Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese Betrachtungen beschäftigten mich sehr sanft,
bis unsere Ankunft in Leyden sehr interessante Er-
innerungen in mir hervor rief. Leyden war mir
durch viele frühe Eindrücke ehrwürdig. Mancher
der besten Köpfe unsrer Nation aus dem vorigen
Jahrhundert, bildete sich hier, Aerzte, Rechts-
gelehrte, Staatsmänner, brachten hier ein paar
Jahre ihrer Jugend zu. Eine lange Reihe von
Jahren durch pflegte man hier die ernsten Wissen-
schaften mit einer ehrwürdigen Strenge, gegen
die der bunte Wechsel der Systeme auf den heuti-
gen hohen Schulen sonderbar absticht. Die ern-
sten alten Lehrer dieser und einiger andern hollän-
dischen Schulen mögen manche verjährte Eigen-
schaft haben, mögen aus dem Lehrstuhl ein Prie-
sterthum machen, aber sie bewachen auch dafür
ihr Heiligstes mit lobenswürdiger Treue, und be-
dienen ihren Altar mit reinen Händen. Das Neue
mag wohl überall das Bessere seyn -- möchte es
doch aber von dem Alten manches Gute lernen.
Meiner weiblichen Fantasie gabs einmal eine große
Nahrung auf eben dem Pflaster herum zu schrei-
ten, das Leibnitz und Zinzendorf und mancher an-
dere wirksame Mann im jugendlichen Streben nach
Wissenschaft betrat. Ihre Schritte sind verhallt,

U

Dieſe Betrachtungen beſchaͤftigten mich ſehr ſanft,
bis unſere Ankunft in Leyden ſehr intereſſante Er-
innerungen in mir hervor rief. Leyden war mir
durch viele fruͤhe Eindruͤcke ehrwuͤrdig. Mancher
der beſten Koͤpfe unſrer Nation aus dem vorigen
Jahrhundert, bildete ſich hier, Aerzte, Rechts-
gelehrte, Staatsmaͤnner, brachten hier ein paar
Jahre ihrer Jugend zu. Eine lange Reihe von
Jahren durch pflegte man hier die ernſten Wiſſen-
ſchaften mit einer ehrwuͤrdigen Strenge, gegen
die der bunte Wechſel der Syſteme auf den heuti-
gen hohen Schulen ſonderbar abſticht. Die ern-
ſten alten Lehrer dieſer und einiger andern hollaͤn-
diſchen Schulen moͤgen manche verjaͤhrte Eigen-
ſchaft haben, moͤgen aus dem Lehrſtuhl ein Prie-
ſterthum machen, aber ſie bewachen auch dafuͤr
ihr Heiligſtes mit lobenswuͤrdiger Treue, und be-
dienen ihren Altar mit reinen Haͤnden. Das Neue
mag wohl uͤberall das Beſſere ſeyn — moͤchte es
doch aber von dem Alten manches Gute lernen.
Meiner weiblichen Fantaſie gabs einmal eine große
Nahrung auf eben dem Pflaſter herum zu ſchrei-
ten, das Leibnitz und Zinzendorf und mancher an-
dere wirkſame Mann im jugendlichen Streben nach
Wiſſenſchaft betrat. Ihre Schritte ſind verhallt,

U
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0319" n="305"/>
Die&#x017F;e Betrachtungen be&#x017F;cha&#x0364;ftigten mich &#x017F;ehr &#x017F;anft,<lb/>
bis un&#x017F;ere Ankunft in Leyden &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;ante Er-<lb/>
innerungen in mir hervor rief. Leyden war mir<lb/>
durch viele fru&#x0364;he Eindru&#x0364;cke ehrwu&#x0364;rdig. Mancher<lb/>
der be&#x017F;ten Ko&#x0364;pfe un&#x017F;rer Nation aus dem vorigen<lb/>
Jahrhundert, bildete &#x017F;ich hier, Aerzte, Rechts-<lb/>
gelehrte, Staatsma&#x0364;nner, brachten hier ein paar<lb/>
Jahre ihrer Jugend zu. Eine lange Reihe von<lb/>
Jahren durch pflegte man hier die ern&#x017F;ten Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften mit einer ehrwu&#x0364;rdigen Strenge, gegen<lb/>
die der bunte Wech&#x017F;el der Sy&#x017F;teme auf den heuti-<lb/>
gen hohen Schulen &#x017F;onderbar ab&#x017F;ticht. Die ern-<lb/>
&#x017F;ten alten Lehrer die&#x017F;er und einiger andern holla&#x0364;n-<lb/>
di&#x017F;chen Schulen mo&#x0364;gen manche verja&#x0364;hrte Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft haben, mo&#x0364;gen aus dem Lehr&#x017F;tuhl ein Prie-<lb/>
&#x017F;terthum machen, aber &#x017F;ie bewachen auch dafu&#x0364;r<lb/>
ihr Heilig&#x017F;tes mit lobenswu&#x0364;rdiger Treue, und be-<lb/>
dienen ihren Altar mit reinen Ha&#x0364;nden. Das Neue<lb/>
mag wohl u&#x0364;berall das Be&#x017F;&#x017F;ere &#x017F;eyn &#x2014; mo&#x0364;chte es<lb/>
doch aber von dem Alten manches Gute lernen.<lb/>
Meiner weiblichen Fanta&#x017F;ie gabs einmal eine große<lb/>
Nahrung auf eben dem Pfla&#x017F;ter herum zu &#x017F;chrei-<lb/>
ten, das Leibnitz und Zinzendorf und mancher an-<lb/>
dere wirk&#x017F;ame Mann im jugendlichen Streben nach<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft betrat. Ihre Schritte &#x017F;ind verhallt,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0319] Dieſe Betrachtungen beſchaͤftigten mich ſehr ſanft, bis unſere Ankunft in Leyden ſehr intereſſante Er- innerungen in mir hervor rief. Leyden war mir durch viele fruͤhe Eindruͤcke ehrwuͤrdig. Mancher der beſten Koͤpfe unſrer Nation aus dem vorigen Jahrhundert, bildete ſich hier, Aerzte, Rechts- gelehrte, Staatsmaͤnner, brachten hier ein paar Jahre ihrer Jugend zu. Eine lange Reihe von Jahren durch pflegte man hier die ernſten Wiſſen- ſchaften mit einer ehrwuͤrdigen Strenge, gegen die der bunte Wechſel der Syſteme auf den heuti- gen hohen Schulen ſonderbar abſticht. Die ern- ſten alten Lehrer dieſer und einiger andern hollaͤn- diſchen Schulen moͤgen manche verjaͤhrte Eigen- ſchaft haben, moͤgen aus dem Lehrſtuhl ein Prie- ſterthum machen, aber ſie bewachen auch dafuͤr ihr Heiligſtes mit lobenswuͤrdiger Treue, und be- dienen ihren Altar mit reinen Haͤnden. Das Neue mag wohl uͤberall das Beſſere ſeyn — moͤchte es doch aber von dem Alten manches Gute lernen. Meiner weiblichen Fantaſie gabs einmal eine große Nahrung auf eben dem Pflaſter herum zu ſchrei- ten, das Leibnitz und Zinzendorf und mancher an- dere wirkſame Mann im jugendlichen Streben nach Wiſſenſchaft betrat. Ihre Schritte ſind verhallt, U

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/319
Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/319>, abgerufen am 24.11.2024.