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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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48. Bey uns Teutschen aber solte die Begierde darnach so viel
grösser seyn, weil uns nicht allein am meisten damit geholffen wird,
sondern auch ein solches zu unserm Ruhm gereichet; ie mehr daraus
erscheinet, dass der Ursprung und Brunquell des Europäischen Wesens
grossen Theils bey uns zu suchen. Es finden sich aber auch täglich
bey uns selbst in der Sprache allerhand Erläuterungs würdige Dinge
und Anmerckungen, so Gelegenheit zu sonderlichen Nachdenken geben.

49. Zum Exempel, wenn man fraget, was Welt im Teutschen
sagen wolle, so muss man betrachten, dass die Vorfahren gesaget Werelt,
wie sichs noch in alten Büchern und Liedern findet, daraus erscheinet,
dass es nichts anders sey als Umkreiss der Erden oder Orbis terrarum.
Denn Wirren, Werre, (Wire bey den Engländern, Gyrus bey den
Griechen,) bedeutet was in die Runde herum sich ziehet. Und scheinet
die Wurtzel stecke im teutschen Buchstaben W, der eine Bewegung mit sich
bringet, so ab- und zugehet, auch wohl umgehet, als bey wehen, Wind,
Waage, Wogen, Wellen, Wheel,
oder Rad. Daher auch nicht nur Wirbel,
Gewerrel,
oder Querl auch wohl Quern, (so im alt Teutsch eine Mühle
bedeutet, wie an Quernhameln abzunehmen), sondern auch bewegen, win-
den, wenden,
das Frantzösische vis (als: vis sans fin) auch Welle, Waltze,
das Lateinische volvo und verto, vortex, ja der Name der Walen,
Wallonen oder Herumwallenden (das ist der Gallier oder Frembden),
Wild (das ist frembd, davon wildfrembd, Wildfangs-Recht etc.), von
diesem aber Wald und anderes mehr entstanden. Doch will man mit
denen nicht streiten, die das Wort Wereld, von währen oder dauren
herführen, und darunter Seculum (vor alters: ew) verstehen. Weil diese
Dinge ohne gnugsame Untersuchung, zu keiner völligen Gewissheit zu
bringen, und die alten Teutschen Bücher den Ausschlag geben müssen.

50. Dergleichen Exempel sind nicht wenig vorhanden, so nicht
allein der Dinge Ursprung entdecken, sondern auch zu erkennen geben,
dass die Wort nicht eben so willkührlich oder von ohngefehr herfür-
kommen, als einige vermeynen; wie dann nichts ohngefehr in der
Welt als nach unserer Unwissenheit, wenn uns die Ursachen verborgen.
Und weiln die Teutsche Sprache vor vielen andern dem Ursprung sich
zu nähern scheinet, so sind auch die Grund-Wurtzeln in derselben

48. Bey uns Teutschen aber solte die Begierde darnach so viel
grösser seyn, weil uns nicht allein am meisten damit geholffen wird,
sondern auch ein solches zu unserm Ruhm gereichet; ie mehr daraus
erscheinet, dass der Ursprung und Brunquell des Europäischen Wesens
grossen Theils bey uns zu suchen. Es finden sich aber auch täglich
bey uns selbst in der Sprache allerhand Erläuterungs würdige Dinge
und Anmerckungen, so Gelegenheit zu sonderlichen Nachdenken geben.

49. Zum Exempel, wenn man fraget, was Welt im Teutschen
sagen wolle, so muss man betrachten, dass die Vorfahren gesaget Werelt,
wie sichs noch in alten Büchern und Liedern findet, daraus erscheinet,
dass es nichts anders sey als Umkreiss der Erden oder Orbis terrarum.
Denn Wirren, Werre, (Wire bey den Engländern, Gyrus bey den
Griechen,) bedeutet was in die Runde herum sich ziehet. Und scheinet
die Wurtzel stecke im teutschen Buchstaben W, der eine Bewegung mit sich
bringet, so ab- und zugehet, auch wohl umgehet, als bey wehen, Wind,
Waage, Wogen, Wellen, Wheel,
oder Rad. Daher auch nicht nur Wirbel,
Gewerrel,
oder Querl auch wohl Quern, (so im alt Teutsch eine Mühle
bedeutet, wie an Quernhameln abzunehmen), sondern auch bewegen, win-
den, wenden,
das Frantzösische vis (als: vis sans fin) auch Welle, Waltze,
das Lateinische volvo und verto, vortex, ja der Name der Walen,
Wallonen oder Herumwallenden (das ist der Gallier oder Frembden),
Wild (das ist frembd, davon wildfrembd, Wildfangs-Recht etc.), von
diesem aber Wald und anderes mehr entstanden. Doch will man mit
denen nicht streiten, die das Wort Wereld, von währen oder dauren
herführen, und darunter Seculum (vor alters: ew) verstehen. Weil diese
Dinge ohne gnugsame Untersuchung, zu keiner völligen Gewissheit zu
bringen, und die alten Teutschen Bücher den Ausschlag geben müssen.

50. Dergleichen Exempel sind nicht wenig vorhanden, so nicht
allein der Dinge Ursprung entdecken, sondern auch zu erkennen geben,
dass die Wort nicht eben so willkührlich oder von ohngefehr herfür-
kommen, als einige vermeynen; wie dann nichts ohngefehr in der
Welt als nach unserer Unwissenheit, wenn uns die Ursachen verborgen.
Und weiln die Teutsche Sprache vor vielen andern dem Ursprung sich
zu nähern scheinet, so sind auch die Grund-Wurtzeln in derselben

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[341/0015] 48. Bey uns Teutschen aber solte die Begierde darnach so viel grösser seyn, weil uns nicht allein am meisten damit geholffen wird, sondern auch ein solches zu unserm Ruhm gereichet; ie mehr daraus erscheinet, dass der Ursprung und Brunquell des Europäischen Wesens grossen Theils bey uns zu suchen. Es finden sich aber auch täglich bey uns selbst in der Sprache allerhand Erläuterungs würdige Dinge und Anmerckungen, so Gelegenheit zu sonderlichen Nachdenken geben. 49. Zum Exempel, wenn man fraget, was Welt im Teutschen sagen wolle, so muss man betrachten, dass die Vorfahren gesaget Werelt, wie sichs noch in alten Büchern und Liedern findet, daraus erscheinet, dass es nichts anders sey als Umkreiss der Erden oder Orbis terrarum. Denn Wirren, Werre, (Wire bey den Engländern, Gyrus bey den Griechen,) bedeutet was in die Runde herum sich ziehet. Und scheinet die Wurtzel stecke im teutschen Buchstaben W, der eine Bewegung mit sich bringet, so ab- und zugehet, auch wohl umgehet, als bey wehen, Wind, Waage, Wogen, Wellen, Wheel, oder Rad. Daher auch nicht nur Wirbel, Gewerrel, oder Querl auch wohl Quern, (so im alt Teutsch eine Mühle bedeutet, wie an Quernhameln abzunehmen), sondern auch bewegen, win- den, wenden, das Frantzösische vis (als: vis sans fin) auch Welle, Waltze, das Lateinische volvo und verto, vortex, ja der Name der Walen, Wallonen oder Herumwallenden (das ist der Gallier oder Frembden), Wild (das ist frembd, davon wildfrembd, Wildfangs-Recht etc.), von diesem aber Wald und anderes mehr entstanden. Doch will man mit denen nicht streiten, die das Wort Wereld, von währen oder dauren herführen, und darunter Seculum (vor alters: ew) verstehen. Weil diese Dinge ohne gnugsame Untersuchung, zu keiner völligen Gewissheit zu bringen, und die alten Teutschen Bücher den Ausschlag geben müssen. 50. Dergleichen Exempel sind nicht wenig vorhanden, so nicht allein der Dinge Ursprung entdecken, sondern auch zu erkennen geben, dass die Wort nicht eben so willkührlich oder von ohngefehr herfür- kommen, als einige vermeynen; wie dann nichts ohngefehr in der Welt als nach unserer Unwissenheit, wenn uns die Ursachen verborgen. Und weiln die Teutsche Sprache vor vielen andern dem Ursprung sich zu nähern scheinet, so sind auch die Grund-Wurtzeln in derselben

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/15>, abgerufen am 29.03.2024.