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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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dem Nahmen der Gothen, oder auch nach etlicher Meinung der Geten,
und wenigstens der Bastarnen, gegen dem Ausfluss der Donau und
ferner am schwartzen Meer gewohnet, und zu gewisser Zeit die
iezt genannte kleine Tartarey inngehabt, und sich fast biss an die
Wolga erstrecket, so ist kein Wunder, dass Teutsche Worte nicht
nur im Griechischen so häuffig erscheinen, sondern biss in die Per-
sianische Sprache gedrungen, wie von vielen Gelehrten bemercket
worden. Wiewohl ich noch nicht finden kan, dass so viel Teutsches
in Persien sey, als nach Elichmanns Meynung vorgegeben wird.

45. Alles auch was die Schweden, Norwegen und Isländer von
ihren Gothen und Runen rühmen, ist unser, und arbeiten sie mit
aller ihrer zwar löblichen Mühe vor uns; massen sie ja vor nichts
anders als Nord-Teutsche gehalten werden können, auch von dem
wohlberichteten Tacito und allen alten und mittel-Autoren unter die
Teutsche gezehlet worden; mit ihrer Sprach auch selbst nichts anders
zu Tage legen, sie mögen sich krümmen und wenden wie sie wollen.
Dass auch die Dähnen zu Zeiten der Römer bey dem abnehmenden
Reich unter dem Nahmen der Sachsen begriffen gewesen, kan ich
aus vielen Umständen schliessen.

46. Stecket also im Teutschen Alterthum und sonderlich in der
Teutschen uhralten Sprache, so über das Alter aller Griechischen und
Lateinischen Bücher hinauff steiget, der Ursprung der Europäischen
Völcker und Sprachen, auch zum theil des uhralten Gottesdienstes, der
Sitten, Rechte und Adels, auch offt der alten Nahmen der Sachen,
Oerter und Leute, wie solches von andern dargethan, und theils mit
mehrern auszuführen.

47. Welches umb so viel mehr erinnern müssen, damit desto deut-
licher erscheine, wie ein grosses an einem Teutschen Glossario Ethy-
mologico gelegen; immassen mir bewust und aus Briefen an mich
selbst kund worden, dass hochgelehrte Leute anderer Nationen sehr
darnach wündschen und wohl erkennen, was ihnen selbst zu Erleuch-
tung ihrer Alterthümer daran gelegen; und dass nicht wohl andere als
der Teutschen Sprache im Grund Erfahrne, also weder Engländer noch
Frantzosen, wie gelehrt sie auch seyn, damit zurechte kommen mögen.


dem Nahmen der Gothen, oder auch nach etlicher Meinung der Geten,
und wenigstens der Bastarnen, gegen dem Ausfluss der Donau und
ferner am schwartzen Meer gewohnet, und zu gewisser Zeit die
iezt genannte kleine Tartarey inngehabt, und sich fast biss an die
Wolga erstrecket, so ist kein Wunder, dass Teutsche Worte nicht
nur im Griechischen so häuffig erscheinen, sondern biss in die Per-
sianische Sprache gedrungen, wie von vielen Gelehrten bemercket
worden. Wiewohl ich noch nicht finden kan, dass so viel Teutsches
in Persien sey, als nach Elichmanns Meynung vorgegeben wird.

45. Alles auch was die Schweden, Norwegen und Isländer von
ihren Gothen und Runen rühmen, ist unser, und arbeiten sie mit
aller ihrer zwar löblichen Mühe vor uns; massen sie ja vor nichts
anders als Nord-Teutsche gehalten werden können, auch von dem
wohlberichteten Tacito und allen alten und mittel-Autoren unter die
Teutsche gezehlet worden; mit ihrer Sprach auch selbst nichts anders
zu Tage legen, sie mögen sich krümmen und wenden wie sie wollen.
Dass auch die Dähnen zu Zeiten der Römer bey dem abnehmenden
Reich unter dem Nahmen der Sachsen begriffen gewesen, kan ich
aus vielen Umständen schliessen.

46. Stecket also im Teutschen Alterthum und sonderlich in der
Teutschen uhralten Sprache, so über das Alter aller Griechischen und
Lateinischen Bücher hinauff steiget, der Ursprung der Europäischen
Völcker und Sprachen, auch zum theil des uhralten Gottesdienstes, der
Sitten, Rechte und Adels, auch offt der alten Nahmen der Sachen,
Oerter und Leute, wie solches von andern dargethan, und theils mit
mehrern auszuführen.

47. Welches umb so viel mehr erinnern müssen, damit desto deut-
licher erscheine, wie ein grosses an einem Teutschen Glossario Ethy-
mologico gelegen; immassen mir bewust und aus Briefen an mich
selbst kund worden, dass hochgelehrte Leute anderer Nationen sehr
darnach wündschen und wohl erkennen, was ihnen selbst zu Erleuch-
tung ihrer Alterthümer daran gelegen; und dass nicht wohl andere als
der Teutschen Sprache im Grund Erfahrne, also weder Engländer noch
Frantzosen, wie gelehrt sie auch seyn, damit zurechte kommen mögen.


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[340/0014] dem Nahmen der Gothen, oder auch nach etlicher Meinung der Geten, und wenigstens der Bastarnen, gegen dem Ausfluss der Donau und ferner am schwartzen Meer gewohnet, und zu gewisser Zeit die iezt genannte kleine Tartarey inngehabt, und sich fast biss an die Wolga erstrecket, so ist kein Wunder, dass Teutsche Worte nicht nur im Griechischen so häuffig erscheinen, sondern biss in die Per- sianische Sprache gedrungen, wie von vielen Gelehrten bemercket worden. Wiewohl ich noch nicht finden kan, dass so viel Teutsches in Persien sey, als nach Elichmanns Meynung vorgegeben wird. 45. Alles auch was die Schweden, Norwegen und Isländer von ihren Gothen und Runen rühmen, ist unser, und arbeiten sie mit aller ihrer zwar löblichen Mühe vor uns; massen sie ja vor nichts anders als Nord-Teutsche gehalten werden können, auch von dem wohlberichteten Tacito und allen alten und mittel-Autoren unter die Teutsche gezehlet worden; mit ihrer Sprach auch selbst nichts anders zu Tage legen, sie mögen sich krümmen und wenden wie sie wollen. Dass auch die Dähnen zu Zeiten der Römer bey dem abnehmenden Reich unter dem Nahmen der Sachsen begriffen gewesen, kan ich aus vielen Umständen schliessen. 46. Stecket also im Teutschen Alterthum und sonderlich in der Teutschen uhralten Sprache, so über das Alter aller Griechischen und Lateinischen Bücher hinauff steiget, der Ursprung der Europäischen Völcker und Sprachen, auch zum theil des uhralten Gottesdienstes, der Sitten, Rechte und Adels, auch offt der alten Nahmen der Sachen, Oerter und Leute, wie solches von andern dargethan, und theils mit mehrern auszuführen. 47. Welches umb so viel mehr erinnern müssen, damit desto deut- licher erscheine, wie ein grosses an einem Teutschen Glossario Ethy- mologico gelegen; immassen mir bewust und aus Briefen an mich selbst kund worden, dass hochgelehrte Leute anderer Nationen sehr darnach wündschen und wohl erkennen, was ihnen selbst zu Erleuch- tung ihrer Alterthümer daran gelegen; und dass nicht wohl andere als der Teutschen Sprache im Grund Erfahrne, also weder Engländer noch Frantzosen, wie gelehrt sie auch seyn, damit zurechte kommen mögen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/14>, abgerufen am 29.03.2024.