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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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als mittelst einer gewissen Versammlung oder Vereinigung aus Anregung
eines hocherleuchteten vornehmen Haupts, mit gemeinem Rath und
gutem Verständniss zu helffen seyn.

31. Das Haupt-Absehen wäre zwar der Flor des geliebten Vaterlandes
Teutscher Nation, sein besonderer Zweck aber und das Vornehmen (oder
object) dieser Anstalt wäre auf die Teutsche Sprache zu richten, wie
nehmlichen solche zu verbessern, auszuzieren und zu untersuchen.

32. Der Grund und Boden einer Sprache, so zu reden, sind die
Worte, darauff die Redens-Arten gleichsam als Früchte herfür wachsen.
Woher dann folget, dass eine der Haupt-Arbeiten, deren die Teutsche
Haupt-Sprache bedarff, seyn würde eine Musterung und Untersuchung
aller Teutschen Worte,
welche, dafern sie vollkommen, nicht nur auf
diejenige gehen soll, so jederman brauchet, sondern auch auf die so ge-
wissen Lebens-Arten und Künsten eigen. Und nicht nur auf die so
man Hochteutsch nennet, und die im Schreiben anietzo allein herr-
schen, sondern auch auff Plat-Teutsch, Märckisch, Ober-Sächsisch,
Fränckisch, Bäyrisch, Oesterreichisch, Schwäbisch, oder was sonst hin
und wieder bey dem Landtmann mehr als in den Städten bräuchlich.
Auch nicht nur was in Teutschland in Ubung, sondern auch was von
Teutscher Herkunfft in Holl- und Engelländischen: worzu auch für-
nehmlich die Worte der Nord-Teutschen, das ist der Dänen, Norwegen,
Schweden und Issländer (bey welchen letztern sonderlich viel
von unser uralten Sprach geblieben,) zu ziehen. Und letzlichen nicht
nur auff das so noch in der Welt geredet wird, sondern auch was
verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt-Gothische, Alt-Sächsische
und Alt-Fränckische, wie sichs in uralten Schrifften und Reimen
findet, daran der treffliche Opiz selbst zu arbeiten gut gefunden.
Denn anders zu den wahren Ursprüngen nicht zu gelangen, welche
offt die gemeinen Leute mit ihrer Aussprache zeigen, und sagt man,
es habe den Käyser Maximilian dem I. einsmahls sonderlich wohl ge-
fallen, als er aus der Aussprache der Schweitzer vernommen, dass
Habsburg nichts anders als Habichtsburg sagen wolle.


als mittelst einer gewissen Versammlung oder Vereinigung aus Anregung
eines hocherleuchteten vornehmen Haupts, mit gemeinem Rath und
gutem Verständniss zu helffen seyn.

31. Das Haupt-Absehen wäre zwar der Flor des geliebten Vaterlandes
Teutscher Nation, sein besonderer Zweck aber und das Vornehmen (oder
object) dieser Anstalt wäre auf die Teutsche Sprache zu richten, wie
nehmlichen solche zu verbessern, auszuzieren und zu untersuchen.

32. Der Grund und Boden einer Sprache, so zu reden, sind die
Worte, darauff die Redens-Arten gleichsam als Früchte herfür wachsen.
Woher dann folget, dass eine der Haupt-Arbeiten, deren die Teutsche
Haupt-Sprache bedarff, seyn würde eine Musterung und Untersuchung
aller Teutschen Worte,
welche, dafern sie vollkommen, nicht nur auf
diejenige gehen soll, so jederman brauchet, sondern auch auf die so ge-
wissen Lebens-Arten und Künsten eigen. Und nicht nur auf die so
man Hochteutsch nennet, und die im Schreiben anietzo allein herr-
schen, sondern auch auff Plat-Teutsch, Märckisch, Ober-Sächsisch,
Fränckisch, Bäyrisch, Oesterreichisch, Schwäbisch, oder was sonst hin
und wieder bey dem Landtmann mehr als in den Städten bräuchlich.
Auch nicht nur was in Teutschland in Ubung, sondern auch was von
Teutscher Herkunfft in Holl- und Engelländischen: worzu auch für-
nehmlich die Worte der Nord-Teutschen, das ist der Dänen, Norwegen,
Schweden und Issländer (bey welchen letztern sonderlich viel
von unser uralten Sprach geblieben,) zu ziehen. Und letzlichen nicht
nur auff das so noch in der Welt geredet wird, sondern auch was
verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt-Gothische, Alt-Sächsische
und Alt-Fränckische, wie sichs in uralten Schrifften und Reimen
findet, daran der treffliche Opiz selbst zu arbeiten gut gefunden.
Denn anders zu den wahren Ursprüngen nicht zu gelangen, welche
offt die gemeinen Leute mit ihrer Aussprache zeigen, und sagt man,
es habe den Käyser Maximilian dem I. einsmahls sonderlich wohl ge-
fallen, als er aus der Aussprache der Schweitzer vernommen, dass
Habsburg nichts anders als Habichtsburg sagen wolle.


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[336/0010] als mittelst einer gewissen Versammlung oder Vereinigung aus Anregung eines hocherleuchteten vornehmen Haupts, mit gemeinem Rath und gutem Verständniss zu helffen seyn. 31. Das Haupt-Absehen wäre zwar der Flor des geliebten Vaterlandes Teutscher Nation, sein besonderer Zweck aber und das Vornehmen (oder object) dieser Anstalt wäre auf die Teutsche Sprache zu richten, wie nehmlichen solche zu verbessern, auszuzieren und zu untersuchen. 32. Der Grund und Boden einer Sprache, so zu reden, sind die Worte, darauff die Redens-Arten gleichsam als Früchte herfür wachsen. Woher dann folget, dass eine der Haupt-Arbeiten, deren die Teutsche Haupt-Sprache bedarff, seyn würde eine Musterung und Untersuchung aller Teutschen Worte, welche, dafern sie vollkommen, nicht nur auf diejenige gehen soll, so jederman brauchet, sondern auch auf die so ge- wissen Lebens-Arten und Künsten eigen. Und nicht nur auf die so man Hochteutsch nennet, und die im Schreiben anietzo allein herr- schen, sondern auch auff Plat-Teutsch, Märckisch, Ober-Sächsisch, Fränckisch, Bäyrisch, Oesterreichisch, Schwäbisch, oder was sonst hin und wieder bey dem Landtmann mehr als in den Städten bräuchlich. Auch nicht nur was in Teutschland in Ubung, sondern auch was von Teutscher Herkunfft in Holl- und Engelländischen: worzu auch für- nehmlich die Worte der Nord-Teutschen, das ist der Dänen, Norwegen, Schweden und Issländer (bey welchen letztern sonderlich viel von unser uralten Sprach geblieben,) zu ziehen. Und letzlichen nicht nur auff das so noch in der Welt geredet wird, sondern auch was verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt-Gothische, Alt-Sächsische und Alt-Fränckische, wie sichs in uralten Schrifften und Reimen findet, daran der treffliche Opiz selbst zu arbeiten gut gefunden. Denn anders zu den wahren Ursprüngen nicht zu gelangen, welche offt die gemeinen Leute mit ihrer Aussprache zeigen, und sagt man, es habe den Käyser Maximilian dem I. einsmahls sonderlich wohl ge- fallen, als er aus der Aussprache der Schweitzer vernommen, dass Habsburg nichts anders als Habichtsburg sagen wolle.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/10>, abgerufen am 20.04.2024.