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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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sie von einem Schüler Benvenutos seyn, und ich
dachte mir die Lebhaftigkeit mit der jene Künstler
arbeiteten; wie so ein Kunstwerk sich mit ihrem
Glauben an die Ewigkeit ihrer Kirche verband.
Ließe sich denn kein Mittel finden, die großen
Momente und großen Menschen aus unsrer Zeit,
sammt ihren Denkmählern, ohne sie zu kanonisi-
ren, mit der Kirche zu verbinden? und würden
sies denn nun auch? -- Wehe dem Menschen der
nicht Augenblicke hat, wo er sich das Liebste,
Höchste, was er in der Menschheit hatte nahe bei
Gott denkt! Religion kann nur Bedürfniß des
Herzens seyn, und das Uebersinnliche ahnen wir
nur durch die zarteste Empfänglichkeit der Sinne.
-- Unterrichtet uns, bildet unsre Vernunft, wenn
wir aber Gott suchen, unsern Gott -- denn
wessen Gott sieht denn ganz so aus, wie des an-
dern Gott? -- dann laßt uns unser Gefühl al-
lein leiten; das Gefühl führt nur dann zum Fana-
tismus, wenn Vernünftelei sich in das Suchen
nach dem Göttlichen einmischt.

In Cölln, im Gasthof zum heiligen Geist,
ja schon weiter oben am rechten Reinufer in Lienz,
wo wir zu Mittag speisten, hatten wir eine Vor-
empfindung holländischer Reinlichkeit. Auch auf

ſie von einem Schuͤler Benvenutos ſeyn, und ich
dachte mir die Lebhaftigkeit mit der jene Kuͤnſtler
arbeiteten; wie ſo ein Kunſtwerk ſich mit ihrem
Glauben an die Ewigkeit ihrer Kirche verband.
Ließe ſich denn kein Mittel finden, die großen
Momente und großen Menſchen aus unſrer Zeit,
ſammt ihren Denkmaͤhlern, ohne ſie zu kanoniſi-
ren, mit der Kirche zu verbinden? und wuͤrden
ſies denn nun auch? — Wehe dem Menſchen der
nicht Augenblicke hat, wo er ſich das Liebſte,
Hoͤchſte, was er in der Menſchheit hatte nahe bei
Gott denkt! Religion kann nur Beduͤrfniß des
Herzens ſeyn, und das Ueberſinnliche ahnen wir
nur durch die zarteſte Empfaͤnglichkeit der Sinne.
— Unterrichtet uns, bildet unſre Vernunft, wenn
wir aber Gott ſuchen, unſern Gott — denn
weſſen Gott ſieht denn ganz ſo aus, wie des an-
dern Gott? — dann laßt uns unſer Gefuͤhl al-
lein leiten; das Gefuͤhl fuͤhrt nur dann zum Fana-
tismus, wenn Vernuͤnftelei ſich in das Suchen
nach dem Goͤttlichen einmiſcht.

In Coͤlln, im Gaſthof zum heiligen Geiſt,
ja ſchon weiter oben am rechten Reinufer in Lienz,
wo wir zu Mittag ſpeiſten, hatten wir eine Vor-
empfindung hollaͤndiſcher Reinlichkeit. Auch auf

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[72/0086] ſie von einem Schuͤler Benvenutos ſeyn, und ich dachte mir die Lebhaftigkeit mit der jene Kuͤnſtler arbeiteten; wie ſo ein Kunſtwerk ſich mit ihrem Glauben an die Ewigkeit ihrer Kirche verband. Ließe ſich denn kein Mittel finden, die großen Momente und großen Menſchen aus unſrer Zeit, ſammt ihren Denkmaͤhlern, ohne ſie zu kanoniſi- ren, mit der Kirche zu verbinden? und wuͤrden ſies denn nun auch? — Wehe dem Menſchen der nicht Augenblicke hat, wo er ſich das Liebſte, Hoͤchſte, was er in der Menſchheit hatte nahe bei Gott denkt! Religion kann nur Beduͤrfniß des Herzens ſeyn, und das Ueberſinnliche ahnen wir nur durch die zarteſte Empfaͤnglichkeit der Sinne. — Unterrichtet uns, bildet unſre Vernunft, wenn wir aber Gott ſuchen, unſern Gott — denn weſſen Gott ſieht denn ganz ſo aus, wie des an- dern Gott? — dann laßt uns unſer Gefuͤhl al- lein leiten; das Gefuͤhl fuͤhrt nur dann zum Fana- tismus, wenn Vernuͤnftelei ſich in das Suchen nach dem Goͤttlichen einmiſcht. In Coͤlln, im Gaſthof zum heiligen Geiſt, ja ſchon weiter oben am rechten Reinufer in Lienz, wo wir zu Mittag ſpeiſten, hatten wir eine Vor- empfindung hollaͤndiſcher Reinlichkeit. Auch auf

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/86>, abgerufen am 24.11.2024.