dem Wochenmarkt in Cölln erfreute mich die rein- liche Ausstellung des reichen Vorraths von Lebens- mitteln. Wo ich noch vor zwanzig Jahren ein altes Augustinerkloster kannte, ist jetzt ein schöner regelmäßiger Platz mit Bäumen bepflanzt, von dem ich mit wahrem Vergnügen die soliden Häuser mit ihren spiegelhellen Fensterscheiben rund umher betrachten konnte. Hier ist Korn- und Heumarkt, dann kommt man auf den Speisemarkt, wo ein Ueberfluß herrlichen Gemüses, niedlicher Holz- waaren und Korbwerk ausgestellt war. Die Bauerleute waren reinlich gekleidet, und rechtlich. Die Weiber haben alle ein weißes dreieckiges Tuch um den Kopf ganz in die eckige Form gelegt, wie die weiblichen Gestalten auf Dürers und noch äl- teren deutschen Gemählden. -- Wie allmächtig mußte der schöpferische Trieb in diesen Künstlern seyn, wie rein ihre Ahndung des Schönen, das sie zu bilden versuchten bei den Gestalten, die ein- zig ihr Auge gewohnt war. Die hier noch erhal- tene Volkstracht, und die Moden der höhern Stände jener Zeit, sind ganz dazu erdacht, die menschliche Gestalt zu verbergen, oder zu ent- stellen. Warum die Cöllnerinnen selbst so häß- lich, gelb und schleppenden Ganges sind, begrei-
dem Wochenmarkt in Coͤlln erfreute mich die rein- liche Ausſtellung des reichen Vorraths von Lebens- mitteln. Wo ich noch vor zwanzig Jahren ein altes Auguſtinerkloſter kannte, iſt jetzt ein ſchoͤner regelmaͤßiger Platz mit Baͤumen bepflanzt, von dem ich mit wahrem Vergnuͤgen die ſoliden Haͤuſer mit ihren ſpiegelhellen Fenſterſcheiben rund umher betrachten konnte. Hier iſt Korn- und Heumarkt, dann kommt man auf den Speiſemarkt, wo ein Ueberfluß herrlichen Gemuͤſes, niedlicher Holz- waaren und Korbwerk ausgeſtellt war. Die Bauerleute waren reinlich gekleidet, und rechtlich. Die Weiber haben alle ein weißes dreieckiges Tuch um den Kopf ganz in die eckige Form gelegt, wie die weiblichen Geſtalten auf Duͤrers und noch aͤl- teren deutſchen Gemaͤhlden. — Wie allmaͤchtig mußte der ſchoͤpferiſche Trieb in dieſen Kuͤnſtlern ſeyn, wie rein ihre Ahndung des Schoͤnen, das ſie zu bilden verſuchten bei den Geſtalten, die ein- zig ihr Auge gewohnt war. Die hier noch erhal- tene Volkstracht, und die Moden der hoͤhern Staͤnde jener Zeit, ſind ganz dazu erdacht, die menſchliche Geſtalt zu verbergen, oder zu ent- ſtellen. Warum die Coͤllnerinnen ſelbſt ſo haͤß- lich, gelb und ſchleppenden Ganges ſind, begrei-
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dem Wochenmarkt in Coͤlln erfreute mich die rein-
liche Ausſtellung des reichen Vorraths von Lebens-
mitteln. Wo ich noch vor zwanzig Jahren ein
altes Auguſtinerkloſter kannte, iſt jetzt ein ſchoͤner
regelmaͤßiger Platz mit Baͤumen bepflanzt, von
dem ich mit wahrem Vergnuͤgen die ſoliden Haͤuſer
mit ihren ſpiegelhellen Fenſterſcheiben rund umher
betrachten konnte. Hier iſt Korn- und Heumarkt,
dann kommt man auf den Speiſemarkt, wo ein
Ueberfluß herrlichen Gemuͤſes, niedlicher Holz-
waaren und Korbwerk ausgeſtellt war. Die
Bauerleute waren reinlich gekleidet, und rechtlich.
Die Weiber haben alle ein weißes dreieckiges Tuch
um den Kopf ganz in die eckige Form gelegt, wie
die weiblichen Geſtalten auf Duͤrers und noch aͤl-
teren deutſchen Gemaͤhlden. — Wie allmaͤchtig
mußte der ſchoͤpferiſche Trieb in dieſen Kuͤnſtlern
ſeyn, wie rein ihre Ahndung des Schoͤnen, das
ſie zu bilden verſuchten bei den Geſtalten, die ein-
zig ihr Auge gewohnt war. Die hier noch erhal-
tene Volkstracht, und die Moden der hoͤhern
Staͤnde jener Zeit, ſind ganz dazu erdacht, die
menſchliche Geſtalt zu verbergen, oder zu ent-
ſtellen. Warum die Coͤllnerinnen ſelbſt ſo haͤß-
lich, gelb und ſchleppenden Ganges ſind, begrei-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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