meisten zu sehen ist; in so weit
keine Frage ist von dem Ursprung und Alterthum oder von ver-
borgenen Nachrichtungen, Künsten und Wissenschafften, sondern allein
vom gemeinen Umgang und gewöhnlichen Schrifften, allwo der Teutschen
Sprache Reichthum, Reinigkeit und Glantz sich zeigen soll, welche
drey gute Beschaffenheiten bey einer Sprache verlanget werden.

57. Reichthum ist das erste und nöthigste bey einer Sprache und
bestehet darin, dass kein Mangel, sondern vielmehr ein Uberfluss er-
scheine an bequemen und nachdrücklichen Worten, so zu allen Vor-
fälligkeiten dienlich, damit man alles kräfftig und eigentlich vorstellen
und gleichsam mit lebenden Farben abmahlen könne.

58. Man sagt von den Sinesern, dass sie reich im Schreiben ver-
mittelst ihrer vielfältigen Zeichen, hingegen arm im Reden und an
Worten, weiln (wie bekandt) die Schrifft bey ihnen der Sprache nicht
antwortet; und scheinet, dass der Uberfluss der Zeichen, darauff sie
sich geleget, verursachet, dass die Sprache desto weniger angebauet

Exempel: Man sagt Ort und Ende, man sagt erörtern, die Ursache
wissen wenig, allein man verstehet es aus der Sprache der Berg-Leute,
bey denen ist Ort so viel als Ende, so weit nemlich der Stollen, der
Schacht oder die Strecke getrieben, man sagt zum Exempel: Dieser
Bergmann arbeitet vor dem Ort, das ist, wo es auffhöret, daher er-
örtern nichts anders ist, als endigen (definire).

55. Ich habe bey den Frantzosen etwas löbliches darin gefunden,
dass auch vornehme Herren sich befleissigen von allerhand Sachen mit
den eigenen Kunst-Wörtern zu reden, umb zu zeigen, dass sie nicht
gar der sachen unwissend seyn; und hat man mir erzehlet, dass das
Exempel des vorigen Hertzogs von Orleans, Ludwigs des XIII Bruders,
so darin Beliebung gehabt, nicht wenig dazu geholffen. Ein gleich-
mässiges, da dergleichen Arbeit in unserer Sprache herfur kommen
solte, würde bey den Teutschen mehr denn bissher erfolgen, und zu
einer allgemeinen Wissens-Lust (oder Curiosität) und zu fernerer
Oeffnung der Gemüther in allen Dingen nicht wenig dienen.

56. Allein ich komme nunmehro zu dem, so bey der Sprache in
dero durchgehenden Gebrauch erfordert wird, darauff die Herren
Frucht-bringenden, die Crusca und die Frantzösische Academie zuerst
allein gesehen, und auch anfangs am meisten zu sehen ist; in so weit
keine Frage ist von dem Ursprung und Alterthum oder von ver-
borgenen Nachrichtungen, Künsten und Wissenschafften, sondern allein
vom gemeinen Umgang und gewöhnlichen Schrifften, allwo der Teutschen
Sprache Reichthum, Reinigkeit und Glantz sich zeigen soll, welche
drey gute Beschaffenheiten bey einer Sprache verlanget werden.

57. Reichthum ist das erste und nöthigste bey einer Sprache und
bestehet darin, dass kein Mangel, sondern vielmehr ein Uberfluss er-
scheine an bequemen und nachdrücklichen Worten, so zu allen Vor-
fälligkeiten dienlich, damit man alles kräfftig und eigentlich vorstellen
und gleichsam mit lebenden Farben abmahlen könne.

58. Man sagt von den Sinesern, dass sie reich im Schreiben ver-
mittelst ihrer vielfältigen Zeichen, hingegen arm im Reden und an
Worten, weiln (wie bekandt) die Schrifft bey ihnen der Sprache nicht
antwortet; und scheinet, dass der Uberfluss der Zeichen, darauff sie
sich geleget, verursachet, dass die Sprache desto weniger angebauet

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[343/0017] Exempel: Man sagt Ort und Ende, man sagt erörtern, die Ursache wissen wenig, allein man verstehet es aus der Sprache der Berg-Leute, bey denen ist Ort so viel als Ende, so weit nemlich der Stollen, der Schacht oder die Strecke getrieben, man sagt zum Exempel: Dieser Bergmann arbeitet vor dem Ort, das ist, wo es auffhöret, daher er- örtern nichts anders ist, als endigen (definire). 55. Ich habe bey den Frantzosen etwas löbliches darin gefunden, dass auch vornehme Herren sich befleissigen von allerhand Sachen mit den eigenen Kunst-Wörtern zu reden, umb zu zeigen, dass sie nicht gar der sachen unwissend seyn; und hat man mir erzehlet, dass das Exempel des vorigen Hertzogs von Orleans, Ludwigs des XIII Bruders, so darin Beliebung gehabt, nicht wenig dazu geholffen. Ein gleich- mässiges, da dergleichen Arbeit in unserer Sprache herfur kommen solte, würde bey den Teutschen mehr denn bissher erfolgen, und zu einer allgemeinen Wissens-Lust (oder Curiosität) und zu fernerer Oeffnung der Gemüther in allen Dingen nicht wenig dienen. 56. Allein ich komme nunmehro zu dem, so bey der Sprache in dero durchgehenden Gebrauch erfordert wird, darauff die Herren Frucht-bringenden, die Crusca und die Frantzösische Academie zuerst allein gesehen, und auch anfangs am meisten zu sehen ist; in so weit keine Frage ist von dem Ursprung und Alterthum oder von ver- borgenen Nachrichtungen, Künsten und Wissenschafften, sondern allein vom gemeinen Umgang und gewöhnlichen Schrifften, allwo der Teutschen Sprache Reichthum, Reinigkeit und Glantz sich zeigen soll, welche drey gute Beschaffenheiten bey einer Sprache verlanget werden. 57. Reichthum ist das erste und nöthigste bey einer Sprache und bestehet darin, dass kein Mangel, sondern vielmehr ein Uberfluss er- scheine an bequemen und nachdrücklichen Worten, so zu allen Vor- fälligkeiten dienlich, damit man alles kräfftig und eigentlich vorstellen und gleichsam mit lebenden Farben abmahlen könne. 58. Man sagt von den Sinesern, dass sie reich im Schreiben ver- mittelst ihrer vielfältigen Zeichen, hingegen arm im Reden und an Worten, weiln (wie bekandt) die Schrifft bey ihnen der Sprache nicht antwortet; und scheinet, dass der Uberfluss der Zeichen, darauff sie sich geleget, verursachet, dass die Sprache desto weniger angebauet

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/17>, abgerufen am 28.03.2024.